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       # taz.de -- Inter-Kristina Wegener über Restitution: „Enteignung steht symbolisch für das Unrecht“
       
       > Die Kielerin Inger-Kristina Wegener ist Künstlerin und Juristin – und
       > eine Provenienz-Expertin, die sich vor Schwarzweißmalerei hütet.
       
   IMG Bild: Künstlerin aus Berufung, Juristin aus Versehen: die Kieler Provenienz-Expertin Inger-Kristina Wegener.
       
       taz: Frau Wegener, warum sind Sie im Hauptberuf nicht Künstlerin, sondern
       ausgerechnet Juristin? 
       
       Inger-Kristina Wegener: Ich habe keine richtige Antwort auf diese Frage.
       Die Kunst ist in meinem Leben natürlich zuerst dagewesen, damit bin ich
       groß geworden. Aber ich glaube, es gab einen Augenblick, in dem ich sehen
       wollte, ob ich noch etwas anderes kann. Ich habe eine intellektuelle
       Herausforderung gesucht. Wenn man mit 19 über sich nachdenkt, ist das ja
       stark von theoretischen Erwägungen geprägt. Und wenn Sie nicht sofort
       wissen, dass Sie Arzt oder etwas ähnlich Konkretes werden wollen, haben Sie
       ganz viele seltsame Konzepte, und denen folgen Sie womöglich. Also habe ich
       Jura studiert.
       
       Lag es Ihnen? 
       
       Ja. Im vierten Semester hat mich allerdings ein Professor einbestellt und
       gefragt: „Warum studieren Sie eigentlich Jura? Ihre Texte sprühen vor
       Leben.“ Das ist für eine Juristin kein Kompliment! Ich habe den Schein dann
       knapp bestanden, dachte aber: „Der Mann hat recht. Aber es wär schade, die
       Juristerei nach der vielen Arbeit aufzugeben.“ Also habe ich nebenher Kunst
       studiert, und parallel meine juristischen Examina gemacht.
       
       Und warum haben Sie nach Ihrem Studienabschluss in den USA nicht als
       Juristin gearbeitet? 
       
       Dies Idee, in die USA zu gehen, wurde mir relativ spontan angetragen. Mein
       damaliger Ehemann hatte beruflich eine Möglichkeit, nach New York zu gehen,
       und ich musste mir überlegen, ob ich mitkomme. New York reizte mich, und
       außerdem hatte ich ein Buch in der Schublade, das ich fertigschreiben
       wollte. Das habe ich dann auch getan.
       
       Wovon handelt es? 
       
       Es heißt „Nachtwachen“ und beleuchtet den Umgang der Enkelgeneration mit
       der deutschen NS-Vergangenheit: Eine junge Frau, die sich für sehr
       aufgeklärt hält, setzt sich mit ihrem Großvater auseinander, der ihr
       vorwirft, dass ihr Philosemitismus „positiver Rassismus“ und strukturell
       vom NS-Rassismus nicht verschieden sei. Ihre Neigung zum Judentum sei nicht
       durch ein aufrichtiges Interesse unterfüttert. Sie braucht lange, um zu
       prüfen, ob das für sie stimmt.
       
       Auch Ihr Interesse an der Provenienzforschung hat mit der NS-Zeit zu tun.
       Gab es einen Auslöser? 
       
       Es begann mit einer Seminararbeit über die Strafprozessordnung, die auch
       Grundlage für meinen Roman war. In der Arbeit ging es um „Recht im
       Unrecht“, und ich habe den Fall Eichmann erkundet. Irgendwann war die
       Arbeit fertig, aber das Thema hat mich nicht mehr losgelassen. Ich habe
       Hannah Arendt gelesen, mich immer intensiver informiert. Und das hat mir
       eine Sicht auf die Bilder dieser Zeit vermittelt, die ich vorher so nicht
       hatte.
       
       Inwiefern? 
       
       Wenn ich Bilder sehe, die vor dem Ersten Weltkrieg und zwischen den Kriegen
       entstanden sind, empfinde ich nicht vorrangig einen ästhetischen
       Kunstgenuss. Wenn ich Emil-Nolde-Bilder sehe, denke ich an Siegfried Lenz’
       „Deutschstunde“, in der er über Noldes Verfemung durch die Nazis schrieb.
       Ich kann die Situation, in der diese Künstler lebten – als ganz neue
       Dimensionen des Massenmordens aufkamen – nicht ausblenden. Das gilt erst
       mal unabhängig davon, ob ein Bild zu restituieren ist oder nicht. Aber die
       Provenienz kommt als gewichtiger Umstand hinzu.
       
       Warum hat man hierzulande so spät mit der Provenienzforschung begonnen? 
       
       Einerseits, weil Restitution in der unmittelbaren Nachkriegszeit keine
       Priorität hatte. Das hat auch praktische Gründe. Es gibt einige Weichen,
       die nach 1945 anders hätten gestellt werden können. Da haben die Alliierten
       die NS-Gesetze, die die Beschlagnahmungen rechtfertigten, ja nicht
       aufgehoben. Außerdem haben sie die Fristen für Wiedergutmachungs-Ansprüche
       so knapp bemessen, dass es für viele Betroffene zu spät war. Denn
       einerseits mussten ja erst mal Unterlagen beschafft werden, andererseits
       mussten sich die Überlebenden oder Erben psychisch erst mal so weit fangen,
       dass sie an Restitution denken konnten. Bis dahin aber waren die
       Verjährungsfristen spätestens Anfang der 1960er-Jahre abgelaufen.
       
       Wurden die Fristen bewusst so knapp bemessen? 
       
       Schwer zu sagen. Die Rechtshandelnden waren oft noch die Alliierten und
       nicht die Politiker der jungen Bundesrepublik. Und ob man damals wusste,
       welche Implikationen das hatte? Man wusste, dass es unter den Nazis zu
       erheblichen Vermögensverschiebungen gekommen war, die irgendwann
       auszugleichen waren. Alles Weitere wäre Spekulation. Allerdings hat die
       Politik hingenommen, dass es niemals zu einer umfassenden Restitution kam.
       
       Hatten die Nazis eigentlich nur hochwertige Kunst enteignet? 
       
       Nein, es gab kein Qualitätskriterium. Es wurden fantastische Werke genauso
       enteignet wie mittelmäßige. Interessant wird es allerdings bei der
       Verwertung – und da schauen wir nicht auf 1937, als „entartete“ Kunst aus
       öffentlichen Sammlungen entfernt wurde. Sondern wir gehen ins Jahr 1938,
       als das Nazi-Regime beschloss, die Werke zu Geld zu machen. Da hat man
       angefangen zu unterscheiden und mit echtem Kunstverständnis erkannt: Das
       bringt Devisen, und die können wir gebrauchen für unsere Kriegsmaschinerie.
       Obwohl viele dieser Werke verfemt waren.
       
       Andererseits wurden von Anfang an neben „entarteter“ Kunst auch Ostasiatica
       und Antikensammlungen beschlagnahmt. Auch vor 1937 gab es also nicht nur
       ideologische Gründe. 
       
       Nein, es gab immer auch rein wirtschaftliche Gründe. Diese Verquickung von
       Motiven macht das Sprechen über diese Zeit so kompliziert.
       
       Welche Rolle haben der Kunsthandel und die Auktionshäuser eigentlich damals
       gespielt? 
       
       Zum Teil sind sie benutzt worden, um Kontakte ins meist europäische Ausland
       zu knüpfen, Bilder zu verkaufen und Devisen zu beschaffen. Auch das ist
       aber komplex. Sehen Sie zum Beispiel Gurlitt an: Er kam aus Zwickau, war
       progressiv und schätzte den deutschen Expressionismus sehr. Und Jahre
       später war er damit beschäftigt, dieselben Bilder zugunsten des NS-Regimes
       zu verkaufen, das auch ihn aus seinen Positionen gestoßen hatte.
       
       Was passierte mit Kunstwerken, die sich nicht verkaufen ließen? 
       
       Die wurden vernichtet, und das wussten viele der Verkäufer. Wenn man das
       bedenkt, kann man nicht mehr einfach sagen, ein Bild sei ausschließlich zur
       Devisenbeschaffung verkauft worden. Man kann es auch verkauft haben, um es
       der Vernichtung zu entziehen. Andererseits gab es im europäischen Ausland
       eine gewisse Kaufzurückhaltung, weil man die Kriegsmaschinerie der Nazis
       nicht mitfinanzieren wollte.
       
       Und welche Motive haben die Erben, wenn sie heute Restitutionsansprüche
       geltend machen? 
       
       Ich glaube nicht, dass es in erster Linie finanzielle sind – wobei ich das
       gar nicht als moralisch einschränkendes Kriterium empfinden würde. Denn es
       ist legitim, Vermögenswerte zurückzufordern. Aber meist ist es bei den
       Erben eine Kombination aus finanziellen und psychologischen Gründen. Denn
       die Verschiebung von Vermögensverhältnissen steht auch symbolisch für das
       Unrecht.
       
       Das nicht wieder gutzumachen ist. 
       
       Nein. Aber dass Kunstgegenstände zurückerstattet werden, kann zumindest die
       Befriedung einer ungeklärten Situation bedeuten. Im Übrigen ist es nicht an
       uns, zu entscheiden, wann diese Befriedung eingetreten ist. Das obliegt
       allein den Erben.
       
       19 Mar 2014
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Petra Schellen
       
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