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       # taz.de -- Ukrainischer Historiker über Timoschenko: „Eine Politikerin der Vergangenheit“
       
       > Ihr eilt der Ruf voraus, tief in Korruptionsaffären verstrickt zu sein.
       > In der Politik sollte Timoschenko keine führende Rolle mehr spielen,
       > meint Andrij Portnov.
       
   IMG Bild: Julia Timoschenko spricht auf dem Maidan.
       
       taz: Herr Portnov, war der vergangene Samstag ein historischer Tag für die
       Ukraine? 
       
       Andrij Portnov: Ja. Die Regierung von Wiktor Janukowitsch ist am Ende. Sie
       hatte ihre Legitimität sowieso schon komplett verloren, nachdem so viele
       Menschen auf den Straßen von Kiew getötet worden waren. Die Ukraine steht
       jetzt vor der größten Herausforderung seit dem Zusammenbruch der
       Sowjetunion. Die Frage ist jetzt, in welche Richtung sich das Land
       entwickeln wird.
       
       Welche Rolle kann jetzt die frühere Regierungschefin Julia Timoschenko
       spielen? 
       
       Auf der eine Seite sind die meisten Menschen froh darüber, dass Timoschenko
       wieder in Freiheit ist, weil der Prozess gegen sie ein politischer war.
       Gleichzeitig glauben aber auch viele, dass sie nicht an der Spitze der
       Reformen stehen sollte, die in der Ukraine stattfinden müssen.
       
       Warum nicht? 
       
       Timoschenko hat den Ruf einer Populistin, einer Politikerin, die ständig
       versucht, mit den Gefühlen und Erwartungen der Bevölkerung zu spielen. So
       jemanden braucht es jetzt in der Ukraine, angesichts der massiven
       Wirtschaftskrise, nicht. Nein, es muss ein Politiker her, der sich rational
       und verantwortungsvoll der Probleme des Landes annimmt. Dazu kommt noch,
       dass Timoschenko der Ruf vorauseilt, tief in Korruptionsaffären verstrickt
       zu sein.
       
       Dessen ungeachtet: Glauben Sie, dass Timoschenko in der Lage ist, die
       Bevölkerung des Landes zu einen? 
       
       So ist sie nicht gestrickt. Außerdem ist sie eine Politikerin der
       Vergangenheit, die radikale und einsamen Entscheidungen trifft, ohne dass
       den politischen Partnern zu kommunizieren …
       
       Was bedeutet die erneute Präsenz der früheren Regierungschefin auf der
       politischen Bühne für die Opposition? 
       
       Die Rückkehr von Julia Timoschenko birgt für die Opposition neues
       Konfliktpotenzial. Wenn sie fähig ist, ihre eigenen Ambitionen
       zurückzustellen, kann aus der Situation etwas Positives entstehen.
       
       Und Vitali Klitschko? 
       
       Ich glaube, Klitschko wird sich nicht um das Amt des Regierungschefs
       bemühen, sondern sich auf die Präsidentschaftswahlen konzentrieren.
       
       Derzeit ist viel von einer möglichen Spaltung der Ukraine die Rede. Wie
       real ist dieses Szenario? 
       
       Ich bin selbst im Osten der Ukraine, in Dnjepropetrowsk, geboren und
       aufgewachsen. Deshalb verstehe ich auch, wie die Menschen dort auf die
       Ereignisse blicken. Natürlich werden einige Kräfte, wie Vertreter der
       örtlichen politischen und ökonomischen Eliten und Kräfte, die mit dem Kreml
       verbunden sind, mit einer Spaltung der Ukraine drohen und dieses Thema für
       ihre Zwecke instrumentalisieren. Dem Süden und Osten ist eine andere Art
       der politischen Mobilisierung eigen als im Westen oder in Kiew. Dabei geht
       es eher um eine gewisse Anpassungsfähigkeit und nicht um eine offene
       politische Konfrontation. Wenn die Organe der neuen Staatsmacht die Lage
       recht schnell unter Kontrolle bekommen und Reformen einleiten, dann hat der
       Separatismus keine Chance.
       
       Wie sollen die neuen Machthaber mit nationalistischen Gruppierungen
       innerhalb der siegreichen Opposition umgehen? 
       
       Die Bedrohung durch den Rechtsradikalismus wird in Deutschland und anderen
       westlichen Staaten stark überschätzt. Natürlich gab es auf dem Maidan eine
       Minderheit, die man den verschiedenen Spielarten des Rechtsradikalismus
       zurechnen kann, und davor sollte auch niemand die Augen verschließen. Doch
       das sind marginalisierte Gruppen. Ich glaube, dass es nicht allzu schwierig
       werden wird, sie aus politischen Entscheidungen herauszuhalten.
       
       Und die Partei Swoboda? 
       
       Swoboda ist sehr heterogen. Dort gibt es skandalöse Figuren, die im
       Parlament absolut untragbar sind. Doch während der jüngsten Krise haben
       sich die Führer von Swoboda sehr zurückgehalten und haben versucht, der
       Einheit der Opposition nicht zu schaden. Das bedeutet, dass es eine
       Möglichkeit gibt, diese Partei unter Kontrolle zu halten.
       
       Sollte Swoboda in der Opposition bleiben? 
       
       Es wäre gut, wenn die Partei in der nächsten Regierung nicht vertreten
       wäre. Doch derzeit müssen wir davon ausgehen, dass einige Vertreter von
       Swoboda im Kabinett sitzen werden. Dann müssen die anderen
       Regierungsmitglieder, aber auch die ukrainische Öffentlichkeit versuchen,
       diese Leute genau zu kontrollieren und in Schach zu halten. Davon abgesehen
       wäre ich natürlich sehr erleichtert, wenn diese Partei nach den nächsten
       Wahlen nicht mehr im Parlament vertreten wäre.
       
       24 Feb 2014
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Barbara Oertel
       
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