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       # taz.de -- Die Wahrheit: Von Mardern und Menschen
       
       > Sogar temporäre Nachbarn sind anstrengende, weil lärmende Wesen. Ganz
       > besonders wenn sie im Zug ihre Sekretärinnen anpfeifen.
       
   IMG Bild: Dudelt nachts krank vor sich hin, das Hirn.
       
       Es gibt ja Leute, die wundern sich, wenn Ethnien, die eben noch miteinander
       auskamen, sich plötzlich die Schädel einschlagen: „Das sind doch Nachbarn!“
       
       Eben, möchte ich dann immer antworten. Wer weit weg ist, kann mir egal
       sein, mein Nachbar dagegen … eine falsche Bewegung, und es knallt. Ich
       hatte schon Nachbarn, die das Radio aufdrehten, damit der Marder aufhört zu
       lärmen. Volksmusik. Ja, der Marder schwieg verdutzt, doch nicht für lange.
       Dann gab es eine wochenlange Sound-Eskalation. Am Ende sangen die Nachbarn
       zur Gitarre. Das konnte der Marder nicht. Ich sah, wie er frustriert sein
       Bündel schnürte, aber erst, nachdem er alle unsere Äpfel aufgefressen
       hatte.
       
       Nachbarn mit Akkordeons, Nachbarn mit Partyscheune, mit Kampfhundzucht, mit
       Kindermotorrädern. Um mich herum wohnten schon Dezibeelzebuben aller Art.
       Sehr stolz war ich mal auf die Anlage eines Froschteichs als Geheimwaffe,
       bis mir auffiel, dass auch mein Schlafzimmerfenster im Einzugsbereich der
       grünen Teufel lag.
       
       Viel schlimmer als stationäre Nachbarn sind widersinnigerweise temporäre.
       Zum Beispiel in der Bahn – man wird sie zwar schnell wieder los, aber
       leider vereinigen sie alle hassenswerten Eigenschaften der Menschheit auf
       sich und konzentrieren das Böse mit Hilfe ihrer Evil-Kondensatoren aus dem
       Bahn-Bonusprogramm genau in meine Richtung, während ich nicht an die
       Notbremse komme.
       
       Nicht gut riechen, Müll rumliegen lassen und Heftchen lesen mit Sätzen wie
       „Hatte Ihr Bruder etwa Geschlechtsverkehr mit dieser Tänzerin?“ – das alles
       qualifiziert dazu, im ICE auf einen Sitz in meiner Nähe zu plumpsen.
       Moment, der Zug hält ja noch, da kann man rasch heraus springen und Essen
       besorgen. Es gibt an jedem Bahnhof einen Stand, in dem Sondermüll nach
       Stinkkategorien sortiert wird, ehe man ihn an Reisende verkauft.
       
       Fünf Minuten nach der Abfahrt wird dann die Sekretärin durchs Telefon
       angepfiffen, die Müller solle keinen Blumenstrauß kriegen, obwohl sie schon
       vier Wochen krank sei, man habe schließlich eine Karte geschickt. Lieber
       solle man sie zum Gespräch einbestellen, sobald sie wieder krauchen kann.
       Zwischendurch wird von belastbaren Zahlen und dem C-Kunden-Bereich
       geschwafelt.
       
       Obwohl ich immer noch nicht bewundernd mit den Ohren schlackere, sehe ich
       offenbar aus wie das geborene Publikum. Denn der Mann lässt nicht locker:
       Jahresbonus, Strukturverbesserung, 100 Prozent umsetzen. Ich frage mich
       inzwischen, ob eine Wettbewerbsausschreibung zum Langweiler des Jahres eine
       belastbare Geschäftsidee sein könnte.
       
       Meine Flucht in den Speisewagen endet bei den sieben Schrankkoffern, die
       dort stehen. Sie gehören Menschen, denen ein Umzugswagen zu teuer ist und
       die viel Vertrauen in die Deutsche Bahn haben. Von hinten naht Karl-Heinz
       Schnarch im teuren Dreiteiler, immer noch in sein Telefon blahend, vorn
       dräut eine Wand wie von Samsoniten erbaut. Und die Toilette ist natürlich
       wieder gesperrt.
       
       11 Mar 2014
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Susanne Fischer
       
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