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       # taz.de -- Kolumne Deutsch-Sowjetische Freundschaft: Wenig Heimatliches
       
       > Die Spiele sind fast vorbei. Es überkommt einen der Gedanke: Großherzige
       > Russen haben nichts gegen windschiefe Provisorien und Schrundigkeit.
       
   IMG Bild: Die Euphorie täuscht: Russland ist ein angstdurchseuchtes Land
       
       Olympia ist für mich jetzt wieder 2180 Kilometer weit weg. Ich sitze in
       Berlin und weiß nicht so recht, warum Sotschi auch sonst recht fern ist.
       Nach den Winterspielen von Vancouver habe ich mir ausgemalt, wie man
       vielleicht mal in dieser wunderbaren Stadt leben könnte, mit den Rocky
       Mountains im Rücken und dem Pazifik vor der Nase.
       
       Auch Peking hatte etwas Reizvolles. So ein Gedanke kam mir in Sotschi,
       Adler oder Krasnaja Poljana nicht. Das ging mir nach der Fußball-WM in
       Südafrika ähnlich. Dort fand ich das Ausmaß der Segregation und die
       Alltäglichkeit schwerster Gewaltverbrechen abschreckend. Dieses Land lebte
       in Angst, versuchte sich mit Stacheldraht und Hochsicherheitsbereichen
       gegen das Heer der Armen abzuschirmen, das zu allem bereit schien.
       
       Auch Russland ist ein angstdurchseuchtes Land. Das Misstrauen gehört zum
       Staatsverständnis, und deswegen sind extreme Formen der Überwachung und
       Kontrolle normal. In diesem Klima möchte man nicht leben. Ich habe, ehrlich
       gesagt, jetzt auch die Schnauze voll davon, mich jeden Tag zwanzig Mal
       durchchecken zu lassen. Ich will in keinen Sicherheitsbereich mehr rein,
       ein Alltäglichkeitsbereich reicht völlig.
       
       Auch der romantische Blick auf das große russische Reich und auf die
       Eigenarten seiner manchmal sehr großherzigen Bewohner geht mir ab, denn
       solides Ostblock-Feeling hatte ich früher schon genug. Man konnte in
       Sotschi nur wenig Heimatliches finden.
       
       ## Zersiedlung und Raubau
       
       Wir Mitteleuropäer sind es ja gewohnt, nach Jahrhunderten der Zersiedelung
       und des Raubbaus eher vorsichtig mit unseren Naturresten umzugehen. Dass
       Russland ein Sumpfgebiet und ein Bergtal verwüstet und so gar nicht in
       Kategorien des Naturschutzes denkt, das kann Westler nur verstören. Es
       fehlt offensichtlich auch ein ästhetisches Grundverständnis.
       
       In Europa hat man es gern aufgeräumt, hübsch, heimelig und funktional. Die
       Russen, wenn man das so sagen darf, haben nichts gegen windschiefe
       Provisorien und Schrundigkeit. Der Aufschrei der Journalisten am Anfang der
       Spiele war dem Schock geschuldet, auf das betonharte Russland zu treffen –
       auf Schlammlöcher, Unfertiges, Unschönes. Aber es gab auch schöne Momente,
       natürlich.
       
       Schön war es zum Beispiel, an der Uferpromenade zu sitzen und die Sonne im
       Schwarzen Meer verschwinden zu sehen. Schön war es auch, auf Leute aus
       aller Welt zu treffen, auf zwei angeschickerte Finnen etwa, die früh um
       sieben in der Frühstücksbar soffen und mir erklärten, warum die Finnen im
       Eishockey gegen die Russen gewinnen werden. Ein wahrhaft olympischer
       Moment.
       
       23 Feb 2014
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Markus Völker
       
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