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       # taz.de -- Die Wahrheit: Scooterman: Endlich wieder Stückgut
       
       > Am Check-in stellte man so ziemlich alles infrage, was ich am Telefon
       > vorher abgesprochen hatte. Musste ich meinen Motor vor dem Abflug
       > ausbauen?
       
       „So“, sagte vor wenigen Wochen ein Mann mit vielen Semestern Medizinstudium
       im Köcher zu mir. „Seit Ihrem letzten Multiple-Sklerose-Schub sind nun rund
       zwanzig Monate vergangen. Sie haben Tabletten geschluckt, bis Sie wieder
       eigenfüßig zu Ihrem Briefkasten im Erdgeschoss vordringen konnten. Sie
       haben sowohl zwei meiner Kollegen als auch mehrere Physiotherapeutinnen aus
       Ihrem behandelnden Umfeld weggebissen und zur Begründung Worte benutzt, die
       die taz-Leserschaft auf dieser Seite einfach nicht sehen will. Seit einigen
       Monaten kann man Sie auf Strecken von bis zu fünfzehn Metern wieder an
       Ihren Stöcken Lewis und Clark erblicken. Oder gar bei nächtlichen Fahrten
       mit Ihrem Elektroscooter Harry sehen. Deshalb würde ich vorschlagen:
       Bündeln Sie Ihren gesamten Mut und brechen Sie auf zu einem Wochenende in
       der Uckermark. Oder gar im Spreewald. Das Zeug dazu haben Sie!“
       
       „Jaja“, antwortete ich, dachte dabei aber deutlich Unfeineres. Es dauerte
       knapp eine Minute, die Adresse des Neurologen aus dem Register zu löschen.
       Und gut eine Woche, Aufträge zu beschaffen, um aus Singapur berichten zu
       können. Und aus Australien. Um sicherzugehen, halbwegs heil hin- und auch
       wieder herzukommen, sollte noch ein Fotograf sowie eine morgenschöne
       Schweizerin mit ins Gepäck Richtung Asien.
       
       Blieb nur noch die Frage, wie Harry mitkommen sollte. Mit 147 Zentimetern
       Länge, rund einem Meter Höhe und knapp drei Zentnern Gewicht war er
       vielleicht ein bisschen sperrig für meinen alten Kulturbeutel.
       
       „Überhaupt kein Problem“, flötete die Dame vom Mobilitätsservice Tegel in
       den Hörer. „Transport von Gehhilfen gehört zum Service. Wenn es Fragen
       gibt, rufen Sie mich einfach an.“ Das war das Letzte, was ich von ihr
       hörte. Kurz nach dem Auflegen ging sie wohl in Urlaub. Ans Telefon
       jedenfalls nicht mehr. Zwei Stunden vor Abflug erreichte ich den
       Check-in-Schalter. Mit einer bemerkenswert dicken Beule am Schädel
       übrigens. Der Fahrer des Spezialtransporters, den ich mir für die Fahrt
       nach Tegel buchte, hatte vergessen, mich darauf hinzuweisen, dass ich
       einige Zentimeter zu groß dafür bin, über die Spezialrampe in seinen
       Spezialladeraum zu rollen. Drei Zentimeter zu groß, um genau zu sein. Die
       Schramme wird bestimmt bald wieder abgeheilt sein.
       
       „Das Auto wollen Sie mit in den Flieger nehmen?“ Am Check-in stellte man so
       ziemlich alles infrage, was ich am Telefon vorher abgesprochen hatte.
       Musste ich vielleicht meinen Motor vor dem Abflug ausbauen? Und was würden
       143 Kilo Zusatzgepäck kosten? Vor allem aber musste ich: warten. Weil
       Jürgen vom Stückgut nämlich gerade Frühstückspause machte. Nach bangen
       Minuten kam Jürgen. Und wurde mein Held.
       
       „Nass- oder Trockenbatterien?“, fragte er knapp. „Trocken“, antwortete ich
       mit trockenem Hals. „Dann ist ja alles klar. Ich nehme das Ding gleich mit
       zum Stückgut. Guten Flug.“
       
       Eine halbe Stunde später stand Harry im Laderaum. Ich saß in einem
       Faltrollstuhl auf meinem Fensterplatz. Richtung Singapur.
       
       18 Mar 2014
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Knud Kohr
       
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