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       # taz.de -- Die Lust der Frauen: Endlich wieder begehren
       
       > Langzeitbeziehungen sind eine erotische Herausforderung. Viele Paare
       > hoffen, mit Tipps vom Therapeuten ihre Lust wiederzuentdecken.
       
   IMG Bild: Langzeitbeziehungen müssen nicht nur auf der Fernsehcouch stattfinden.
       
       Er hilft ihr aus dem Mantel. Sie lacht über seine Scherze. Manchmal
       berühren sie sich, an den Armen, an der Schulter. Thomas, 55, und Katrin,
       52, sehen aus wie ein Paar, bei dem es gut läuft.
       
       Aber es läuft nicht gut. Thomas und Karin haben keinen Sex mehr. Jetzt
       sitzen sie nebeneinander in einer kleinen, schmucklosen Beratungsstelle,
       versunken in zwei Sesseln. Thomas wippt nervös mit dem Fuß, Katrin hat ihn
       hierher gebracht. Seit einiger Zeit gehen die beiden abends zusammen ins
       Bett, geben sich einen Gute-Nacht-Kuss, dann dreht sich jeder auf seine
       Seite. Thomas sagt: „Wir lieben uns …“ Sie sind seit zwanzig Jahren
       miteinander verheiratet.
       
       Langzeitbeziehungen sind eine erotische Herausforderung. Nichts ist einem
       so vertraut wie der Körper des anderen: Wie er riecht, welche Unterwäsche
       sie trägt, wann sie schwitzt und wie sein Orgasmus klingt. Katrin sagt:
       „Seit fünf Jahren …“ Thomas unterbricht sie: „Es fing eigentlich schon
       früher an, damals, als die Kinder kamen.“ Kita, Schule, Jobs, Haushalt.
       Mehr Stress, weniger Schlaf. Der Klassiker.
       
       „Lassen Sie mich raten“, sagt der Therapeut: „Sie haben Sex aufs Wochenende
       verschoben.“ Nicken. „Aber dann kam doch wieder das Fußballturnier Ihres
       Sohns dazwischen.“ Wieder Nicken. „Und wenn Sie mal Sex hatten, hat es
       nicht mehr geprickelt.“ Heftiges Nicken. „Haben Sie noch was ausprobiert im
       Bett?“ Kopfschütteln.
       
       ## Sexuelle Beziehungen als Resteessen
       
       Wie jede Liebesgeschichte ist die von Katrin und Thomas zwar einzigartig,
       aber nichts Besonderes. „Sexuelle Beziehungen sind immer eine Art
       Resteessen“, sagt David Schnarch. Der amerikanische Sexualtherapeut ist
       spezialisiert auf libidinös erschlaffte Beziehungen. Er hat Bücher
       geschrieben, die Titel tragen wie „Intimität und Verlangen“. Schnarch sagt:
       „Wenn die Liebe brennt, schwingen sich beide nackt vom Kronleuchter.“ Aber
       bald werde abgecheckt: Ich will im Bett das und das nicht, du willst
       dieses, aber jenes nicht. Okay, dann einigen wir uns auf das, was übrig
       bleibt. Den Rest eben. Und der sei irgendwann langweilig.“
       
       Thomas und Katrin waren mal sehr scharf aufeinander. Sie wollen, dass es
       bei ihnen wieder läuft. Der Therapeut fragt, vorsichtig, hinweisend, er ist
       mehr Moderator als Ratgeber. Die beiden reden. Über sich, den anderen,
       miteinander. Denken nach, verstehen. Über eine Stunde lang, das haben sie
       schon ewig nicht mehr gemacht. Sie sehen aus, als seien sie froh darüber.
       Und dann sagt Thomas diesen Satz: „Katrin hat zugenommen. Das hat mich
       total abgetörnt.“ Katrin sinkt in den Sessel. Was soll das denn jetzt?
       Thomas wedelt entschuldigend mit der Hand: „Katrin ist sehr versorgend, sie
       kann wunderbar kochen, sie ist eine gute Mutter.“
       
       „Zu viel Muttermilch“, sagt Wolfgang Krüger, wenn er solche Sätze hört. Der
       Beziehungsberater ist so eine Art deutscher David Schnarch. In seine
       Berliner Praxis kommen viele Promis und Politiker, Paare, denen die
       Sexualität abhandengekommen ist. Schuld daran sind oft übertriebene
       Mütterlichkeit und Versorgungsmentalität, sagt Krüger. „Das tötet jede
       Erotik.“
       
       So war das auch bei Thomas und Katrin. Und das wollte Thomas schon lange
       mal loswerden. Katrin sei nur noch Mutter gewesen, nicht mehr Frau und
       Geliebte schon gleich gar nicht. Aber das zu sagen „ist nicht pc“, findet
       Thomas. „Ich wollte Katrin nicht verletzen.“ Schließlich sei er auch fett
       geworden. Und diese familiäre Opulenz, die habe er ebenso gewollt. Beide
       haben sich Haushalt und Kinderbetreuung geteilt. Sie sind nicht mehr
       ausgegangen, sie haben nur noch nebeneinander auf der Couch gesessen in dem
       Glauben, dass der andere das toll findet und dass es der Beziehung dient.
       Das geht meistens nach hinten los, weiß Wolfgang Krüger aus unzähligen
       Sprechstunden: „Wer zu viel Rücksicht nimmt, verleugnet sich selbst.“
       
       ## „Machen Sie, worauf Sie Lust haben!“
       
       Auch Katrin hat in den vergangenen Jahren auf zu viel verzichtet: auf
       eigene Freunde, eine eigene Freizeit. Ein eigenes Leben. „Wann waren Sie
       das letzte Mal tanzen“, fragt der Therapeut. Das ist Jahre her. „Haben Sie
       Lust darauf?“ – „Ja.“ – „Dann machen Sie das.“ Katrin hat es gemacht. Und
       beide, Thomas und Katrin, haben abgespeckt.
       
       Neben dem Tipp, tanzen zu gehen, war das der einzige direkte Rat des
       Therapeuten. Schon nach wenigen Wochen hatten Thomas und Katrin wieder Sex.
       Klingt wie ein Märchen? Für viele bleibt es das auch. Selbst ein
       Startherapeut wie Wolfgang Krüger behandelt nur die Hälfte der Paare
       erfolgreich.
       
       8 Mar 2014
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Simone Schmollack
       
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