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       # taz.de -- Konflikt Zentralafrikanische Republik: Brutalisiertes Niemandsland
       
       > Seleka-Rebellen haben vor einem Jahr die Regierung gestürzt. Nach ihrer
       > Vertreibung beherrschen nun verfeindete Milizen das Land.
       
   IMG Bild: Bereits 12 Kilometer vom Nullpunkt entfernt, am Stadtrand von Bangui, beginnt die heiße Zone. Täglich wird hier geschossen und gemordet.
       
       BANGUI/SIBUT taz | Der Nullpunkt der Zentralafrikanischen Republik liegt im
       Zentrum von Bangui, in einem Kreisverkehr vor dem Präsidentenpalast. Von
       hier aus führt eine Straße nach Norden – durch die Zentralafrikanische
       Republik, in den Tschad und theoretisch weiter nach Libyen bis zum
       Mittelmeer. Sie verbindet die Sahelzone mit Subsahara-Afrika. Seit
       Jahrhunderten werden auf diesem Weg Waren in den Kontinent hinein- und
       Rohstoffe aus dem Herzen Afrikas hinaustransportiert.
       
       Über diese Straße kommen auch seit Jahrzehnten Rebellen in die Hauptstadt
       marschiert. Im März 2003 war es François Bozizé, der über diesen Weg
       Präsident Ange-Felix Patassé stürzte. Im März 2013 stürzten auf gleiche
       Weise die Rebellen der Seleka (Allianz) Bozizé. Neun Monate später lehnten
       sich jugendliche Milizen, genannt „Anti-Balaka“, gegen die Seleka auf.
       Seleka zog sich über diese Straße wieder gen Norden zurück.
       
       Französische und afrikanische Truppen haben seitdem die Straße bis
       Kilometer 180 geräumt, bis zur Kleinstadt Sibut. 300 Mann der
       Eingreiftruppe der Afrikanischen Union (Misca) wurden in Sibut stationiert.
       Doch seitdem hat kaum ein Lastwagen, kaum ein Auto diese Straße passiert.
       Es gibt keine Militärpatrouillen, keinen Verkehr.
       
       Bereits 12 Kilometer vom Nullpunkt entfernt, am Stadtrand von Bangui,
       beginnt die heiße Zone. Täglich wird hier geschossen und gemordet. Täglich
       sammelt das Rote Kreuz hier Leichen auf. Misca-Soldaten und französische
       Panzerwagen sind stationiert, Stacheldraht sichert die Fahrbahn vor den
       Menschen, die am Wegrand herumlungern: Frauen verkaufen Obst und Gemüse,
       Männer trinken Bier. Auch Jugendliche der Anti-Balaka patrouillieren, mit
       Macheten und Messern bewaffnet. Von einem Podest aus verhökern sie geklaute
       Waren: T-Shirts, Taschenlampen, Zigaretten, die sie aus den Läden der
       geflohenen muslimischen Händler gestohlen haben.
       
       ## Anti-Balaka verbrannten lebende Menschen
       
       Bei Kilometer 13 beginnt das Elend. Ein paar tausend Muslime hausen unter
       freiem Himmel, in Wellblechhütten, in der Moschee – nur einen Steinwurf von
       den Anti-Balaka entfernt, die in den letzten Monaten Muslime in Stücke
       hackten, bei lebendigem Leib verbrannten, sogar deren Fleisch aßen. Am
       Sonntag metzelten sie drei Muslime ab, am Samstag vier, am Freitag zwei.
       
       Schwerbewaffnete französische Soldaten kontrollieren zwischen Kilometer 12
       und Kilometer 13 jeden, der hier durchwill, nach Waffen. Jenseits dieses
       Nadelöhrs können sie keine Sicherheit garantieren, sagen sie. Hinter
       Kilometer 13 beginnt das Niemandsland. Am Samstag wagte sich zum ersten Mal
       ein Hilfskonvoi durch den Checkpoint. In jedem Auto sitzt ein
       Sicherheitsmann: ehemalige französische Fremdenlegionäre.
       
       Schon bei Kilometer 15 lauern Anti-Balaka an der Schranke. Sie wedeln mit
       Macheten, umzingeln die Fahrzeuge, verlangen Wegzoll, Zigaretten,
       Kleingeld. Bei Kilometer 55, Kilometer 65 und Kilometer 120 dieselbe
       Situation. Es sind junge Männer, teils Kinder, nervös und aggressiv.
       
       Die Dörfer am Straßenrand wirken verwaist. Ab und zu sieht man frisch
       abgebrannte Häuser und Läden, Überreste zerstörter Moscheen. Hier hatten in
       den vergangenen Wochen die Anti-Balaka gewütet. Doch auch ältere Ruinen
       sind zu sehen, bereits mit Gras überwachsen. Hier hatten vor einem Jahr die
       Seleka Häuser zerstört, Menschen getötet.
       
       ## Grenzstadt zwischen Christen und Muslimen
       
       In Sibut bei Kilometer 180 herrscht eine unheimliche Stimmung. Die Seleka
       sollen nur 30 Kilometer nördlich im Busch lauern, angeblich reorganisieren
       sie sich dort. Keiner weiß das so genau. Aber die Angst geht um.
       
       Sibut ist ein strategisch wichtiger Ort. Hier zweigt die einzige Straße ab,
       die in den Osten des Landes führt. Hier hatte sich daher vor gut einem Jahr
       die Seleka, die aus dem Nordosten anmarschierte, für die Eroberung Banguis
       gerüstet. Hier unterhielt sie ihr Hauptquartier und trainierten tausende
       Rekruten. Die Völker nördlich von Sibut sind mehrheitlich Muslime. Die
       südlich sind mehrheitlich christlich. In Sibut manifestiert sich auch eine
       religiös-kulturelle Grenze.
       
       Zumindest, bis Ende Januar die Anti-Balaka Sibut angriffen. Zwei Wochen
       dauerten die Kämpfe. Über 200 Menschen starben. Dann stoppten französische
       Truppen die Gefechte.
       
       Seitdem ist die 24.000-Einwohner-Stadt Sibut fest im Griff der Anti-Bakala.
       Die Moschee liegt in Trümmern, die Läden sind abgebrannt, die Häuser
       zerstört. Der Markt „Libyen“ mit seinen Holzbuden ist nur noch ein
       Aschehaufen. Von den knapp tausend Muslimen, die hier bislang Waren aus dem
       Norden umschlugen, ist keiner mehr übrig.
       
       ## Kinder wollen ihre Eltern rächen
       
       Auf der geschäftigen Hauptstraße wimmelt es von jungen Männern, mit
       Kalaschnikow, Messern, Macheten, Speeren. Ein kleiner Junge trägt Pfeil und
       Bogen über der Schulter, eine Zigarette im Mundwinkel. Sein Blick ist kalt
       und erstarrt. „Der ist gerade einmal sieben Jahre alt“, berichtet Etienne,
       ein lokaler Mitarbeiter des Kinderhilfswerks Save the Children. Etienne
       will die Jugendlichen bewegen, die Waffen abzugeben. Doch das ist schwer:
       „Dieser Junge hat gesehen, wie sein Vater von den Seleka ermordet wurde. Er
       sagt, er wolle sich dafür rächen“, berichtet Etienne. „Es ist ein Kreislauf
       der Gewalt. Sie wissen nicht, wohin mit ihrem Hass und der Wut“.
       
       Während Etienne spricht, kommen die Anti-Balaka näher. Sie wollen wissen,
       was er über sie erzählt. Ein älterer Milizionär mit Kalaschnikow bäumt sich
       auf und zischt etwas in der lokalen Sprache Sango. Etienne seufzt und biegt
       in eine Seitengasse ab. „Sie haben keinen Respekt“, flüstert er. Drei
       Viertel der Bevölkerung Sibuts sind unter 18. Über 80 Prozent der Jungen
       hätten sich den Anti-Balaka angeschlossen, schätzt Etienne. „Sie haben alle
       nichts zu tun. Die Schulen sind geschlossen und geplündert.“
       
       Etienne grüßt einen älteren Herrn im Trainingsanzug: Der Polizeikommissar
       von Sibut. Er will aus Angst seinen Namen nicht nennen. „Die Bevölkerung
       wurde von diesen Banden als Geisel genommen“, raunzt er. Seine Polizisten
       seien von der Seleka entwaffnet worden. „Jetzt rauben und vergewaltigen die
       Jugendlichen hier.“ Mehrfach habe er dies den Misca-Truppen am Stadteingang
       gemeldet. Vergeblich: Würden sie die Anti-Balaka entwaffnen, würden die
       Seleka wieder angreifen, so die Erklärung. In diesem Moment kommen die
       Jugendlichen mit ihren Macheten wieder näher. Der Kommissar trollt sich
       davon.
       
       ## Milizen greifen sich gegenseitig an
       
       Die 300 Misca-Soldaten in Sibut kommen aus Gabun und hausen in den
       Kasernen, wo einst die Armee und dann Seleka stand. Oberst Marcel Tsoumou
       sitzt auf einem Plastikstuhl im Innenhof. Hinter ihm hacken seine Soldaten
       Feuerholz. Es gibt keinen Strom, selten Handy-Empfang, zu wenig Feldbetten
       und Lebensmittel. „Die Lage ist beschissen“, fasst er zusammen.
       
       Zu Beginn seiner Mission vor drei Wochen patrouillierten seine Soldaten
       noch, sagt der Oberst; sie hätten den Anti-Balaka ein Dutzend Feuerwaffen
       abgenommen, sich die Klagen des Polizeikommissars angehört. Und jetzt? „Es
       ist verzwickt. Wenn wir die eine Gruppe entwaffnen, dann kommen die Gegner
       und töten sie.“ Dann deutet er auf ein paar Männer jenseits des
       Stacheldrahtzauns.
       
       Es sind drei Anti-Balaka-Milizionäre. Sie tragen Pflaster und Verbände an
       den Armen und am Kopf. „Die Balaka aus dem Nachbardorf haben uns
       angegriffen“, berichten sie. Um sich verarzten zu lassen, seien sie zu den
       Misca-Truppen gekommen. Das Machtvakuum in Sibut führt jetzt dazu, dass
       sich die Milizen untereinander zanken. Jetzt, da ihre Feinde vertrieben
       wurden.
       
       4 Mar 2014
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Simone Schlindwein
       
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