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       # taz.de -- Rechtsextremismusexpertin über Ukraine: „Bedrohung ist russische Propaganda“
       
       > Wladimir Putin behauptet, er wolle die in der Ukraine lebenden Russen
       > schützen. Die brauchen seinen Schutz nicht, erklärt Alina Polyakova.
       
   IMG Bild: Vermutlich russische Soldaten: Milizen ohne Abzeichen in der Nähe von Simferopol.
       
       Taz: Frau Polyakova, Russland begründet seine Aktivitäten auf der Krim mit
       dem Argument, radikale Nationalisten hätten einen Putsch gegen die
       ukrainische Regierung begangen. Wie groß war der Einfluss der
       Rechtsextremen auf dem Maidan? 
       
       Alina Polyakova: Natürlich haben rechte Kräfte auf dem Euromaidan eine
       Rolle gespielt. Man muss unterscheiden zwischen der Swoboda-Partei als
       politischer Kraft und subkulturellen radikalen Gruppen wie dem Rechten
       Sektor. Gerade Swoboda...
       
       ...die ihre Ideologie sozial-nationalistisch nennt und rund zehn Prozent
       der Sitze im Parlament hat... 
       
       ...hat bereits in den letzten Jahren gezeigt, dass sie eine Partei mit
       einem großen Mobilisierungspotenzial ist. Doch als ich Ende November die
       Bilder vom Maidan gesehen habe, war ich geschockt. Von Anfang an waren
       überall die Flaggen und Symbole von Swoboda zu sehen.
       
       Aber haben sie die Proteste auf dem Maidan angeführt? 
       
       Man kann nicht sicher sagen, ob alle diese Fahnenschwinger überzeugte
       Anhänger Swobodas waren. Doch die Partei war in der Lage, eine riesige
       Menge von Menschen zu mobilisieren. Sie waren sehr gut organisiert und
       haben schnell große Gruppen nach Kiew gebracht, vor allem aus der
       Westukraine. Wir wissen nicht, wer den ersten Stein oder den ersten
       Molotow-Cocktail geworfen hat. Aber als es passierte, war die erste Frage:
       Handelt es sich hier um eine radikale nationalistische Bewegung? Die
       Antwort ist: Nein. Aber die Gewalt hat die restlichen Protestierenden
       radikalisiert. Gewalt wurde zu einer Option für solche, die sie vorher nie
       eingesetzt hätten.
       
       Also hat der Euromaidan den Einfluss der rechtsextremen Kräfte gestärkt? 
       
       Swoboda war bereits vor den Protesten auf dem Euromaidan einflussreich. Sie
       waren Teil eines Oppositionsbündnisses mit Vitali Klitschkos Partei Udar
       und Julija Timoschenkos Vaterlands-Partei. Für die subkulturellen Gruppen
       hingegen war der Maidan eine Möglichkeit, sich zu vernetzen und erstmals
       geschlossen aufzutreten. Vorher war die Szene sehr zersplittert. Viele
       ihrer Anführer werden auch weiterhin versuchen, politisch Einfluss zu
       nehmen. Manche von ihnen haben bereits Posten in der Übergangsregierung.
       Der Swoboda-Politiker Andriy Parubiy beispielsweise ist Sekretär des
       Nationalen Sicherheits- und Verteidigungsrats der Ukraine. Sein
       Stellvertreter Dmytro Jarosch ist eine der Führungsfiguren des Rechten
       Sektors.
       
       Ein Gesetz dieser Regierung sollte Russisch als zweite Amtssprache
       abschaffen. Ist eine gestärkte Rechte eine Bedrohung für die
       russischsprachige Bevölkerung? 
       
       Die Rechtsextremen sind und bleiben nur eine Minderheit. Eine Minderheit
       kann keinen Präsidenten zur Flucht zwingen. Auf dem Unabhängigkeitsplatz
       waren eine Million Menschen, die Mehrheit davon waren keine Nationalisten.
       Zu sagen, dass die Ostukraine und die Krim von einer demokratischen
       Massenbewegung bedroht werden, ist lächerlich. Aber Sprach- und
       Identitätspolitik sind immer kraftvolle Mittel, um Konflikte zu befeuern.
       In der Ostukraine haben die Menschen sich über diesen Gesetzentwurf nicht
       gefreut. Aber zu einem solchen Thema wurde es erst durch russische Medien.
       
       Welches Ziel verfolgen die russischen Medien damit? 
       
       Jeder weiß, dass das keine objektiven Informationsquellen sind. Ich
       verstehe nicht, wie man diese Berichterstattung ernst nehmen kann.
       Zeitungen wie Russia Today sind zutiefst beeinflusst von der Parteilinie.
       Die sagt, dass in der Ukraine russische Staatsbürger bedroht sind. Die
       Ukraine war immer ein multikultureller Staat. Die Menschen haben in den
       letzten Jahrzehnten friedlich zusammengelebt.
       
       Können Sie das an einem Beispiel verdeutlichen? 
       
       Präsident Viktor Juschtschenko wurde vor allem im Westen als pro-westlicher
       Politiker gesehen. Tatsächlich war er aus ukrainischer Sicht deutlich
       nationalistisch. Unter ihm wurde ukrainisch zur Nationalsprache und es
       wurden Straßen nach Stepan Bandera benannt. (Anmerkung der Redaktion:
       Stepan Bandera war ein ukrainischer Nationalist und Untergrundkämpfer, der
       mit den Nazis zusammenarbeitete.) Damals gab es keine Proteste in
       ostukrainischen Städten wie Charkiw. Niemand sagte, Juschtschenko solle
       abtreten, weil er die russische Bevölkerung verletze oder gefährde.
       
       Und das bedeutet... 
       
       Was die Menschen in der Ukraine wirklich wollen, und zwar im Osten, im
       Westen und im Süden, ist Rechtsstaatlichkeit. Niemand möchte von ein paar
       Eliten an der Spitze für deren persönlichen Profit benutzt werden. In
       meinen Augen ist die Bedrohung auf der Krim russische Propaganda. Ich
       glaube nicht, dass ethnische Russen irgendeiner Gefahr ausgesetzt sein
       werden - zumindest, wenn es eine rechtsstaatlich gewählte Regierung geben
       wird.
       
       Was ist mit den Menschen auf der Krim? Fühlen sie sich bedroht? 
       
       Sie sprechen den Unterschied zwischen Realität und Wahrnehmung an. Die Krim
       war auch schon vor dem Euromaidan eine autonome Region. Sie wurde erst sehr
       spät an die Ukraine angegliedert. Die Meisten sind russischsprachig und
       bekommen ihre Informationen aus russischen Medien. Sie könnten die
       Situation also so interpretieren, dass es eine Bedrohung für sie gibt. Das
       ist genau das Interesse, das Russland verfolgt. Die russische Regierung hat
       ein riesiges geopolitisches Interesse in der Region und ist bereit, einen
       Krieg zu beginnen. Dafür will sie sich die Unterstützung der Bevölkerung
       sichern.
       
       In vielen Ländern gibt es Regionen, die mehr Autonomie fordern. Auch in
       Westeuropa. Aber das führt nicht immer zu Konflikten und Gewalt. Die Krim
       ist kulturell eng mit Russland verbunden. Das ist jedoch keine
       Rechtfertigung für eine Invasion auf das Territorium eines anderen Staates.
       Das ist keine neue Taktik Russlands. In der Auseinandersetzung um Georgien
       und Abchasien war es dasselbe.
       
       Was glauben Sie, wie es jetzt weitergeht in der Ukraine? 
       
       Ich sehe viele Handlungsoptionen auf westlicher Seite. Russland plant, aus
       der Krim eine Art russischer Provinz zu machen, so wie in Abchasien. Es gab
       auf der Krim bereits Proteste der Krimtataren gegen eine Intervention
       Russlands. Wenn solche Proteste sich ausweiten, könnte der Konflikt in
       Gewalt umschlagen und sehr blutig enden. Die westlichen Regierungen müssen
       aufstehen und Maßnahmen gegen Vertreter Russlands ergreifen. Russland
       bricht das Völkerrecht. Ich bin überrascht, dass der Westen grundlegende
       Maßnahmen wie eine Verschärfung der Visa-Regelungen nicht ergreift. Die
       russische Regierung muss verstehen, dass ihr Handeln für die internationale
       Gemeinschaft nicht akzeptabel ist. Wenn diese Spannungen eskalieren, könnte
       es zu einem neuen globalen Konflikt kommen.
       
       5 Mar 2014
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Dinah Riese
       
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