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       # taz.de -- Hexen-Gedenken: Optimierte Erinnerung
       
       > Der Osnabrücker Stadtrat hätte als Hexen verurteilte Männer und Frauen
       > gerne freigesprochen, doch die Rehabilitierung ist juristisch unmöglich
       
   IMG Bild: Juristisch nicht rückgängig zu machen: Folter verurteilter Hexen.
       
       OSNABRÜCK taz | Einstimmig wurde im September 2012 im Rat der Stadt
       Osnabrück ein Antrag der FDP-Fraktion angenommen, „die im Rahmen der
       sogenannten Hexenprozesse im Bereich der Stadt Osnabrück verurteilten
       Personen zu rehabilitieren“. Damit wolle der Rat „einen Beitrag leisten,
       damit die Ehre der durch die Hexenprozesse verfolgten und hingerichteten
       Bürgerinnen und Bürger wieder hergestellt wird. Er tut das auch, um im
       Namen aller Demokraten die damaligen Taten als Unrecht zu benennen und den
       Schmerz darüber auszudrücken“. Aber: Die rund 280 Frauen und Männer, die in
       Osnabrück der Hexenverfolgung zum Opfer fielen, sind und bleiben
       verurteilte Hexen. Ihre juristische Rehabilitation ist nicht möglich, denn
       es gibt keinen Rechtsnachfolger des 1806 untergegangenen Heiligen Römischen
       Reichs Deutscher Nation.
       
       Auch der heutige Rat der Stadt Osnabrück kann nicht als
       Nachfolgeinstitution der Stadträte angesehen werden, die die Urteile
       aussprachen, denn deren damalige Ratsherrschaft endete in Osnabrück in der
       napoleonischen Zeit und wurde nach dem Übergang der Stadt an das Königreich
       Hannover 1813/14 in der alten Form nicht wieder eingeführt.
       
       Für Renate Frankenberg hat der Antrag ohnehin nur „mit der
       Profilierungssucht eines einzelnen Politikers zu tun“. Frankenberg ist
       Historikerin und Theologin und hat vor 17 Jahren „Zeitseeing“ gegründet,
       ein im Rathaus Osnabrück ansässiges Unternehmen, das Stadtführungen
       anbietet und BesucherInnen des Rathauses Rede und Antwort steht zu Fragen
       rund um die Osnabrücker Geschichte. Die Idee der Hexen-Rehabilitierung,
       sagt sie, habe der pensionierte Pfarrer Hartmut Hegeler nach Osnabrück
       getragen. Das Thema sei von der Neuen Osnabrücker Zeitung aufgegriffen und
       vom FDP-Fraktionsvorsitzenden gelesen worden, der es dann im Rat
       thematisiert habe.
       
       ## Reichhaltige Gedenkkultur
       
       Dabei, sagt sie, gebe es in Osnabrück eine reichhaltige und lebendige
       Gedenkkultur, auch in Sachen Hexenverfolgung. In der Tat: Rund 60
       Stadtführungen jährlich widmen sich dem Thema Hexenverfolgung genauso wie
       Exponate im Kulturgeschichtlichen Museum und ein Abschnitt des
       „Bürgerbrunnens“ von Hans-Gerd Ruwe auf dem Platz des Westfälischen
       Friedens. Der im 13. Jahrhundert an der Stadtmauer errichtete Bucksturm
       diente im 16. und 17. Jahrhundert als Gefängnis und Folterkammer für
       angebliche Hexen und zeigt heute eine detaillierte Ausstellung zur
       Hexenverfolgung in Osnabrück.
       
       Auch Schaukästen im nachgebauten Kümpersturm an der Großen Straße
       informieren darüber, denn hier wurde die „Wasserprobe“ vorgenommen, bei der
       die Angeklagten gefesselt in die Hase geworfen wurden. Die
       Erinnerungsstätte „Hexenwahn“ an der Mühlenstraße besteht aus zwei großen
       Fassadenbildern von Axel Gundrum, und im Rathaus ist einer der vier
       Sitzungsräume nach der 1636 hingerichteten Anna Ameldung benannt und mit
       einer Infotafel über das Schicksal der Apotherkersfrau beschildert. „Aber
       eine Rehabilitation der Frauen und Männer ist nicht möglich“, sagt
       Frankenberg – und auch nicht nötig: „Dass diese Menschen unschuldig waren,
       weiß heute ohnehin jeder.“
       
       Ganz anders verhalte es sich mit der Trennung von Mythos und Wahrheit: „Der
       größte Teil der Menschen, den ich bei den Stadtführungen kennenlerne, ist
       immer noch der Überzeugung, dass im Mittelalter rothaarige, weise
       Kräuterfrauen und Hebammen durch die katholische Kirche hingerichtet worden
       sind.“ Dabei war es der Rat der Stadt, der für die Hexenprozesse in
       Osnabrück verantwortlich war, in den schon lange nicht mehr
       mittelalterlichen 1580er-Jahren unter Bürgermeister Rudolf Hammacher und in
       den 1630er-Jahren unter Bürgermeister Wilhelm Pelzer. Beide Männer waren
       Lutheraner.
       
       ## Kolportierte Unwahrheiten
       
       „Auch das mit den weisen Kräuterfrauen ist Blödsinn – die waren damals
       nämlich hoch angesehen in der Gesellschaft“, sagt Frankenberg. Kolportiert
       würde diese Unwahrheit vor allem von Feministinnen und EsoterikerInnen:
       „Erst neulich hatte ich eine Führung mit einer Esoterik-Gruppe, und die
       Teilnehmerinnen haben mir ins Gesicht gesagt: Egal, was Sie uns erzählen,
       wir glauben Ihnen nicht.“ Frankenberg machen die selbsternannten Hexen des
       20. und 21. Jahrhunderts wütend: „Jahrelang haben mitten auf dem Marktplatz
       in jeder Walpurgisnacht Feministinnen ein Feuer angezündet und sind
       drumherum getanzt. Wie kann man bloß in Erinnerung an ein so furchtbares
       Verbrechen umherhüpfen und ein fröhliches Fest feiern?“
       
       Frankenberg ist an der historischen Wahrheit gelegen. Und während sie sich
       bemüht, ihren Teil zur Wahrheitsfindung beizutragen, plant das Kulturamt
       der Stadt Osnabrück im Laufe des Jahres „entsprechend den zur Verfügung
       stehenden Ressourcen“ die „Optimierung der bisherigen Formen der Erinnerung
       und der Vermittlung der Geschichte der in Osnabrück als Hexen verurteilten
       Bürgerinnen und Bürger“ – anstelle einer Rehabilitierung, die ohnehin nur
       eine symbolische gewesen wäre.
       
       13 Mar 2014
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Simone Schnase
       
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