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       # taz.de -- Die Ukraine als Spielball der Mächte: Putins Sieg, Putins Niederlage
       
       > Die EU hätte die Ukraine schon früher anbinden müssen. Im Gegensatz zu
       > Janukowitsch war sie nicht interessiert. Doch auch Putin wird scheitern.
       
   IMG Bild: Janukowitschs langer Weg nach Russland.
       
       Am 17. Februar mahnte im Berliner Nobelhotel Adlon der polnische
       Expräsident Kwasniewski angesichts der Entwicklungen, man müsse mit Wiktor
       Janukowitsch als Präsident leben, mindestens bis zu den nächsten Wahlen im
       Frühjahr 2015. Alles andere sei illusorisch. Niemand der zahlreichen
       Ukrainekenner im Saal widersprach.
       
       Fünf Tage später gab es keinen Präsidenten Janukowitsch mehr. Er wurde
       durch das ukrainische Parlament entmachtet, auch die Mehrheit seiner Partei
       der Regionen wandte sich gegen ihn. Ob hier der Schock über das
       vorangegangene Massaker an Maidan-Aktivisten wirkte oder das politische
       Überlebensinteresse, sei dahingestellt. Vom jähen Machtverlust überrascht,
       raffte „Witja“, wie ihn die Ukrainer spöttisch nennen, seine letzten
       Getreuen zusammen und machte sich aus dem Staub.
       
       Genau sieben Jahre zuvor hatte man wiederum im Adlon einen anderen Wiktor
       Janukowitsch erleben können. Die permanenten Zerwürfnisse zwischen den
       orangen Kräften und deren Unfähigkeit, durchgreifende Reformen
       voranzubringen, hatten den glücklosen Staatspräsidenten Wiktor
       Juschtschenko in ein Bündnis der „nationalen Einheit“ getrieben und
       Janukowitisch ein Intermezzo als Ministerpräsident beschert. Er
       präsentierte sich als überzeugter Europäer und warb um Verständnis für den
       Reformweg der Ukraine. Seine Fortschritte im Erlernen der ukrainischen
       Sprache fanden ebenfalls Erwähnung. In Gesprächen mit polnischen Partnern
       versuchte er beharrlich, mit seiner polnischen Großmutter zu punkten.
       
       2008 rief die EU die „östliche Partnerschaft“ ins Leben. Damit entstand im
       Rahmen der europäischen Nachbarschaftspolitik ein neues Politikformat.
       Sechs Länder – die Ukraine, Weißrussland, Georgien, Moldau, Armenien und
       Aserbaidschan – sollten mittels angestrebter Assoziierungsabkommen darin
       unterstützt werden, Reformen in Richtung Demokratie und Marktwirtschaft
       voranzutreiben. Es gab eine langfristige Beitrittsperspektive.
       
       Gleichzeitig spielten Akteure der Zivilgesellschaft eine wichtige Rolle.
       Sie organisierten sich in einem eigenen zivilgesellschaftlichen Forum und
       kritisierten Menschenrechtsverletzungen und verschleppte Reformen in den
       jeweiligen Ländern und wurden darüber zu wichtigen Partnern für die
       Politiker der EU.
       
       ## Mit Reformversprechen zur Präsidentschaft
       
       Janukowitsch seinerseits trat 2010 seine Präsidentschaft mit dem
       Versprechen an, die Ukraine zu reformieren und die Korruption zu bekämpfen.
       Das Gegenteil passierte. Im internationalen Vergleich fiel die Ukraine in
       Sachen Korruption, Einschränkung der Medienfreiheit und Rechtssicherheit
       immer weiter zurück. Der ukrainische Autor Mykola Rjabtschuk sprach von
       einer „autoritären Konsolidierung“ des Landes.
       
       Noch bis zum Herbst 2013 strebte Janukowitsch aus guten eigenen Gründen den
       Abschluss eines Assoziierungsabkommens an. Der Erfolg gegenüber der EU
       sollte ihm im bevorstehenden Präsidentschaftswahlkampf Punkte verschaffen,
       denn eine Mehrheit der Ukrainer versteht sich proeuropäisch, nicht nur im
       Westen des Landes. Zudem stand der Donezker der Aussicht skeptisch
       gegenüber, im Rahmen des von Putin favorisierten Gegenprojekts einer
       Eurasischen Union Statthalter von Kremls Gnaden zu werden.
       
       Putin aber wollte die Ukraine mit aller Macht zurückgewinnen, denn nur mit
       ihr bekäme die fossile Eurasische Union imperialen Glanz. Er erhöhte also
       den Druck auf Janukowitsch, lockte mit schnellen Krediten und löste eine
       Dynamik aus, die ihren vorläufigen Höhepunkt in der Intervention auf der
       Krim findet.
       
       Europa und der Westen insgesamt haben viele Reaktionsmöglichkeiten. Der
       russischen Propagandamaschinerie entgegenzutreten, die seit Monaten auf
       Hochtouren läuft, ist eine davon.
       
       ## Die Manipulation des Kremls
       
       Kommentare und Stellungnahmen in den deutschen Medien zeigen stattdessen,
       wie gut die Manipulationen des Kremls funktionieren: Die Ukrainer müssten
       zur Mäßigung zurückfinden, der Maidan sei von extremen Nationalisten
       beherrscht, der russischsprachige Teil der Bevölkerung werde unterdrückt,
       und die Russen in der Ukraine fürchteten um ihre Sicherheit. Von da aus ist
       es bis zu Putins Diffamierung der ukrainischen Übergangsregierung als
       faschistisch nicht mehr weit.
       
       Es gibt extreme Nationalisten in der Ukraine, und sie sind auch politisch
       organisiert, aber sie stellten während der lange Wochen friedlichen
       Maidan-Proteste eine Minderheit dar. Die ersten brutalen Repressionen im
       November, die Schüsse im Januar und das Massaker am 18. Februar gingen von
       Janukowitschs Regierung und denen aus, die im Hintergrund mitspielten.
       Unter den Toten sind Armenier, Weißrussen, Georgier, Juden und auch ein
       Pole. Jüdische Beteiligte am Maidan und Vertreter des Jüdischen
       Weltkongresses strafen die Behauptung eines massenhaft aktuellen
       Antisemitismus in der Ukraine Lügen.
       
       Unter dem Einfluss der rechtsnationalistischen Partei Swoboda wurde
       gleichwohl von der Übergangsregierung ein Sprachenkompromiss zurückgezogen.
       Ein gravierender Fehler, der inzwischen korrigiert ist.
       
       ## Die territoriale Integrität der Krim wiederherstellen
       
       Diplomatie und Sanktionen können sich angesichts der Entwicklung nicht mehr
       als Alternative gegenüberstehen, wie es die deutsche Seite versucht. Beide
       sind nötig. Im Konflikt um die Krim müssen klare Ausgangsforderungen
       gestellt werden. Die russische Intervention ist nicht hinzunehmen.
       Russische Militärangehörige müssen in ihre Stützpunkte zurückkehren, die
       Handlungsfähigkeit der ukrainischen Militär- und Zivilverwaltung muss
       wiederhergestellt werden.
       
       Militärische und zivile Beobachter der OSZE und anderer internationaler
       Organisationen brauchen ein robustes Mandat, um den gesamten Prozess
       kontrollieren zu können. Ein Referendum über die Zukunft der Krim ist erst
       legitim, wenn die territoriale Integrität der Ukraine wiederhergestellt
       ist.
       
       Geht Russland auf diese elementaren Forderungen nicht ein, weigert es sich
       weiterhin, die ukrainische Seite als Verhandlungspartner anzuerkennen, dann
       müssen Sanktionen folgen, welche die russischen Eliten treffen, wie
       Kontensperrung und Visaverweigerung. Die Aussetzung und Überprüfung
       zahlreicher Vertragswerke gehören auch dazu. Die USA haben zu Recht damit
       begonnen, Visabeschränkungen gegen russische und ukrainische
       Verantwortliche zu verhängen. Der Export von Rüstungsgütern und
       Militärtechnik nach Russland ist sofort zu stoppen.
       
       Ungleich stärker sind die positiven Möglichkeiten der EU und des Westens.
       Ein schneller Abschluss des Assoziierungsabkommens in Kiew und die wirksame
       Ausschöpfung aller darin enthaltenen Möglichkeiten wären ein erster
       Schritt. Noch dringender ist die wirtschaftliche und finanzielle
       Unterstützung des Landes. Elf Milliarden Euro zugesagte Soforthilfe können
       nur ein erster Schritt sein. Entscheidend sind die internationale
       Anerkennung und Unterstützung der Übergangsregierung und die intensive
       Begleitung der für Mai angesetzten Präsidentschaftswahlen.
       
       Russland als Partner zu gewinnen ist in einem ganz anderen Sinne wichtig.
       Putin und sein System verkörpern nicht das gesamte Russland. In den
       Winterwochen gab es auf dem Maidan eine eigene russische
       Solidaritätsinitiative mit der Ukraine. In Russland selbst mehren sich die
       Stimmen, welche den Wahnsinn der Putin’schen Interventionspolitik
       kritisieren.
       
       Vielleicht hat der polnische Essayist Adam Michnik recht, wenn er schreibt,
       dass die Entwicklungen in der Ukraine das Ende des Systems Putin
       beschleunigen werden. Sein scheinbarer Sieg auf der Krim treibt das
       Putin’sche System in die Isolation.
       
       Die Ukraine und Russland gehören als Nachbarn eng zusammen. Eine freie,
       unteilbare, europäische Ukraine kann den Weg zu einem künftigen
       demokratischen Russland bahnen, das keine Bedrohung mehr für seine Nachbarn
       darstellt.
       
       8 Mar 2014
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Wolfgang Templin
       
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