URI: 
       # taz.de -- Sanktionen schwächen die Weltwirtschaft: Ich Erdöl, du Auto!
       
       > Die EU und Russland sind eng miteinander verbunden. Sanktionen schaden
       > beiden Seiten – und gefährden die Entwicklung der globalen Ökonomie.
       
   IMG Bild: Gasverdichteranlage im sächsischen Sayda: Noch kommt das russische Gas über die Pipeline quer durch die Ukraine hier an.
       
       BERLIN taz | „Die politische Macht kommt aus den Gewehrläufen“, hat der
       chinesische Kommunistenführer Mao Zedong einmal gesagt – und Russlands
       Präsident Wladimir Putin hält sich daran. Auf der Krim schafft Putin Fakten
       – und der Westen schaut mehr oder weniger tatenlos zu.
       
       Wer sich über die zahnlosen Reaktionen aus Europa wundert, sollte sich die
       militärischen und ökonomischen Realitäten anschauen: Eine militärische
       Auseinandersetzung wäre eine Katastrophe für den Kontinent. Und auch einen
       Handelskrieg – auf den ernsthafte Sanktionen hinauslaufen würden – können
       sich weder die EU noch Russland leisten. Dafür sind die gegenseitigen
       Abhängigkeiten viel zu groß; beide Seiten würden klar verlieren – und die
       Weltwirtschaft schwächen, woran auch die anderen großen Wirtschaftsmächte
       kein Interesse haben dürften.
       
       Kein Wunder ist also, dass der Ostausschuss der deutschen Wirtschaft vor
       Sanktionen gegen Russland warnt. Diese seien mit einem hohen Risiko
       verbunden, sagte der Geschäftsführer des Ausschusses, Rainer Lindner.
       
       Die gegenseitigen Abhängigkeiten zeigen sich an nackten Zahlen: Im Jahr
       2012 exportierte die EU nach Angaben des europäischen Statistikamtes Waren
       im Wert von 123,4 Milliarden Euro nach Russland, während von dort Waren für
       215 Milliarden Euro kamen. Damit ist Russland der drittwichtigste
       Handelspartner der EU – und zudem seit über 40 Jahren wichtigster
       Energielieferant Deutschlands, des wirtschaftsstärksten EU-Mitglieds.
       
       Etwa ein Drittel des deutschen Erdgas- und Erdölbedarfs werden durch
       Importe aus Russland gedeckt. Auch für die Niederlande, Italien und
       Frankreich sind russische Energielieferungen bedeutsam; ebenso für Polen
       und das Baltikum. Und Großbritannien, das über eigene Quellen verfügt, muss
       mit rückläufigen Ausbeuten rechnen.
       
       Zudem bezieht die Bundesrepublik auch noch ein Fünftel seines
       Steinkohlebedarfs aus Russland. Hinzu kommen Eisen und Stahl, Kupfer,
       Nickel und Aluminium. Auch zu Kasachstan unterhält Deutschland enge
       Beziehungen, insbesondere im Rohstoffbereich. Das zentralasiatische Land,
       das über die eurasischen Zollunion eng mit Russland verbunden ist, deckt
       gut fünf Prozent des deutschen Ölbedarfs.
       
       ## Wichtiger Handelspartner
       
       Wichtiger aber noch sind Seltene Erden für elektronische Bauteile und
       Rohstoffe für die Produktion von Metall. Russland ist für deutsche
       Unternehmen auch ein wichtiger Absatzmarkt. Sie exportieren Maschinen und
       Anlagen, Fahrzeuge und Fahrzeugteile sowie chemische Produkte. Russland ist
       Deutschlands viertgrößter Handelspartner außerhalb der EU.
       
       Rund 6.300 Firmen sind dort derzeit tätig, trotz einer zuletzt schwachen
       Wirtschaftsentwicklung und verbreiteter Korruption. Ihre Hoffnung:
       Geschäfte bei der Modernisierung der russischen Wirtschaft und
       Infrastruktur, die mit Devisen aus Rohstoffexporten bezahlt werden.
       
       Kann Deutschland – wenn es hart auf hart kommt – die Energierohstoffimporte
       aus Russland ersetzen? Am einfachsten dürfte dies noch bei der Steinkohle
       sein, die auch aus den USA oder Australien bezogen werden könnte. Auch die
       Ölimporte ließen sich ersetzen, da der Ölmarkt ein Weltmarkt sei, so
       Stephan Kohler, Chef der Deutschen Energieagentur Dena. „Aber beim Erdgas
       ist wegen der Leitungen die Abhängigkeit gegeben.“
       
       ## Keine Alternative zum russischen Gas
       
       Zwar seien die deutschen Erdgasspeicher derzeit wegen des milden Winters
       gut gefüllt – aber spätestens im nächsten Winter gäbe es keine Alternative
       zu russischem Gas. Allerdings ist auch Russland von seinen Energieexporten
       abhängig; sie machen etwa 80 Prozent der Ausfuhren aus und finanzieren zu
       50 Prozent den Staatshaushalt. „Russland würde sich ins eigene Fleisch
       schneiden, wenn es uns den Gashahn zudrehen würde“, meint Dena-Mann Kohler.
       
       Aber Russland drängt längst auf Alternativen zum Export nach Westen.
       Sibirisches Erdgas kann entweder per Pipeline nach China und Japan gelangen
       – oder per Schiff. Am Polarmeer werden derzeit Flüssiggasstationen
       errichtet, von wo aus nach Japan exportiert werden kann. Und: „Russland
       arbeitet intensiv am Bau von Pipelines Richtung Zentralasien und China.“
       
       Innerhalb von zwei bis drei Jahren könnten diese realisiert sein, und das
       würde sich in drei bis vier Jahren auch auf Europa auswirken. Bedeutende
       technische oder finanzielle Probleme der Rohstoffförderung sieht Kohler
       nicht. Die russischen Konzerne Gasprom und Rosneft arbeiteten eng mit den
       großen Playern der Branche zusammen.
       
       ## Energiewirtschaft auf dem Prüfstand
       
       Wie auch immer die Krimkrise ausgeht – sie dürfte weitreichende Folgen für
       die europäische und deutsche Energiepolitik haben. Die Staaten, die auf
       Atomkraft oder heimische Kohle setzen, werden sich in ihrer Haltung
       bestärkt sehen, um die Abhängigkeit von Russland nicht zu steigern. Auch
       der Ausbau der Nutzung der erneuerbaren Energien, wie ihn Deutschland
       plant, dient diesem Zweck.
       
       Zwar werden mehr Reservegaskraftwerke gebraucht, um die schwankende
       Produktion von Wind- und Sonnenstrom abzusichern – diese könnten aber
       absolut weniger Gas verbrennen müssen, wenn sich viele Windräder kräftig
       drehen. Viel wichtiger aber ist: die Dämmung der Gebäude, macht doch der
       Wärmemarkt den Löwenanteil des Gasverbrauchs aus.
       
       Anders gesagt: Jeder Kubikmeter Erdgas, der nicht in Deutschland verheizt
       wird, mindert das Drohpotenzial Putins. Ganz ohne Gewehre.
       
       4 Mar 2014
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Richard Rother
       
       ## TAGS
       
   DIR Wladimir Putin
   DIR Krim
   DIR Wirtschaft
   DIR Export
   DIR Erdgas
   DIR Erdöl
   DIR Atomkraftwerk
   DIR Schwerpunkt Krieg in der Ukraine
   DIR Kohle
   DIR Energie
   DIR Globalisierung
   DIR Wladimir Putin
   DIR China
   DIR Krim
   DIR Russland
   DIR Ukraine
   DIR Russland
   DIR Krim
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
   DIR Kohle aus Kolumbien: Blut in deutschen Kraftwerken
       
       Schwere Vorwürfe gegen Rohstoffhändler Glencore Xstrata: Lieferanten von
       kolumbianischer Kohle sollen jahrelang mit Paramilitärs kooperiert haben.
       
   DIR Vorstoß von Premier Donald Tusk: Polen fordert Energieunion
       
       Die Abhängigkeit von Moskau soll sinken – doch die EU-Mitglieder sind viel
       zu zerstritten. So wird Polen wegen seiner Kohlepolitik vielfach kritisiert
       
   DIR Die Schere öffnet sich weiter: Globalisierung nützt den Reichen
       
       Die Verflechtung der Weltwirtschaft bringt Schwellenländern weniger als
       angenommen. Das sagt eine Studie der Bertelsmann-Stiftung.
       
   DIR Kreml-Expertin über Putins Pläne: „EU-Entscheider sind Lame Ducks“
       
       Putin will vor allem verhindern, dass es auch in Moskau zu Protesten kommt.
       Doch er verrechnet sich, sagt die Kreml-Expertin Lilia Shevtsova.
       
   DIR Chinas Zukunftspläne: Wachstum und Waffen
       
       Es soll „schmerzhafte“ Veränderungen geben. Chinas Ministerpräsident will
       7,5 Prozent Wachstum in diesem Jahr. Trotz schwacher Konjunktur steigt der
       Militäretat.
       
   DIR Debatte Zukunft der Krim: Die Abspaltung wäre ein Fehler
       
       Sollte der Westen die Krim den Russen überlassen? Auf keinen Fall. Die
       Halbinsel gehört historisch nicht zu Russland, sondern wurde annektiert.
       
   DIR Konflikt zwischen Ukraine und Russland: Eine Milliarde Dollar aus Washington
       
       Die USA wollen der wirtschaftlich maroden Ukraine die Energieversorgung
       sichern. Auch die EU sagt Hilfe zu. Putin schließt einen russischen
       Militäreinsatz vorerst aus.
       
   DIR Energielieferant Russland: Krim-Krise schmerzt Investoren
       
       Russland ist der zweitwichtigste Produzent von Erdöl und Erdgas. Das
       beunruhigt die Börsenmärkte. Und Gazprom streicht der Ukraine
       Preisnachlässe.
       
   DIR Kommentar Konflikt auf der Krim: Die Scharfmacher aus Brüssel
       
       Die EU ist sich offenbar nicht sicher, wie sie mit Russland in der
       Krim-Krise umgehen soll. Doch die Schuld nur bei Moskau zu suchen, wäre
       falsch.
       
   DIR Krise in der Ukraine: Zeit der Angst
       
       Russische Truppen stehen an der ukrainischen Grenze. Zeitgleich gibt es
       gewalttätige Demonstrationen im Osten des Landes.