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       # taz.de -- Medico zu Entwicklungspolitik: „Viel Gutes wieder einkassiert“
       
       > Internationale Entwicklungshilfe darf nicht vom Wohlwollen privater
       > Geldgeber abhängen, sagt Thomas Gebauer, Chef von Medico International.
       
   IMG Bild: Entwicklungspolitik ist viel mehr als Brunnenbau
       
       taz: Herr Gebauer, Ihre Organisation veranstaltet an diesem Wochenende die
       Konferenz „Beyond Aid“ zur Zukunft der Entwicklungshilfe. Kritiker wie die
       sambische Ökonomin und „Dead Aid“-Autorin Dambisa Moyo gehen weiter: Sie
       wollen Entwicklungshilfe als Wurzel allen Übels komplett abschaffen. 
       
       Thomas Gebauer: Auch die am besten organisierte Gesellschaft kann nicht auf
       Hilfe verzichten. Beistand wird immer notwendig sein. Die Frage lautet
       nicht: Hilfe ja oder nein, sondern welche Hilfe, in welchem Kontext, und
       mit welchen Absichten.
       
       Wie sollte die Hilfe denn aussehen? 
       
       Sie darf die Missstände, die sie nötig machen, nicht verlängern. Deshalb
       muss sie losgelöst sein von Geberinteressen, von Wohltätigkeit und
       freiwilligem Engagement. Wir sehen die Tendenz zur Privatisierung von Hilfe
       sehr kritisch. Bill Gates etwa ist der zweitgrößte Finanzier der
       Weltgesundheitsorganisation....
       
       ...und steht mit seinem Impfprogramm womöglich kurz davor, Polio
       auszurotten. 
       
       Aber wenn er dazu morgen keine Lust mehr hat, kann er einfach so damit
       aufhören. Hilfe muss auf rechtliche Grundlagen gestellt werden.
       
       Geht es letztlich darum, den Sozialstaat zurückzubringen? 
       
       Der Neoliberalismus hat das Risiko für sozialen Ausschluss weltweit
       dramatisch erhöht. Es geht deshalb um gesellschaftliche Verantwortung für
       soziale Sicherheit. Das muss nicht zwangsläufig der Zentralstaat sein.
       Vieles kann auf einer dezentralen Ebene laufen. Es gibt in Lateinamerika
       interessante Ansätze hierfür, etwa das „Commoning“ - die
       Gemeinschaftlichkeit von Gütern und Entscheidungen. Da wird
       gesellschaftliche Verantwortung viel stärker von unten konstituiert.
       
       Von unten wird man nicht viel umverteilen können. 
       
       Natürlich kommt man nicht an der nationalen Ebene vorbei, wenn es um
       Umverteilung geht. Bildung und Gesundheit bedürfen solidarischer
       Finanzierung. Das lässt sich nicht auf kommunaler Ebene klären. Nehmen Sie
       den Länderfinanzausgleich: Hier wird das Solidarprinzip realisiert. Nach
       solchen Mustern sind andere globale Finanzierungssysteme vorstellbar, die
       frei sind von Geberinteressen.
       
       Also doch: Mit dem westlichen Umverteilungsstaat die Armut besiegen? 
       
       Ich bin weit davon entfernt zu sagen: Alles, was der Westen gedacht hat,
       ist von Übel. Die Aufklärung, die Menschenrechte – vieles hat Wurzeln auch
       in Europa. Aber Menschenwürde und das Solidarprinzip sind keine Prinzipien
       des Westens. Das gibt es auch in außereuropäischen Gesellschaften. Sie
       stellen die Grundlage für einen globalen Gesellschaftsvertrag dar, der sich
       auch aus dem Denken der Gesellschaften Lateinamerikas, Asiens oder Afrikas
       speisen wird.
       
       Vielleicht gibt es ja Grund zum Optimismus. Nächstes Jahr endet die
       Milleniums-Entwicklungsdekade der UN. Und in den Debatten um die so
       genannte Post 2015-Agenda ist immer öfter von festgeschriebenen Rechten der
       Armen statt von Indikatoren für Entwicklung die Rede. 
       
       In den Debatten sind viele gute Elemente enthalten. Aber in den
       Regierungsverhandlungen werden sie dann wieder einkassiert.
       
       Welche zum Beispiel? 
       
       Das Prinzip des Rechts auf Nichtdiskriminierung etwa dürfte verloren gehen.
       Länder wie Mexiko beispielsweise sagen, sie haben eine universelle soziale
       Absicherung. Alle Kranken können sich an öffentliche Einrichtungen wenden.
       Offen bleibt aber, welche Versorgung sie da bekommen. Der Post-2015-Prozess
       könnte auf Doppelstandards mit einer bloßen Minimalversorgung für Arme
       hinauslaufen - oder gar dazu benutzt werden, um Sozialstandards weiter
       abzusenken.
       
       Im letzten Jahrzehnt sind hunderte Millionen Arme in die Mittelschicht
       aufgestiegen. Spricht das nicht für den eingeschlagenen Pfad? 
       
       Viele verdienen etwas mehr, trotzdem gibt es eine massive Verarmung. Denn
       die Menschen müssen für immer mehr selbst aufkommen.
       
       Warum? 
       
       Weil der Staat sich zurückzieht, etwa aus dem Gesundheitssektor. Als Lösung
       wurden etwa Mikrokredite propagiert, die aber nur Millionen von Menschen in
       einen prekären Schuldenkreislauf gezogen haben. Ein Großteil der heute
       aufgenommenen Mikrokredite wird für Lebensmittel und medizinische
       Versorgung ausgegeben, deren Inanspruchnahme wieder an die individuelle
       Zahlungsfähigkeit gekoppelt wurde.
       
       Wie wollen Sie diese Kopplung aufheben? 
       
       Es wäre aberwitzig zu sagen, solange der Kapitalismus existiert, können wir
       die Hände in den Schoß legen. Es ist möglich, Veränderungen durchzusetzen.
       Nehmen Sie die AIDS-Bewegung in Südafrika. Deren Aktivisten haben die
       Einrichtung des Globalen Fonds zur Bekämpfung von Aids, Tuberkulose und
       Malaria erzwungen. Der ist mit Milliarden Dollar ausgestattet, überwiegend
       Spendengelder. Die Aktivisten, die auch auf unserer Konferenz sind, halten
       dies aber nur für einen Teilerfolg. Es geht letztlich auch hier um die
       Verrechtlichung der Versorgungsansprüche. Gleichzeitig ist natürlich
       richtig: Solange das Prinzip des Wachstums und des Renditezwangs anhält,
       bekommen wir Probleme.
       
       Wachstum ist in den Schwellen- und Entwicklungsländern überaus positiv
       besetzt. Kann - und darf - man dort für Konsumzurückhaltung werben? 
       
       Das ist das heikelste Thema überhaupt. Der Norden der Welt hat noch immer
       den größten ökologischen Fußabdruck. Von den Menschen im Süden zu
       verlangen, nicht zu wollen, was wir haben, ist illusionär. Andere globale
       Übereinkünfte wird es deshalb nur geben, wenn wir andere Vorstellungen von
       Leben entfalten. Das ist unsere Aufgabe. Wenn wir es nicht schaffen, auf
       globaler Ebene Verständigung über ein anderes Entwicklungsmodell zu
       schaffen, ist die Entwicklungshilfe permanent im Irren.
       
       Setzen Sie nach dem Abgang von Minister Dirk Niebel Hoffnung in die
       deutsche Entwicklungspolitik? 
       
       Unter ihm gab es kaum Dialog. Sein Nachfolger Gerd Müller zeigt sich
       offener. Ich hoffe, dass es da eine Bereitschaft gibt, die Prinzipien der
       Entwicklungspolitik zu verändern.
       
       21 Feb 2014
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Christian Jakob
       
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