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       # taz.de -- Amy Chuas Lob der Einwanderer-Kultur: Angriff der Powermigranten
       
       > Amy Chua und ihr Ehemann versprechen, „die kulturellen Grundlagen des
       > Erfolgs“ von Einwanderern zu lüften. Westentaschen-Völkerpsychologie ist
       > gefragt.
       
   IMG Bild: So sieht die Einwandererelite aus: Bestseller-Autorin Amy Chua
       
       Warum sind manche Einwanderer erfolgreicher als andere? Diese Frage wird in
       den USA immer wieder diskutiert. Dass etwa asiatische Einwanderer die
       alteingesessenen Afroamerikaner in kurzer Zeit an gesellschaftlichem Rang
       überrundet haben, was Animositäten zwischen den beiden Gruppen befördert
       hat, wurde schon vor über zwanzig Jahren im Zusammenhang mit den LA Riots
       debattiert.
       
       Amy Chua und ihr Ehemann Jed Rubenfeld, zwei Jura-Professoren aus Yale, die
       es unabhängig voneinander zu Bestseller-Ruhm gebracht haben, bieten jetzt
       eine verblüffend simple Erklärung für die unterschiedliche Aufstiegsdynamik
       verschiedener Einwanderergruppen an: Es liegt an der Kultur, stupid!
       
       Schon vor drei Jahren sorgte die Sino-Amerikanerin Amy Chua, 52, mit ihren
       Bekenntnissen einer „Tigermom“ für Aufregung. In ihrem Buch, das auf
       Deutsch unter dem braven Titel „Die Mutter des Erfolgs“ erschien, lobte sie
       die strenge Hand chinesischer Mütter, die ihren Kindern das Fernsehen,
       Übernachtungen bei Freunden und sogar das Feiern iher Geburtstage
       verbieten, um sie stattdessen zu Höchstleistungen in der Schule und am
       klassischen Instrument anzuspornen – zur Not, indem sie damit drohen, die
       geliebten Stofftiere zu verbrennen. Schon dieses brachiale „Lob der
       Disziplin“ ließ sich auf die kurze Formel bringen: Chinese Mothers are
       better than others.
       
       Für ihr neues Buch hat Chua jetzt ihren Mann Jed Rubenfeld, 55,
       eingespannt, um gemeinsam dem Zusammenhang zwischen Kultur und Erfolg
       nachzugehen. Acht Gruppen haben sie dabei als „Overperformer“ ausgemacht,
       wenn man Kriterien wie Einkommen, Prüfungsergebnisse und Intelligenztests
       zurate zieht. Zu Chuas und Rubenfelds persönlichen Top Eight gehören
       Chinesen und Juden – die beiden Gruppen, denen sie selbst angehören –, aber
       auch Iraner, Libanesen, Nigerianer, Kubaner und sogar Mormonen zählen sie
       dazu.
       
       ## Die Overperformer
       
       Ihnen allen sei der gesellschaftliche Aufstieg in den USA gelungen, weil
       sie über ein bestimmtes Bündel an Eigenschaften verfügten, das anderen
       fehle, behauptet das Autorenpaar. „The Triple Package“ heißt das Buch
       deshalb im Original, in Deutschland trägt es den seltsamen Titel „Alle
       Menschen sind gleich. Erfolgreiche nicht.“
       
       Ihre Dreierpack-Formel ist schlicht: Erstens besäßen alle genannten Gruppen
       einen Überlegenheitskomplex – also einen tief verankerten Glauben an die
       Besonderheit der eigenen Gruppe. Zweitens, auch wenn das paradox klingt,
       gäbe es bei ihnen trotzdem eine tiefsitzende Unsicherheit und Angst, den
       eigenen Ansprüchen nicht zu genügen. Und drittens: Impulskontrolle. Das
       meint die Bereitschaft, die eigenen Wünsche zurückzustellen, die Fähigkeit,
       sich von Rückschlägen nicht entmutigen lassen und Härte gegen sich selbst
       zu zeigen, also Selbstdisziplin und Durchhaltevermögen.
       
       Aus der Ferne grüßt hier Max Weber mit seiner These von der
       „protestantischen Ethik“, die zum soziologischen Allgemeingut gehört. Dass
       diese Idee, wonach eine bestimmte kulturelle Geisteshaltung den Siegeszug
       des Kapitalismus begünstigt habe, längst vielfach infrage gestellt wurde,
       hat ihre Popularität nicht geschmälert. Entsprechend wurde der Aufstieg der
       asiatischen Tigerstaaten auf eine angeblich „konfuzianische Ethik“
       zurückgeführt, und die frommen und fleißigen Unternehmer aus
       Mittelanatolien, welche in der Türkei derzeit die Machtbasis der
       Erdogan-Regierung stellen, wurden flugs zu „islamischen Calvinisten“
       erklärt. Denn die kapitalistische Ethik hat sich längst globalisiert.
       
       Die „Dreierpack“-These erinnert nicht von ungefähr an die Rede von den
       „asiatischen Werten“, mit denen in den neunziger Jahren der Wirtschaftsboom
       der autoritären „Tigerstaaten“ der Region begründet wurde, bevor die
       Asien-Krise ihr ein vorläufiges Ende setzte. Sie ist so dünn, dass bei
       näherer Betrachtung am Ende davon wenig mehr als
       Westentaschen-Völkerpsychologie übrig bleibt. Aber die ist gefragt, weil
       sie Stammtischvorurteile mit einer pseudowissenschaftlichen Aura veredelt.
       Und spätestens seit Samuel Huntington die Welt in Kulturkreise einteilte,
       ist es in Mode gekommen, alles mit „Kultur“ zu erklären, von Terrorismus
       über wirtschaftlichen Erfolg bis zu Schulversagen. Nicht dass es bei
       alledem keine kulturellen Aspekte gäbe, die hineinspielen können. Aber
       „Kultur“ ist heute zu einem Passepartout-Begriff geworden, mit dem sich
       alles und nichts erklären lässt.
       
       ## Schluss mit dem Mythos
       
       Immerhin sind bei Chua und Rubenfeld, anders als bei Thilo Sarrazin, nicht
       die Gene oder die Religion schuld daran, dass die Talente so ungleich
       verteilt sind. Trotzdem wurde in den USA das Buch zerrissen, und selbst die
       Tageszeitung Die Welt, selbst nicht immer frei von rassistischer
       Angstpropaganda, schrieb von „rassistischer Angstpropaganda“.
       
       Doch auch in Deutschland wird der größere Schulerfolg von vietnamesischen
       gegenüber türkischen Einwandererkindern gerne mit kulturellen Aspekten
       erklärt – die konfuzianische Ethik, Sie wissen schon. Dass Diskriminierung
       eine Rolle spielen könnte oder dass die Kinder von Italienern, die
       hierzulande zu den beliebtesten Einwanderern zählen, im schulischen
       Durchschnitt noch schlechter abschneiden, wird gerne ignoriert – es passt
       nicht ins Klischee, dass die islamische Religion an jeder Rückständigkeit
       schuld ist.
       
       Für Chua und Rubenfeld stehen Juden für den „Inbegriff der erfolgreichen
       Migranten“: Sie stellen zwar nur 2 Prozent der US-Bevölkerung, sind aber
       unter Nobelpreisträgern, in Wirtschaft und Justiz sowie an der Wall Street
       und in Hollywood deutlich überrepräsentiert, was reichlich Stoff für
       Verschwörungstheorien bietet. Mit dem Mythos des jüdischen Bildungseifers,
       mit dem dieses Phänomen gern erklärt wird, räumen sie aber auf. Denn die
       meisten Juden, die Anfang des 20. Jahrhunderts aus Europa in Ellis Island
       landeten, besaßen kaum Bildung und waren bitterarm. Und der ersten
       Generation, die sich als Handwerker und Kleinhändler durchschlug, lag auch
       wenig an höherer Bildung für ihre Kinder, schreiben Chua und Rubenfeld.
       
       Das war auch einer der Gründe, warum die USA nach dem Ersten Weltkrieg die
       Einwanderung aus Osteuropa drastisch beschränkte, wie sie zu erwähnen
       vergessen. Der Aufstieg der amerikanischen Juden setzte später ein.
       Kulturen wandeln sich, und Einwanderung vollzieht sich oft in Zyklen:
       Während die erste Generation den Wagemut mitbringt, sich in einer neuen
       Umgebung zu behaupten, aber um das nackte Überleben kämpfen muss, schafft
       meist erst die zweite Generation den Aufstieg. Die dritte Generation ruht
       sich dann auf dem Erreichten aus, der Ehrgeiz erlahmt. Dass
       Sekundärtugenden wie Fleiß, Disziplin und Zähigkeit wichtig sind, wenn man
       den Aufstieg von ganz unten schaffen will, ist allerdings eine Binse. Und
       dass die Ausgrenzung durch die Mehrheitsgesellschaft als Antrieb dienen
       kann, doppelt so gut zu sein wie andere, lässt sich über viele Einwanderer
       sagen. Die Auswahl der acht Gruppen, die Chua und Rubenfeld hervorheben,
       wirkt deshalb recht willkürlich.
       
       ## Afroamerikanern fehlts an Biss
       
       Um sie zu rechtfertigen, zitieren sie Statistiken, die zu ihrer These
       passen, reihen Verallgemeinerungen aneinander und lassen alle Fakten weg,
       die stören könnten. Iraner und Kubaner etwa gehörten in ihrer Heimat zur
       Elite, bevor sie vor den Revolutionen in die USA flüchteten. Nigerianer und
       Inder wiederum profitieren statistisch von den Einwanderungsregeln, die
       bestimmte Berufsgruppen und Bildungsabschlüsse bevorzugen. Die
       Oberschicht-Emigration aus Westafrika hat deshalb zu dem Phänomen geführt,
       dass schwarze Studenten aus Afrika an vielen Elite-Unis der USA die
       schwarzen US-Amerikaner übertrumpft haben.
       
       Geradezu zynisch mutet es allerdings an, wenn Chua und Rubenfeld diese
       Entwicklung damit zu erklären versuchen, den Afroamerikanern fehle es wohl
       am richtigen Biss, sich nach oben zu kämpfen, weil sie auf das
       Gleichheitsversprechen der amerikanischen Verfassung vertrauten.
       Leichtfertiger lässt sich das bis heute nachwirkende Erbe der Sklaverei
       nicht relativieren.
       
       Die Pointe des Buches ist: Eine Einwanderin liest ihrer neuen Heimat die
       Leviten, in der festen Überzeugung, der Mehrheitsgesellschaft überlegen zu
       sein. Indem sie ein Loblied auf den Wertekanon jener ethnischen Communitys
       singt, die angeblich noch nicht vom verweichlichten Mainstream der USA und
       dessen „Kultur der sofortigen Belohnung“ korrumpiert seien, feiert sie
       letztlich deren Parallelgesellschaften. Ihre kämpferische Botschaft lautet:
       Move over, altes Amerika – denn der Ehrgeiz vieler Einwanderer bringe sie
       unvermeidlich auf die Überholspur.
       
       Mit ihrem ultrakonservativen Leistungscredo rühren sie auch an die Ängste
       der weißen Mittelschicht, nicht gut genug zu sein, um im globalen
       Wettbewerb bestehen zu können. Diese Befürchtung, die eigenen Kinder
       könnten bald schon von brillanten Emigranten-Nerds überboten werden, gibt
       es nicht nur in den USA. Das ist der Grund, warum es Amy Chua auch wieder
       in die deutschen Bestsellerlisten schaffen dürfte. Leute, die sich ihr Buch
       kaufen werden, haben auch schon Bücher wie „Lob der Disziplin“, „Warum
       unsere Kinder Tyrannen werden“ oder „Warum französische Kinder keine
       Nervensägen sind“ bei Amazon bestellt. Niemand möchte gern zum schlappen
       Rest gehören.
       
       20 Mar 2014
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Daniel Bax
       
       ## TAGS
       
   DIR Emigranten
   DIR Schwerpunkt Rassismus
   DIR Homosexualität
       
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