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       # taz.de -- Nick Lowe in Berlin: Der alte Zauber wirkt
       
       > Cool, elegant und manchmal zum Weinen schön: Nick Lowe gab ein Konzert in
       > Berlin. Das Älterwerden steht ihm ausgezeichnet.
       
   IMG Bild: Weißer Haarschopf mit angedeuteter Tolle und eine sanfte Stimme, für die andere Kreide fressen müssten: Nick Lowe.
       
       Richtiggehend Angst hat ihm das Altwerden eingejagt. „Ich wollte keiner
       dieser alten Knacker mit immer dünner werdendem Haar und Hängebacken
       werden, die weiter die alte Masche durchziehen, die sie schon draufhatten,
       als sie jung, schlank und schön waren“, gestand Nick Lowe vor ein paar
       Jahren. 
       
       Puh, gerade noch mal gut gegangen und alles richtig gemacht: Nick Lowe
       steht das Älterwerden ausgezeichnet, denkt man, wie er so beschwingt den
       Altar der Passionskirche zu Berlin betritt. Weißer Haarschopf mit
       angedeuteter Tolle, Buddy Holly-Brille, ein gut sitzendes, gepunktetes Hemd
       und eine sanfte Stimme, für die andere Kreide fressen müssten, bis sie
       ihnen zu den Ohren rauskommt.
       
       Vor 20 Jahren war er das letzte Mal in Berlin gewesen, und schon damals
       konnte er auf eine abwechslungsreiche Karriere zurückblicken. Bei den
       entscheidenden Popbewegungen im Königreich hatte Lowe in den siebziger
       Jahren seine Finger mit im Spiel, als Musiker, Songwriter und vor allem als
       Produzent etwa der ersten Alben von Elvis Costello. 1979 heiratete er in
       den Carter-Cash-Clan ein, seine Musik countryfizierte sich, und
       Familienoberhaupt Johnny adelte einige von Lowes Songs mit seinem
       Bassbariton.
       
       ## Repertoire aus 40 Jahren
       
       Jetzt, mit knapp 65, glücklich der „Tyrannei der Snare Drum“ entronnen, hat
       Lowe den Crooner in sich entdeckt. In Berlin erspielt er sich, von sich
       selbst an der Akustikgitarre begleitet, sein gesamtes Repertoire der
       vergangenen 40 Jahre auf neue, zeitenthoben-klassische Weise. Das klingt,
       als würde ihm Sam Phillips gerade einen Plattenvertrag versprochen haben,
       Carl Perkins ihn manchmal von der Seite anlächeln, Sam Cooke die Songs
       anschubsen und Nat King Cole in ihn hineingeschlüpft sein.
       
       Er singt mit der Geste des Soulsängers und der Geschmeidigkeit eines
       Bossa-Nova-Interpreten. Jedem Wort spürt er ergeben nach, das Timing
       instinktsicher, die Phrasierung zum Weinen schön; die Stimme wispert und
       verführt und schwebt manchmal mit einer langgezogenen Silbe kuppelwärts
       davon, was selbst in der etwas halligen Kirche ziemlich effektvoll ist.
       
       Wo andere Popsänger sich über die Jahre hinweg ihr Organ kaputtgesungen
       oder weggesoffen haben, scheint das von Lowe immer samtweicher zu werden
       und die leise Melancholie seiner Texte so lässig zu betonen, dass man für
       einen Moment doch an den perfekten Popsong glauben könnte. „I Read a Lot“
       vom letzten Album „The Old Magic“, eine jazzige Verlassenheitsballade,
       kommt dem jedenfalls schon sehr nahe. Soul, R&B, Rockabilly – man mag das
       Retro nennen, bei Lowe bekommen die Lieder durch die präzise und sensible
       Darbietungsform zeitlosen Glanz.
       
       ## Der Jukebox-Style
       
       Ganz früher, scherzt er, habe man schnell einen kurzen Song nach dem andern
       spielen müssen, damit die Leute einem nicht gelangweilt was an den Kopf
       warfen. Die Gefahr besteht heute gewiss nicht mehr. Den „Jukebox-Style“
       aber hat er beibehalten. Und so geht es rasant von „Raging Eyes“ über „Rome
       Wasn’t Built in a Day“ oder „Sensitive Man“ bis zur Zugabe „(What’s so
       Funny ’Bout) Peace, Love and Understanding“, dem von Elvis Costello zum Hit
       gemachten Lowe-Klassiker schlechthin.
       
       Der alte Zauber wirkt wirklich. Als Jochen Distelmeyer vor einer Weile in
       einem Interview nach Lieblingsmusikern gefragt wurde, fiel zuallererst der
       Name Nick Lowe: „songwritingtechnisch“ arbeite derzeit niemand auf diesem
       Niveau, meinte Distelmeyer bewundernd. Lowes Platte „The Convincer“ sei
       „sehr cool, ohne Coolness auf irgendeine Weise auszustellen, sehr elegant,
       sehr gekonnt“. Besser ließe sich der Berliner Auftritt nicht
       zusammenfassen: cool, elegant, gekonnt. Hinzufügen müsste man nur noch,
       dass Lowes Konzert obendrein betörend und beglückend war.
       
       3 Mar 2014
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Ulrich Rüdenauer
       
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