URI: 
       # taz.de -- Kolumne Besser: Debatte ohne Widerworte
       
       > Mit dem Verweis auf Kinder darf man Dinge tun, die man sich sonst
       > verkneift: Das Internet zensieren oder Muslimen mal ordentlich die
       > Meinung geigen.
       
   IMG Bild: Es geht ja nicht um Kinder. Eigentlich.
       
       Die Kinder, die Kinder, die armen kleinen Kinder. Wer irgendeine Schikane
       im Sinn hat, ist gut beraten, sie mit dem Wohl von Kindern zu
       rechtfertigen. So wollte [1][Ursula von der Leyen] das Internet bändigen,
       ihrem Beispiel folgend verteidigt die türkische Regierung – auch nicht ganz
       doof – ihr Gesetz zur Internetzensur als Kampf gegen Kinderpornos.
       
       Die Einsicht, dass Kinder eines besonderen, notfalls mit Zwangsmitteln
       durchzusetzenden Schutzes bedürfen, droht zur universellen
       Verbotsbegründung zu werden. Oder Edathy, der Mann, der mit Vornamen
       inzwischen „Fall“ oder „Causa“ heißt wie sich weiland Mehdorn den Vornamen
       „Bahnchef“ erwarb, und dessen bürgerliche Existenz von einer
       Staatsanwaltschaft vernichtet wurde, die zwar Moralismus, aber [2][keinen
       Anfangsverdacht auf strafbare Handlungen] vorzuweisen hatte.
       
       Oder die grüne Partei, die mit derselben Inbrunst mal dieses fordern, mal
       jenes tun konnte und mit allem durchkam, nur nicht mit einem über 30 Jahre
       alten Kommunalwahlprogramm – von der Katholischen Kirche ganz zu schweigen.
       
       Mögen die Fressen von der NPD außerhalb ihrer ostzonalen Browntowns den
       Anschluss verloren haben, mit ihrer Forderung „Todesstrafe für
       Kinderschänder“ dürfen sie sich Avantgarde fühlen. Gerade weil dieser
       Diskurs ohne Kontrahenten stattfindet (Bildchen gucken, Kinder
       missbrauchen, alles Täter) und sich sein Gegenstand nicht gegen
       Bevormundung wehren kann (sind ja nur Kinder), wäre ein gewisses Maß an
       Maßhaltung geboten. Doch es passiert das Gegenteil.
       
       ## Moralischer Distinktionsgewinn
       
       Mit dem Verweis auf Kinder darf man sogar Dinge tun, die man sich sonst
       verkneift, zum Beispiel Juden und Muslimen mal ordentlich die Meinung
       geigen, weil sie ihre Söhne – alles Kinder, kleine Kinder, gar kleine
       Kleinkinder! – einem religiösen Brauch folgend [3][um ein Stück Vorhaut
       bringen]. Auch das Ressentiment gegen Homosexuelle wird wieder
       diskutierbar, sofern es nur – [4][der Dingsda hat es neulich gezeigt] –
       irgendwie mit Kindern in Verbindung gebracht wird. („Igittigitt. Und nicht
       mal Kinder kriegen die!“)
       
       Vermutlich ist es nur eine Frage der Zeit, bis jemand auf die Idee kommt,
       Lolita und Julia um einer paar Jahre altern zu lassen, so wie man –
       ebenfalls aus Rücksicht auf die Kinder – bei Pippi Langstrumpf und der
       Kleinen Hexe [5][ein paar editorische Eingriffe unternommen hat]. Dabei
       finden dieselben Leute, die nun Sebastian Edathy für den [6][Gert Fröbe]
       vom Bundestag halten, einen Kindergarten in ihrer Nachbarschaft so
       attraktiv wie ein Asylbewerberheim oder eine Mülldeponie.
       
       Es geht ja nicht um Kinder. Es geht um das, was man in sie hinein
       projiziert. Nirgends ist moralischer Distinktionsgewinn so billig zu haben
       wie in dieser Debatte ohne Widerworte. Doch das Kinderargument ist nicht
       nur Vorwand.
       
       Die Parvenühaftigkeit, mit der die spätgebärende Mittelschicht sich um die
       eigene Brut kümmert („Das Kacka von Heinrich-Otto ist manchmal ganz hart“ –
       „Das von Sophia-Lena auch.“), droht zum Maßstab für eine Gesellschaft zu
       werden, die – siehe die groteske Diskussion um das Stechen von Ohrlöchern –
       aus dem Wunsch, Kinder zu schützen, anscheinend alles dafür tun will, ihrem
       Nachwuchs einen gehörigen Dachschaden zu verpassen.
       
       Besser: Man hält Maß. Der Kinder willen, logisch.
       
       25 Feb 2014
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /!129469
   DIR [2] http://www.deutschlandfunk.de/ermittlungen-gegen-edathy-bilder-von-nackten-jungs-darf.694.de.html?dram%3Aarticle_id=277382
   DIR [3] /!97428/
   DIR [4] http://www.stefan-niggemeier.de/blog/matthias-matussek-scheitert-an-fragebogen-fuer-siebtklaessler/
   DIR [5] /!114947
   DIR [6] http://www.revierpassagen.de/wp-content/uploads/2013/01/Es+geschah+am+hellichten+Tag+02+-+Portrait+01.jpg
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Deniz Yücel
       
       ## TAGS
       
   DIR Besser
   DIR Sebastian Edathy
   DIR Kinderpornografie
   DIR Internetzensur
   DIR Besser
   DIR Sprachkritik
   DIR Besser
   DIR Schwerpunkt Syrien
   DIR Libanon
   DIR Große Koalition
   DIR SPD-Basis
   DIR Islam
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
   DIR Kolumne Besser: „Ich trage einen großen Penis“
       
       Politik ist ihm egal, er will nur eine Frau abbekommen, sagt der Autor Akif
       Pirinçci. Er könne sie stundenlang mit auswendig gelernten Witzen
       unterhalten.
       
   DIR Kolumne Besser: Ratatataschlitzschredderpengpeng
       
       Heute in der Mitmach-Kolumne „Besser“: Leser töten Wörter. Aber sie tun es
       nicht ohne Grund. Sie haben ihre Gründe. Gute Gründe.
       
   DIR Kolumne Besser: Lasst uns Wörter töten!
       
       Einer Lieblingsvokabel des politischen Kommentarwesens wird der Prozess
       gemacht. Am Ende wird sie an die Wand gestellt.
       
   DIR Kolumne Besser: Der kranke Mann von Ankara
       
       Egal ob Erdogan aus Kalkül handelt oder nur einen Sprung in der Schüssel
       hat – mit einem, der nicht zuhören will, ist ein Gespräch schwierig.
       
   DIR Kolumne Besser: Sabra, Schatila, Lieblingsmassaker
       
       Die Nachrufe auf Ariel Scharon zeigen nicht zuletzt eines: Die Erinnerung
       an die Gräuel des libanesischen Bürgerkriegs ist ausgesprochen selektiv.
       
   DIR Kolumne Besser: Sie sind so zierlich!
       
       Angela Merkel hat alle gefoppt und von der Leyen zur
       Verteidigungsministerin gemacht. Die Medien diskutieren so kontrovers wie
       lange nicht mehr!
       
   DIR Kolumne Besser: Wieder 50 Ungläubige umgenietet!
       
       Teegläser in die Luft – die Große Koalition will die „interkulturelle
       Öffnung“ der Medien weiter verstärken.
       
   DIR Kolumne Besser: www.suende.de
       
       Das Internet stellt auch den Islam vor neue Herausforderungen. Diese
       Kolumne hilft den Gläubigen, sich zurechtzufinden.