URI: 
       # taz.de -- Verschwendung von Steuergeld: Ein profitabler Auftrag
       
       > Im Mediationsverfahren zur Sanierung des Landwehrkanals hat das Wasser-
       > und Schifffahrtsamt hunderttausende Euro für PR bezahlt.
       
   IMG Bild: Jahrelang beschäftigte sich ein Mediationsverfahren mit den Bäumen am Landwehrkanal
       
       Das Wasser- und Schifffahrtsamt in Berlin hat jahrelang eine freiberufliche
       Kommunikationsberaterin für rund 10.000 Euro im Monat beschäftigt. Ihre
       Aufgabe war, während des Mediationsverfahrens zur Sanierung des
       Landwehrkanals den Kontakt zu Anwohnern und Medien zu halten. Der taz
       liegen interne Unterlagen aus der Behörde vor ([1][Teil 1], [2][Teil 2]),
       die diese Steuergeldverschwendung belegen und außerdem die Frage aufwerfen,
       ob hier ein Fall von illegaler Scheinselbstständigkeit vorliegt.
       
       Die Geschichte nimmt ihren Anfang im Jahr 2007: Das Wasser- und
       Schifffahrtsamt will Bäume entlang des Landwehrkanals fällen, um das Ufer
       zu entlasten. Rund 1.000 Menschen demonstrieren dagegen in Kreuzberg, mehr
       als 20.000 Unterschriften kommen zusammen. Dem damaligen Amtsleiter Hartmut
       Brockelmann wird mangelhafte Kommunikation vorgeworfen, er kommt in der
       Presse schlecht weg, es gibt Rücktrittsforderungen (siehe die [3][damalige
       taz-Berichterstattung]).
       
       Der Amtsleiter holt sich Hilfe von der freiberuflichen
       Kommunikationsberaterin Evelyn B., um sein Image und das des Amtes zu
       retten. „Sie wurde da als Puffer reingeholt“, erinnert sich Achim Appel vom
       Bürgerverein „Bäume am Landwehrkanal“.
       
       ## Ausschreibung erst nach zwei Jahren
       
       Für Brockelmann selbst kommt die Hilfe zu spät: Er wird kurz darauf
       abberufen. Aber Evelyn B. bleibt. Sie übernimmt die Presse- und
       Öffentlichkeitsarbeit während des nun startenden Mediationsverfahrens. Das
       Wasser- und Schiffahrtsamt, das als Bundesbehörde dem damaligen
       Verkehrsminister Wolfgang Tiefensee untersteht, holt für dieses Verfahren
       alle beteiligten Stellen an einen Tisch: Senat und Bezirke, Unternehmen und
       Verbände, Denkmalamt und Bürger. Und weil so viele verschiedene Stellen
       beteiligt sind, kommt das Verfahren nur sehr zäh voran.
       
       Als gut zwei Jahre später absehbar ist, dass das Verfahren noch länger
       dauern wird, entscheidet sich das Amt, die Dienstleistung der Presse- und
       Öffentlichkeitsarbeit auszuschreiben. Es gehen nur fünf Bewerbungen ein.
       Der Auftrag geht an die Frau, die ihn auch bisher schon hatte: Evelyn B.
       
       ## 62,47 Euro pro Stunde
       
       „Wir waren sehr zufrieden mit ihr“, sagt Anwohner Achim Appel. Sie habe
       „ein modernes Kommunikationsverfahren reingebracht“, sei stets ansprechbar
       gewesen und habe zwischen Bürgern und Behörde vermittelt.
       
       Auch Evelyn B. dürfte sehr zufrieden damit gewesen sein, weiter als
       Freiberuflerin für das Amt zu arbeiten - denn der Vertrag mit ihr sieht
       beachtliche Konditionen vor: Sie kann für jede Arbeitsstunde 50 Euro
       abrechnen. Plus 19 Prozent Mehrwertsteuer. Plus 5 Prozent pauschaler
       Zuschlag für Nebenkosten. Macht brutto 62,47 Euro die Stunde.
       
       Für Freiberufler, die ab und zu mal auf Stundenbasis für einen Auftraggeber
       arbeiten, ist das vielleicht nicht ungewöhnlich. Aber Evelyn B. arbeitet
       über Jahre hinweg [4][im Durchschnitt 40 Stunden pro Woche] für das Wasser-
       und Schifffahrtsamt. Laut den Verträgen erhält sie zwischen Juli 2010 und
       Januar 2013 [5][insgesamt 304.503 Euro], das sind knapp 10.000 Euro im
       Monat. Auf Seiten des Amtes werden die Verträge von dem derzeitigen
       Amtsleiter Michael Scholz [6][persönlich unterzeichnet].
       
       ## Relativ konstanter Arbeitsaufwand
       
       Scholz verteidigt den Auftrag, der in einem freihändigen Verfahren an
       Evelyn B. ging: „Die gewählte Vergabeart ist im Rahmen des
       Verwaltungshandelns zulässig. Auf diese Weise konnte schnellstmöglich nach
       Auswahl eine Beauftragung erfolgen.“
       
       Die Arbeit von Evelyn B. für das Amt endet erst im Januar 2014, kurz
       nachdem auch das jahrelange Mediationsverfahren vorbei ist. Sie war also
       gut sechs Jahre für das Amt tätig. In der Zeit gab es zu einigen
       Spitzenzeiten eine erhöhte Aufmerksamkeit in den Medien und der
       Öffentlichkeit, zwischendurch war es aber auch mal länger sehr ruhig um das
       Verfahren. Wie erklärt sich, dass der Arbeitsaufwand trotzdem über Jahre
       hinweg recht konstant blieb und immer ungefähr so groß war, dass eine
       Person damit vollzeit beschäftigt war? Amtsleiter Scholz verweigert die
       Antwort: „Ihre Fragen betreffen zum Teil Vertragsinhalte, deren
       Veröffentlichung schutzwürdige private Interessen verletzen und öffentliche
       Interessen gefährden würden.“
       
       Warum wurde nie geprüft, ob die Leistung auch günstiger erbracht werden
       kann? Keine Antwort von Scholz.
       
       Warum hat das Amt trotz seiner rund 400 Mitarbeiter die Presse- und
       Öffentlichkeitsarbeit für das Mediationsverfahren nicht selbst erledigt?
       Keine Antwort.
       
       ## Auffällige Stückelung des Auftrages
       
       Auffällig ist, dass das Wasser- und Schifffahrtsamt den Auftrag an Evelyn
       B. in eine Reihe von zeitlich begrenzten Teilaufträgen gestückelt hat. Der
       ursprüngliche Vertrag vom Juli 2010 [7][lief nur über zwölf Monate]. Dann
       wurde der Vertrag verlängert. Die internen Unterlagen zeigen, dass dem Amt
       zu diesem Zeitpunkt [8][bewusst war], dass das Mediationsverfahren
       "mindestens bis Ende 2011" läuft, also höchstwahrscheinlich länger als bis
       zu diesem Zeitpunkt. Trotzdem wurde die Tätigkeit von Evelyn B. in dem
       Folgevertrag [9][auf Ende 2011 befristet]. Insgesamt gab es [10][fünf
       zeitlich befristete Verträge], der letzte lief bis zum 31. Januar 2013.
       
       Der sechste Vertrag war dann zeitlich unbefristet. Es heißt in dem Dokument
       zwar zunächst, die Arbeit von Evelyn B. sei "[11][noch für ca. 2 Monate
       notwendig]". Aber ein genaues Datum ist nicht mehr festgelegt, sondern als
       Termin ist diesmal der [12]["Abschluss der Mediationsvereinbarung"]
       genannt. Am Ende dauerte es bis dahin dann nicht zwei Monate, sondern gut
       zehn Monate.
       
       ## Selbstständig oder scheinselbstständig?
       
       Warum hat das Amt den Auftrag derart gestückelt? War das Ziel, die
       einzelnen Auftragssummen niedrig zu halten, weil nur bei niedrigen
       Auftragssummen eine freihändige Vergabe an die gewünschte Auftragnehmerin
       möglich ist? "Die Verträge wurden entsprechend des geplanten Verlaufs des
       Mediationsverfahrens befristet", heißt es in der Stellungnahme von
       Amtsleiter Michael Scholz. Sprich: Sein Amt hatte ja eigentlich geplant,
       dass das Mediationsverfahren viel kürzer dauert, es kam dann aber immer
       etwas dazwischen.
       
       Aber warum hat das Amt eigentlich bis zuletzt keine
       Sozialversicherungsbeiträge für Evelyn B. abgeführt? Schließlich stellt
       sich hier die Frage, ob man bei jahrelanger Vollzeitarbeit für einen
       Auftraggeber überhaupt noch von Selbstständigkeit sprechen kann oder ob es
       sich doch eher um Scheinselbstständigkeit handelt. Hier wieder: Keine
       Antwort des Amtsleiters.
       
       Haben Sie weitere Informationen zu diesem Fall? Sie erreichen den Autor des
       Artikels unter heiser@taz.de oder 030/25902-140.
       
       10 Mar 2014
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] http://www.documentcloud.org/documents/1061103-vergabevermerke-offentlichkeitsarbeit.html
   DIR [2] http://www.documentcloud.org/documents/1062681-offentlichkeitsarbeit-landwehrkanal.html
   DIR [3] /1/archiv/archiv/
   DIR [4] http://www.documentcloud.org/documents/1061103-vergabevermerke-offentlichkeitsarbeit.html#document/p3/a148158
   DIR [5] http://www.documentcloud.org/documents/1061103-vergabevermerke-offentlichkeitsarbeit.html#document/p14/a148153
   DIR [6] http://www.documentcloud.org/documents/1061103-vergabevermerke-offentlichkeitsarbeit.html#document/p16/a148155
   DIR [7] http://www.documentcloud.org/documents/1061103-vergabevermerke-offentlichkeitsarbeit.html#document/p1/a148162
   DIR [8] http://www.documentcloud.org/documents/1061103-vergabevermerke-offentlichkeitsarbeit.html#document/p2/a148160
   DIR [9] http://www.documentcloud.org/documents/1061103-vergabevermerke-offentlichkeitsarbeit.html#document/p2/a148165
   DIR [10] http://www.documentcloud.org/documents/1061103-vergabevermerke-offentlichkeitsarbeit.html#document/p14/a148153
   DIR [11] http://www.documentcloud.org/documents/1061103-vergabevermerke-offentlichkeitsarbeit.html#document/p17/a148169
   DIR [12] http://www.documentcloud.org/documents/1061103-vergabevermerke-offentlichkeitsarbeit.html#document/p17/a148170
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Sebastian Heiser
       
       ## TAGS
       
   DIR Selbstständige
   DIR Mehrwertsteuer
   DIR Berlin
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
   DIR Freiberufler oder Scheinselbstständige: Solisten gegen die Sozialgesetze
       
       Freiberufler in der IT-Branche sammeln Unterschriften gegen die „Hexenjagd“
       der Rentenversicherung auf „Scheinselbstständige“.
       
   DIR Gutachten zur Mehrwertsteuerreform: Kleine Leute müssten draufzahlen
       
       7 Prozent auf Kartoffeln, 19 Prozent auf Süßkartoffeln – solch absurde
       Steuersätze wollen Experten und Politiker angleichen. Die Reform ginge
       zulasten der Geringverdiener.
       
   DIR Entgeld für ehrenamtlich Engagierte: Aus dem Gleichgewicht
       
       Bei aufwendigen Verfahren zur Bürgerbeteiligung sitzen gut bezahlte
       Behördenvertreter mit ehrenamtlich arbeitenden Bürgern an einem Tisch, die
       nicht mal ihre Telefonkosten zurückbekommen.