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       # taz.de -- WM-Quartier der DFB-Kicker: Jetzt wird geklotzt
       
       > Der Bau des WM-Quartiers der Fußball-Nationalmannschaft krempelt eine
       > abgeschiedene Gegend um. Für die deutschen Investoren ein toller Deal.
       
   IMG Bild: Meerblick: Vor gut 500 Jahren gingen hier die ersten Portugiesen in Amerika an Land
       
       SANTO ANDRÉ taz | „Wir werden erst in der 45. Minute der zweiten Halbzeit
       fertig werden“, sagt Bauleiter Eduardo Farias voraus. Gearbeitet werde fast
       rund um die Uhr, in zwei Schichten. Spätestens Anfang Mai soll alles fertig
       sein: 14 Wohnhäuser mit jeweils fünf Zimmern auf zwei Etagen, ein
       Schwimmbad und eine großzügige Rasenfläche. Erstbewohner der nagelneuen
       Ferienanlage werden die deutschen Nationalspieler samt den engsten
       Mitarbeitern sein, die in Juni zur Fußball-WM nach Brasilien aufbrechen.
       
       Es ist nicht einfach, bis zu Farias vorzudringen. Rund um die Baustelle
       „der Deutschen“ herrschen strenge Sicherheitsvorkehrungen, das ganze
       Gelände von vielleicht 15.000 Quadratmetern ist durch einen Bauzaun und
       schwarze Plastikplanen abgeschirmt. Drinnen herrscht hektischer Betrieb: Es
       wird gemauert, gesägt, gepinselt, Dachplatten werden verlegt und
       Baumaterialien über den sandigen Boden gekarrt. Über 200 Bauarbeiter sind
       hier beschäftigt, trotz sengender Hitze wird wie im Akkord gearbeitet.
       
       Stolz zeigt der Bauleiter auf das Schatten spendende Vordach aus glänzendem
       Eukalyptusholz. „Hier ist alles Qualitätsarbeit, die deutschen Fußballer
       sollen sich bei uns wohlfühlen.“ Und wichtig: Alles auf der Baustelle laufe
       trotz der geboten Eile entsprechend den Vorschriften. „Außer einigen
       Büschen wurde nichts abgeholzt, alle Umweltauflagen werden eingehalten.“
       
       Vom Fenster aus ist hinter Palmen der nächste Bauzaun zu sehen. Danach
       kommt der Strand. Die Wellen plätschern sanft, die Küste ist von einem Riff
       geschützt. Ideale Erholungsbedingungen für anspruchsvolle Fußballer während
       der Fußball-WM: ein abgeschiedenes Tropenparadies.
       
       ## Nächtlicher Lärm und kranke Kinder
       
       Vor dem künftigen DFB-Quartier ist die Stimmung indes eher angespannt. Über
       der Sandstraße weht feiner Staub der chemisch behandelten Eukalyptusstämme
       direkt in die Fenster der einfachen Behausungen gegenüber. „Die Kinder
       leiden unter dem Holzstaub, sie haben durchgehend Schnupfen. Nachts können
       sie nicht schlafen, auch wegen des Lärms“, beklagt Mariane Ferreira.
       
       Ihre ganze Familie wohnt dort. „Alles hat seine guten und schlechten
       Seiten“, sinniert Mariane. Gut sei, dass die Gegend aufgewertet wird,
       vielleicht werde es dann eine bessere Wasserversorgung geben oder eine
       Müllabfuhr. Auch gebe es jetzt viele neue Arbeitsplätze, das Geld sei
       wichtig für die Leute. „Andererseits wird Druck ausgeübt, dass wir unsere
       Häuser verkaufen. Dabei haben die Deutschen doch schon alles am Strand
       aufgekauft. Wir fürchten, dass wir bald keinen Zugang mehr zum Strand haben
       könnten“, berichtet Mariane.
       
       Deutsche Investoren um den Münchner Modezar Christian Hirmer haben das
       Strandgrundstück bereits vor über fünf Jahren erstanden. Erste Bauarbeiten
       wurden nach kurzer Zeit eingestellt, offenbar gab es Schwierigkeiten bei
       der Genehmigung oder mit der Rentabilität einer Tourismusanlage. Dann kamen
       seit knapp einem Jahr Löw, Bierhoff und andere Größen des deutschen
       Profifußballs immer wieder zu Besuch nach Santo André, dem kleinen Dorf im
       Süden des Bundesstaats Bahia.
       
       „Seit April vergangenen Jahres gab es Gerüchte, dass sich die Nationalelf
       hier niederlassen wird“, erzählt Günter Keseberg, ein deutscher
       Unternehmer, der sich vor Jahren in Santo André zur Ruhe gesetzt hat. Die
       ersten Arbeiten seien dann im August begonnen worden, Monate vor der
       offiziellen Bekanntgabe der Entscheidung.
       
       ## 14 Häuser im Naturschutzgebiet
       
       Hirmer und Co. haben angesichts der neuen Sachlage ihre Pläne überdacht,
       jetzt wird geklotzt. Rechts vom Campo Bahia wurde das Hotel eines
       Italieners aufgekauft und bereits abgerissen. Links davon wurde ein
       weiteres Strandhotel erworben. Gebaut wird dort noch nicht – Anwohner
       vermuten, die Ausbreitung der Deutschen könne mit Umweltauflagen
       zusammenhängen: Das Campo Bahia liegt in einer sogenannten APA, einer Art
       Naturschutzgebiet, in dem enge Nutzungsrichtlinien herrschen. Da die 14
       Häuser sehr eng beieinander stehen und üblicherweise nur ein Drittel der
       Fläche eines APA-Grundstücks bebaut werden darf, könnten die zugekauften
       Grundstücke – vorerst – als Ausgleich dienen.
       
       Knapp drei Kilometer außerhalb von Santo André gibt es eine weitere, eher
       unauffällige Baustelle. Mitten in einer steppenartigen Buschlandschaft sind
       unweit der Landstraße eine deutsche und eine brasilianische Fahne zu
       erkennen, daneben ein Bauturm. Hier soll das Trainingszentrum der
       Nationalelf entstehen, ein Fußballplatz und weitere provisorische
       Sporteinrichtungen.
       
       Die Baugenehmigung wurde erst am 17. Februar erteilt. Tags darauf wurde
       begonnen, das Gelände zu planieren. Auch hier ist der Zeitplan knapp,
       Besucher sind nicht erwünscht. „Ohne Genehmigung dürfen wir hier niemanden
       hereinlassen“, sagt ein freundlicher Wächter am Eingang der improvisierten
       Sandpiste.
       
       Der Schweiß steht ihm auf der Stirn, die halbhohen Bäume hinter den
       Stacheldrahtzaun bieten nur wenig Schatten. „Immerhin haben wir hier ein
       Job, das ist gut so.“ Der Lohn könnte aber besser sein. „Ich freue mich
       darauf, dass die Deutschen hierher kommen. Aber die WM werden natürlich wir
       gewinnen“, sagt der Arbeiter und grinst.
       
       ## Preise werden in die Höhe getrieben
       
       Das Land rund um das zukünftige Trainingszentrum gehört einem reichen
       Investor aus Rio de Janeiro. Bisher kaum genutzt, ist die Präsenz der
       deutschen Kicker die beste Werbung, um die Preise in der Gegend in die Höhe
       zu treiben. Eine Rechnung, die Hirmer bestimmt auch gemacht hat.
       
       Für den Tourismussekretär von Santa Cruz de Cabrália, Fernando Oliveira,
       ist der hohe Besuch aus Europa schon jetzt ein voller Erfolg. Der Strandort
       mit einem historischen Stadtkern – nahe der Stelle, wo vor gut 500 Jahren
       die ersten Portugiesen amerikanischen Boden betraten – ist das
       Verwaltungszentrum, zu dem auch die 800-Seelen-Gemeinde Santo André gehört.
       „Hunderte Familien profitieren von den neuen Arbeitsplätzen, brachliegende
       Bauarbeiten sind wiederaufgenommen worden, Cabrália wird endlich auf der
       Weltkarte erscheinen“, zählt Oliveira auf.
       
       Dafür zeigen sich die lokalen Behörden gern erkenntlich: Das Pressezentrum,
       das in einem Luxushotel nahe des Campo Bahia errichtet wird, werde vom
       Bundesstaat Bahia finanziert, verrät Oliveira. „Und die notwendigen Bau-
       und Umweltgenehmigungen haben wir unbürokratisch beschleunigt.“ Jeder in
       Brasilien weiß, was das bedeutet.
       
       Es bleibt die Frage, warum die sonst so auf Sicherheit bedachten Deutschen
       sich auf ein solch riskantes Unterfangen eingelassen haben. Der DFB
       missachtet gar die Empfehlung der Fifa, auf dem Weg zum nächsten Flughafen
       keine Schiffsverbindung nutzen zu müssen. Doch um die gut 30 Kilometer zur
       Touristenmetropole Porto Seguro zurückzulegen, muss per Fähre ein Fluss
       überquert werden.
       
       Nicht auszuschließen, dass der Plan schon vor langer Zeit in München
       zwischen der Finanzelite und den Bayern ausgeheckt wurde. Für die
       Investoren ist der Deal fraglos ein sicheres und hochprofitables Geschäft.
       Weniger eindeutig ist, wie der DFB zu diesem Abenteuer ermuntert wurde.
       Zumindest soll Spielern wie Funktionären ein Vorkaufsrecht eingeräumt
       worden sein, wenn die 14 Villen des Campo Bahia nach Ende der WM verkauft
       werden.
       
       2 Mar 2014
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Andreas Behn
       
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