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       # taz.de -- Akademikerball-Gegner bleibt in Haft: In dubio contra reum
       
       > Josef S. protestierte in Wien gegen ein rechtes Treffen. Er ist seit
       > sieben Wochen inhaftiert, obwohl die Polizei keine Beweise für ihre
       > Anschuldigungen vorlegt.
       
   IMG Bild: Klare Ansage: Demozug gegen den Wiener Akademikerball.
       
       BERLIN taz | Kein anderes politisches Ereignis bringt in Österreich mehr
       Menschen auf die Straßen. Rund 8.000 Menschen demonstrierten am 24. Januar
       2014 gegen den Akademikerball (bis 2013: Wiener Korporations Ring Ball) der
       rechten FPÖ. 400 Besucher waren deren Einladung in die Wiener Hofburg
       gefolgt, so wenige wie noch nie. „Unseren Hass, den könnt ihr haben“, hieß
       es unmissverständlich im Aufruf des linksradikalen Bündnisses „No WKR“, das
       parallel zum gemäßigteren Bündnis „Offensive gegen Rechts“ zu einer
       eigenständigen Demonstration mobilisierte.
       
       Das alljährliche Treffen des rechten Establishments, der Burschenschaftler
       und reaktionären Parteienvertreter ist in Wien ein gesellschaftliches
       Ereignis ersten Ranges. Dass dies so ist, liegt keineswegs nur an den
       befrackten und beballkleideten Konservativen und Nationalisten, [1][die
       sich gegenseitig in ihrem gefühlten Elitestatus bestärken], sondern vor
       allem an den tausenden Demonstranten, die sich ihm entgegenstellen.
       
       Auch hunderte Demonstranten aus Deutschland waren in Wien vor Ort, aus
       mindestens sieben Städten sollen Busse angereist sein. Einer der
       Teilnehmer, Josef S., war aus Leipzig gekommen und wurde im Verlauf des
       Abends festgenommen. Bis heute sitzt das Mitglied der „Sozialistischen
       Jugend – Die Falken“ in Jena, in Untersuchungshaft. Nach Angaben seiner
       Anwältin Kristin Pietrzyk aus Jena, die S. zusammen mit einem
       österreichischen Kollegen vertritt, wird ihm vom der Staatsanwaltschaft
       „alles vorgeworfen, was in Wien passiert ist“. Die Tatvorwürfe umfassen
       Widerstand gegen die Staatsgewalt, Sachbeschädigung, versuchte schwere
       Körperverletzung, Landfriedensbruch und Rädelsführerschaft.
       
       Die Auseinandersetzungen hatten begonnen, als die Demonstranten am
       Stephansplatz, nicht weit von der Hofburg entfernt, auf Polizisten stießen,
       die die Demo auflösen wollten. Die Bilanz: Über 20 verletzte Demonstranten
       und Polizisten, Sachbeschädigungen, Klagen über unverhältnismäßig hartes
       Vorgehen der Polizei und insgesamt 14 Festnahmen. 13 der Inhaftierten
       wurden noch in derselben Nacht entlassen, S. dagegen zunächst mit der
       Begründung der Verdunkelungsgefahr festgehalten.
       
       ## Haft als Erziehungsmaßnahme
       
       Bei einer ersten Haftprüfung am 10. Februar hieß es von Seiten der
       Ermittlungsbehörden, zwei Wochen Untersuchungshaft hätten „keinen
       ausreichenden erzieherischen Charakter“ gehabt, wie Pietrzyk berichtet. Die
       Fortführung der Haft wird mit einer „Tatbegehungsgefahr“ begründet, also
       der Möglichkeit einer Wiederholung der Taten – nicht nur für seine Anwältin
       eine „fragwürdige“ Begründung.
       
       Mittlerweile liegt der Fall beim Gericht, das am Freitag einen
       „Enthaftungsantrag“ der Verteidigung ablehnte. „Die Aktenlage ist unklar,
       die Polizei bezieht sich auf Beweise, die auch dem Richter noch nicht
       vorliegen“, sagt Pietrzyk. Demnach bleibt S. in Haft, weil die Polizei
       Beweise für seine Schuld haben könnte. „Das Prinzip 'In dubio pro reo' gilt
       nicht mehr“, so die Anwältin.
       
       Festgenommen wurde der 23-Jährige eine Stunde nach Beginn der
       Auseinandersetzungen am Josef-Meinrad-Platz, etwa einen Kilometer östlich
       vom Stephansplatz. Die Lage hatte sich schon wieder beruhigt, Polizeikräfte
       und vereinzelte Gruppen von Demonstranten standen über den Platz verteilt,
       als S. nach Augenzeugenberichten unvermittelt von zwei vorbeischlendernden
       Polizisten herausgegriffen wurde. Was die Beamten auf ihn aufmerksam
       machte, war möglicherweise der große weiße Schriftzug „Boykott“ auf dem
       Rücken seiner schwarzen Jacke; offenbar genug, um ihn als Rädelsführer des
       „Schwarzen Blocks“ zu klassifizieren.
       
       Ein [2][Video], das das [3][Online-Magazin Vice] in einem Artikel
       veröffentlichte, zeigt den vermeintlichen Randalierer, wie er einen
       umgestoßenen Mülleimer wieder aufstellt. Vorgeworfen wird ihm hingegen,
       diesen auf Polizisten geworfen zu haben. Weiterhin berichtet die Vice, dass
       S. federführend an einem Angriff auf eine Polizeiwache beteiligt gewesen
       sein soll. Das österreichische Team des Internetmagazins verweist jedoch
       darauf, dass S. in keinem der Videos von dem Vorfall auftaucht.
       
       ## Geschürte Angst vor den Krawalltouristen
       
       Die Angst vor Krawallen schürten Medien und Polizei schon Wochen vor dem
       Akademikerball. Für den Tag selbst hatte die Polizei eine [4][neun Bezirke
       umfassende Zone rings um die Hofburg zur Bannmeile erklärt] und ein
       „Schalverbot“ verhängt – womit sie sich das Recht einräumte, alle Menschen
       nach gefährlichen Gegenständen oder zur Vermummung geeigneten
       Kleidungsstücken zu kontrollieren.
       
       Begründet hatte sie die Maßnahme insbesondere mit der Angst vor deutschen
       Krawallmachern. Diese seien „aus einem ganz anderen Holz“ als die
       überwiegend friedlichen österreichischen Ballgegner, wie Erich Zwettler
       Leiter des Wiener Landesamts für Verfassungsschutz und
       Terrorismusbekämpfung im Vorfeld zu wissen schien.
       
       Ihre eigene Prophezeiung hat die Polizei durch die Inhaftierung des
       deutschen Falken-Mitglieds selbst bestätigt. Befeuert wird die Darstellung
       der deutschen Krawalltouristen durch österreichische Medien. Die in Wien
       erscheinende Tageszeitung Kurier [5][schrieb]: „Die Gewaltakte gegen
       Polizei und Geschäfte gingen vom „Schwarzen Block“ aus – einer gut
       organisierte Formation von Anarchisten, großteils aus Deutschland.“ Für
       Anwältin Pietrzyk eignet sich dagegen ein Deutscher besonders gut dafür,
       als Schuldiger für die Eskalation im sonst so beschaulichen Wien
       herzuhalten.
       
       Dass S. wohl bis zu einer Verhandlung, deren Beginn sich noch Monate
       hinziehen kann, in Haft bleiben muss, ist für seine Anwältin auch auf die
       [6][Stimmungsmache der FPÖ] und Medien zurückzuführen. Die FPÖ hetzt mit
       Verve gegen die „linken Chaoten“, während alle anderen Parteien schweigen.
       Auch über die Polizeigewalt mag niemand sprechen. Für Pietrzyk ein „ganz
       klares Signal“ an die Justiz, möglichst unnachgiebig zu sein.
       
       ## Solidarität der linken Szene
       
       In der linken Szene Deutschlands und Österreichs ist der „Fall Josef“
       vermutlich auch deshalb auf großen Widerhall gestoßen. Binnen zweier Wochen
       formierten sich [7][Soli-Gruppen] in Wien und Jena, die seitdem versuchen,
       Aufmerksamkeit für den Fall zu erzeugen und Unterstützung für S. zu
       organisieren.
       
       Neben der Dokumentation des Falles und dem Kontakt zu S., der aufgrund
       eines bis vergangene Woche bestehenden Besuchsverbots bislang nur über
       Briefe stattfinden konnte, wurden Kundgebungen in Wien, Jena und Hannover
       organisiert. Für die breite, szeneinterne Wahrnehmung des Falles sprechen
       dutzende Bilder auf der Website der Soligruppe, die Antifaschisten quer
       durch Europa zeigt, die seine Freilassung fordern.
       
       Bereits im Vorfeld hatten die Organisatoren der Proteste vereinbart, wenn
       nötig im Nachhinein Solidaritätsarbeit zu leisten, wie Neva, Aktivistin der
       Wiener Soligruppe berichtet. Für sie und ihre Mitstreiter handelt es sich
       um einen Prozess, der ein „Exempel statuieren“ und S. als Hauptschuldigen
       präsentieren soll. Für Neva steht jedoch fest: „Die Repression richtet sich
       nicht allein gegen Einzelpersonen, sondern gegen die ganze
       antifaschistische Bewegung, die eingeschüchtert werden soll.“
       
       14 Mar 2014
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] http://www.youtube.com/watch?v=E17-DYi8w8M
   DIR [2] http://www.youtube.com/watch?v=qo4T0VeEJ6s
   DIR [3] http://www.vice.com/de/read/die-rache-der-wiener-polizei-an-den-deutschen-krawalltouristen/?utm_source=vicefb
   DIR [4] http://diepresse.com/home/politik/innenpolitik/1552300/Akademikerball_Wiener-City-wird-Sperrzone
   DIR [5] http://kurier.at/chronik/wien/akademikerball-polizei-ermittelt-gegen-einen-groesseren-personenkreis/49.103.731
   DIR [6] http://www.hcstrache.at/linke-chaoten-ziehen-spur-der-verwuestung-durch-wien/
   DIR [7] http://soli2401.blogsport.eu/
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Erik Peter
       
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