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       # taz.de -- Beratung zur „freiwilligen Ausreise“: Abschiebung kinderleicht
       
       > Ein Projekt des Roten Kreuzes erklärt Flüchtlingskindern im Comic die
       > Rückkehr in die Herkunftsländer ihrer Familien. Aktivisten kritisieren
       > das Vorgehen.
       
   IMG Bild: „Am Flughafen zeige ich den Polizisten mein Bilderbuch. Papa zeigt unsere Pässe.“
       
       BERLIN taz | „Papa erzählt mir von dem Land, aus dem wir kommen. Dorthin
       werden wir bald zurückkehren.“ Mit diesem so harmlos anmutenden Satz
       beginnt eine [1][Broschüre des Bayerischen Roten Kreuzes Nürnberg], die
       Kindern von Flüchtlingen ihre bevorstehende „Rückkehr“ in das Herkunftsland
       ihrer Eltern erklären will. In 25 Sequenzen mit bunten Bildern wird das
       ganze Szenario durchgespielt: Verabschiedung der Klassenkameraden, der Weg
       zum Flughafen, die Ankunft in der neuen, alten „Heimat“, Gefühle der
       Sehnsucht und das Ankommen bei den Großeltern.
       
       Das als Hilfsangebot gedachte Comic entstand im Rahmen eines Projekts, das
       sich [2][„Zentrale Rückkehrberatung für Flüchtlinge in Nordbayern“] nennt.
       In Kooperation mit der Arbeiterwohlfahrt und gefördert durch den Freistaat
       Bayern und den Europäischen Rückkehrfonds möchte das Nürnberger Rote Kreuz
       Beratungssuchenden Perspektiven in ihren „Herkunftsländern“ aufzeigen. Das
       Angebot richtet sich, so die [3][Selbstbeschreibung], an all jene, „die vor
       der Frage einer Rückkehr stehen.“ Einer „freiwilligen Rückkehr“, wie es im
       Untertitel des Projekts heißt.
       
       Doch dass es sich bei den Flüchtlingen, die sich an die Sozialarbeiter des
       Projektes wenden, keineswegs ausschließlich um solche handelt, die in ihre
       Herkunftsländer zurückkehren wollen, etwa nach Beendigung eines Krieges,
       bestätigt Ulrike Sing, Abteilungsleiterin Soziale Arbeit des BRK Nürnberg.
       Natürlich seien sie auch eine Beratungsstelle für Flüchtlinge, „die
       zurückkehren müssen“, sagt sie im Gespräch mit der taz. Alle Betroffenen
       können sich aber freiwillig an sie wenden.
       
       Dass es überhaupt eine relevante Zahl von Flüchtlingen gibt, die von sich
       aus Deutschland verlassen wollen, bestreitet Matthias Weinzierl, der seit
       zehn Jahren beim [4][Bayerischen Flüchtlingsrat] arbeitet. Solche Fälle
       seien ihm „nur ganz selten“ untergekommen. Ganz ähnlich argumentiert Bernd
       Mesovic, stellvertretender Geschäftsführer von [5][„Pro Asyl“]. Auch er
       spricht von „erzwungener Freiwilligkeit“. Die eigene Ausreise komme oftmals
       nur der unausweichlichen Abschiebung zuvor. Wenn Angebote der
       Rückkehrberatung die Ausreise als eine von mehreren gleichberechtigten
       Wegen darstellen, sei dies eine „Illusion“, so Mesovic.
       
       ## Vorgegaukelte Normalität
       
       Matthias Weinzierl hält das Bilderbuch daher auch für „zynisch“. Er sagt,
       damit werde versucht dort „Normalität vorzugaukeln, wo keine ist“ und
       spricht davon, dass „ein unmenschlicher Vorgang behandelt wird wie ein
       Zahnarztbesuch“. Auch dort gäbe es bunte Bücher, die den Kindern die Angst
       nehmen sollen.
       
       Dass die Darstellung als verharmlosend betrachtet werden kann, gesteht Sing
       ein, verweist aber auf ihre Funktion als Türöffner. Das Buch werde von den
       Sozialarbeiterinnen genutzt, um „mit den Kindern ins Gespräch zu kommen,
       mit ihnen über ihre Ängste zu sprechen“. „Eine geäußerte Angst ist eine
       kleinere Angst“, sagt sie. Flüchtlings-Aktivist Weinzierl kritisieret
       dennoch, dass die Abbildung einer „gut situierten Flüchtlingsfamilie mit
       eigener Wohnung samt gut gefülltem Spielzeug-Regal an jeder Realität vorbei
       geht“.
       
       Auch Mesovic möchte nicht daran glauben, dass der Comic hilfreich sein
       kann. Das Thema der erzwungenen Ausreise lasse sich „kaum pädagogisch
       adäquat darstellen, weil die dahinter stehende Situation Kindern nicht
       vermittelbar ist“, so Mesovic, der sich seit über 30 Jahren für Flüchtlinge
       einsetzt. Er verweist darauf, dass der Verlust von Heimat und Freunden von
       Kindern als „extrem hart“ wahrgenommen wird und viele nach der Abreise
       schlicht im Elend landen. Viele Kinder seien nach ihrem erzwungenen
       Abschied aus ihrem gewohnten Umfeld regelrecht traumatisiert und hegen über
       Jahre hinweg die Hoffnung, eines Tages nach Deutschland zurückkehren zu
       können.
       
       Auch ein weiteres Comic, mit dem sich das BRK-Projekt an Jugendliche
       wendet, sieht Mesovic kritisch. In der [6][„Wörterbuch“ genannten
       Broschüre] findet sich u.a. der Hinweis auf die UN-Kinderrechtskonvention,
       die alle Unterzeichner-Länder, darunter die Bundesrepublik, dazu
       verpflichtet, „das Wohl des Kindes bei allen wichtigen Entscheidungen zu
       berücksichtigen“. Doch genau dies komme bei der Frage, ob Kinder und
       Jugendliche ihre Heimat verlassen müssen, nicht zur Anwendung. Präsentiert
       werde ein Instrumentarium, das „von den Behörden missachtet wird“. Das
       Interesse der betroffenen Minderjährigen „spielt gar keine Rolle“.
       
       ## Fahrlässige Kooperation oder notwendige Hilfestellung?
       
       „Wir können nur noch lindern, nichts mehr ändern“, hält Sing den Vorwürfen
       entgegen. Sie ist sich durchaus bewusst, dass die Perspektive für viele,
       die anderswo neu anfangen müssen, nicht positiv sei. Recherchereisen in den
       Kosovo, zu Familien, die zuvor beraten wurden, zeigten, dass ein Neustart
       in der „alten Heimat“ extrem schwierig sei.
       
       Für Weinzierl stellt sich daher grundsätzlich die Frage, ob
       Wohlfahrtsverbände wie das BRK mit einer Regierung zusammenarbeiten
       sollten, deren vorrangiges Ziel es sei, dass sich die Leute „vom Acker
       machen“. „Das ist fragwürdig immer dann, wenn die Freiwilligkeit nicht zu
       100 Prozent gewährleistet sei“, so Weinzierl.
       
       Die Kooperation, die die „Zentrale Rückkehrberatung für Flüchtlinge in
       Nordbayern“ mit der Regierung Mittelfranken pflegt, erachtet Sing dagegen
       als unausweichlich. Wenn man jegliche Zusammenarbeit mit den Behörden
       verweigere, könne man den Flüchtlingen schließlich auch nicht helfen.
       
       Doch inwieweit das Angebot des BRK eine sinnvolle Hilfe darstellt, ist
       umstritten. Denn so einfach, wie es der Ausgang des Kinder-Comics
       suggeriert, ist es sicher nicht. Dort heißt es für das abgeschobene Kind
       versöhnlich: „Ab jetzt habe ich einen neuen Freund und spiele jeden Tag mit
       ihm und den anderen Kindern.“
       
       4 Mar 2014
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] http://www.kvnuernberg-stadt.brk.de/dokumente/rueckkehrkinder-bilderbuch
   DIR [2] http://www.zrb-nordbayern.de/
   DIR [3] http://www.kvnuernberg-stadt.brk.de/wir-sind-fuer-sie-da/migration/zentrale-rueckkehrberatung-fuer-fluechtlinge-in-nordbayern
   DIR [4] http://www.fluechtlingsrat-bayern.de/
   DIR [5] http://www.proasyl.de/
   DIR [6] http://is.gd/vhN9dJ
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Erik Peter
       
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