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       # taz.de -- Bundespräsident Gauck in Griechenland: Ziemlich schlechte Freunde
       
       > Deutschlands Haltung in der Eurokrise und die griechischen Forderungen
       > nach NS-Entschädigung belasten das Verhältnis der beiden Länder.
       
   IMG Bild: Etwas blass sieht sie aus, die deutsch-griechische Freundschaft.
       
       ATHEN taz | Vor sieben Jahren stand es noch gut um die deutsch-griechische
       Freundschaft. Damals kürten die Griechen Deutschland zu einer der
       beliebtesten Nationen weltweit. Das hat sich seit Ausbruch der
       Schuldenkrise massiv geändert.
       
       In einer Umfrage des Magazins Epikaira gaben 2012 – für die griechische
       Bevölkerung das fünfte Rezessionsjahr in Folge – 76 Prozent der Befragten
       an, Deutschland sei Griechenland gegenüber feindselig eingestellt.
       
       Im Hinblick auf die strikten Sparvorgaben aus Berlin kommentierte damals
       Ilias Maglinis in der Zeitung Kathimerini: „Wir bezahlen für die
       Hartnäckigkeit Deutschlands, eines mächtigen europäischen Landes, das ja
       oft eine führende Rolle in Europa gespielt hat. Wir bezahlen aber auch für
       die schlimmen Fehler und für die Unfähigkeit unserer Politiker, die wir
       selbst an die Macht gebracht haben.“
       
       Die Frage, inwiefern die Schuldenkrise hausgemacht ist, erregt heute noch
       die Gemüter in Griechenland. Dass einzig ausländische Mächte und
       Spekulanten für die Wirtschaftsmisere verantwortlich sind, behaupten heute
       nur noch wenige Griechen.
       
       Und dennoch: „Es ist klar, dass Deutschland eine besondere Verantwortung
       trägt“, so Nikolas Voulelis, Direktor der linksliberalen Zeitung der
       Redakteure. Aber er fügt hinzu: „Ich spreche über das Rezept gegen die
       Krise, ich würde nicht behaupten, dass Deutschland verantwortlich wäre für
       die Ursachen der Krise.“
       
       ## Die deutsche Sparpolitik hat das Verhältnis getrübt
       
       Selbst der konservative Premier Antonis Samaras verstand sich nicht immer
       gut mit seinen politischen Glaubensgenossen in Berlin, solange er er als
       Oppositionschef die deutsche Sparpolitik kritisierte. Erst nach dem
       Wahlkampf mutiert Samaras zum Verbündeten von Angela Merkel. Seitdem
       schwört er, Griechenland sei auf dem Weg der Genesung.
       
       Die Statistik scheint ihm recht zu geben: Erstmals seit vielen Jahren wurde
       2013 wieder mehr eingenommen als ausgegeben – und auch mehr exportiert als
       importiert. Das alles gab es zu Beginn der Krise nicht – genauso wenig wie
       Millionen Arbeitslose und Rentner, die im Müll nach Essen suchen.
       
       Für diese Missstände werden die EU-Spar-Aufseher verantwortlich gemacht –
       allen voran die Deutschen. Und das manchmal auf unappetitliche Art:
       Gelegentlich wird Angela Merkel in SS-Uniform dargestellt, Publizisten
       rufen zum „Widerstand gegen das Vierte Reich“ auf.
       
       „Von einem vierten Reich zu sprechen, ist einfach verrückt“, stellt
       Zeitungsdirektor Voulelis klar. Wichtig sei allerdings, dass sich Griechen
       und Deutschen stärker um gegenseitiges Verständnis bemühen. „Um nur ein
       Beispiel zu nennen: Viele Griechen wissen gar nicht, dass die Deutschen
       unseren Kampf für Demokratie während der Militärjunta 1967–1974 mit ganzem
       Herzen unterstützt haben“ erläutert Voulelis.
       
       Die Fixierung auf den Nazi-Vergleich ist historisch bedingt: Viele Griechen
       haben die deutschen Gräueltaten im Zweiten Weltkrieg nicht vergessen, zumal
       Nachkriegsdeutschland so gut wie keine Reparationen zahlte. Alle
       Forderungen seien durch das Londoner Schuldenabkommen 1952 erledigt, so die
       deutsche Rechtsposition.
       
       ## Die Bundesrepublik leistete lächerlich wenig NS-Entschädigung
       
       1961 überwies die Bundesrepublik widerwillig 115 Millionen D-Mark an die
       hellenische Republik. Doch das war, gemessen an der Brutalität der
       NS-Besatzung, lächerlich wenig.
       
       Laut dem britischen Historiker Mark Mazower wüteten Wehrmacht und SS
       zwischen 1941 und 1944 in Griechenland so rabiat wie in keinem anderen
       nichtslawischen Land. Etwa 100.000 Griechen verhungerten damals, auch weil
       die NS-Besatzer das Land wirtschaftlich rücksichtslos ausraubten. Trotzdem
       lehnte die Bundesregierung alle griechische Forderungen ab.
       
       Athen versuchte immer mal wieder, Deutschland finanziell in die Pflicht zu
       nehmen. So ließ Vizefinanzminister Christos Staikouras 2012 eine
       Arbeitsgruppe einrichten, die die Staatsarchive nach einschlägigen
       Dokumenten durchforsten soll. Veröffentlicht wurden noch keine Ergebnisse.
       
       Nun fordert die jüdische Gemeinde in Thessaloniki Entschädigungszahlungen
       und will diese vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte
       durchzusetzen. Dort waren allerdings 2002 schon die Opferangehörigen aus
       dem Ort Distomo gescheitert, wo die SS ein Massaker angerichtet hatte.
       
       Bundespräsident Gauck wird bei seinem Besuch in Griechenland ab Mittwoch
       auch der Opfer der Nazi-Besatzer gedenken. Viele Griechen erwarten
       Konkreteres: „Auszahlung der deutschen Schulden – jetzt oder nie“, titelte
       am Sonntag die konservative Wochenzeitung Real News. Aussicht auf Erfolg
       haben solche Forderungen kaum.
       
       5 Mar 2014
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Jannis Papadimitriou
       
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