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       # taz.de -- Syrischer Filmemacher über Diplomatie: „Niemand wird den Zivilisten helfen“
       
       > Das haben die internationalen Player geschafft: In nur drei Jahren ist
       > die syrische Gesellschaft fast so zerstört wie Afghanistan, sagt
       > Regisseur Talal Derki.
       
   IMG Bild: Filmstill aus „Homs – ein zerstörter Traum“
       
       taz: Herr Derki, haben Sie am 14. März, also am 3. Jahrestag der syrischen
       Revolution, etwas Besonderes gemacht? 
       
       Talal Derki: Ich durfte in Genf auf dem Filmfestival und internationalen
       Forum für Menschenrechte (FIFDH) den ersten Preis für unseren Film „Homs –
       ein zerstörter Traum“ entgegennehmen. Das war natürlich toll.
       
       Ihr Dokumentarfilm tourt auf Festivals in der ganzen Welt und wird gerade
       mit Preisen überhäuft. 
       
       Wir haben großes Glück! Fast könnte man Hoffnung haben, dass das Schicksal
       der Syrer doch noch jemanden interessiert.
       
       Wann begann für Sie persönlich die Revolution gegen das Assad-Regime? 
       
       Genau vor drei Jahren: Am 18. März 2011 war ich auf dem Filmfestival in
       Thessaloniki. Dort sah ich ein Video, das zeigt, wie syrische Soldaten in
       die Menge schießen, Panik ausbricht und Menschen blutüberströmt auf dem
       Boden liegen bleiben. Ich bin in Tränen ausgebrochen und voller Wut zwei
       Tage später zurück nach Damaskus geflogen. Dort schloss ich mich dann
       Medienaktivisten an. Wir zeigten Leuten, wie man Fotos mit dem Handy macht
       und sie auf Youtube hochlädt. So klein haben wir angefangen – und dann
       steckten wir auf einmal mittendrin in einem Dokumentarfilm über Homs.
       
       Der zeigt, wie aus einem 19-jährigen Fußballprofi ein singender Held des
       friedlichen Aufstands gegen das Assad-Regime und schließlich ein Anführer
       im Häuserkampf von Homs wird. Wie haben Sie Abdul Baset al-Sarout gefunden? 
       
       Zuerst wollte ich eine kurdische Hauptfigur haben, denn ich bin selbst
       Kurde. Aber das hat nicht geklappt. Dann traf ich im Juni 2011 auf Baset.
       Er war damals schon berühmt, als Fußballer, aber vor allem als Stimme des
       friedlichen Protests. Ich blieb zehn Tage in Homs, wir drehten, dann kehrte
       ich nach Damaskus zurück zu meinem Produzenten – und wir beschlossen, einen
       Film über ihn und sein Viertel in Homs zu machen. Wir hatten keine Ahnung,
       wie die Dinge sich entwickeln würden. Damals waren wir noch voller
       Hoffnung.
       
       Ihr Film aber beginnt mit Zweifeln. Eine Stimme aus dem Off fragt: War es
       richtig, was wir gemacht haben? Was sagen Sie heute: War es richtig, das
       Assad-Regime herauszufordern? 
       
       Das ist es ja: Der Preis, den wir zahlen, ist viel, viel zu hoch. Das
       wollte ich mit diesem Anfang erzählen. Wenn man die Zerstörung heute in
       Homs und anderswo sieht, dann frisst einen die Sorge von innen her auf.
       Dann muss man sich fragen: Was ist mit all den Menschen, die dafür
       gestorben sind, nur weil sie das Recht auf ein würdevolles Leben gefordert
       haben? Denn niemand kann den Leuten ihren Sohn zurückgeben, den sie
       verloren haben, oder auch nur das Haus, das sie verlassen mussten.
       
       Ihre Kamera ist ganz nah dran an Baset und seinen Freunden und zeigt, was
       „Häuserkampf“ tatsächlich bedeutet. Solche Bilder hat man in westlichen
       Medien noch nie gesehen. Und wieder fragt man sich: Angesichts der wenigen
       Kämpfer und der schlechten Waffen, die sie haben: Ist es sinnvoll,
       weiterzumachen? Die Männer können doch nur verlieren. 
       
       Baset hat sich entschieden: Egal wie schwer er verletzt wird, er wird immer
       zurückkehren und weiterkämpfen. Das ist ja auch die letzte Szene: Wir sehen
       ihn, wie er überlegt, von außen eine Brigade zu bilden, um seinen
       eingeschlossenen Kameraden zu helfen. Letztlich beschließt er damit, in
       Würde für sein Ziel zu sterben, dass er friedlich an dem Ort leben wollte,
       an dem er geboren wurde. Das ist seine Botschaft, und sie wird überleben.
       
       Haben Sie je versucht, ihn vom Gegenteil zu überzeugen – um ihn zu
       schützen? 
       
       Die ganze Zeit! Wir sagen ihm immer wieder: Komm zurück, du brauchst eine
       Armee, deine 40 Männer sind einfach nicht genug. Baset gibt uns dann recht.
       Und am nächsten Tag ist er wieder an der Front. Baset ist die Stimme der
       Revolution. Er darf nicht aufgeben.
       
       Wann haben Sie das letzte Mal mit ihm gesprochen? 
       
       Vor zwei Wochen via Skype. Die Lage ist katastrophal, die Belagerung
       komplett, es gibt keine Chance, herauszukommen. Also haben wir uns Witze
       erzählt.
       
       Die Friedensverhandlungen in Genf sind gescheitert und die USA und Russland
       dank der Krise in der Ukraine noch zerstrittener – was ist Ihre Prognose
       für 2014? 
       
       Am Ende wird es eine politische Lösung geben für Syrien – aber noch sind
       wir nicht am Ende. Noch fehlt es den Großmächten am politischen Willen, um
       nach einer Lösung zu suchen. Sie ziehen es vor, sich in eine Art Kalter
       Krieg zu verstricken, und schauen zu, wie Syrer sich gegenseitig umbringen.
       Das Assad-Regime wiederum sendet seinen Segen und öffnet die Grenzen für
       Dschihadisten aus aller Welt. Die Entwicklung zu einem Religionskrieg liegt
       in seinem Interesse, denn es schwächt die Rebellen – und es hält die USA
       von einer Intervention ab.
       
       Die Kämpfe werden also nicht abnehmen? 
       
       Nein. Syrien droht ein neues Afghanistan zu werden. Wenn wir Assad
       losgeworden sind, wird der Kampf gegen die Islamisten weitergehen.
       Gleichzeitig werden die Großen, also die USA, Russland, Saudi-Arabien und
       der Iran, weiter ihre Interessenkonflikte in Syrien austragen. Niemand wird
       den Zivilisten helfen. Den letzten Satz sagen zu müssen, fällt mir
       unendlich schwer.
       
       18 Mar 2014
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Ines Kappert
       
       ## TAGS
       
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