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       # taz.de -- Flüchtlinge aus Berlin abgeschoben: In Lebensgefahr
       
       > Eine Familie wird nach Polen abgeschoben, obwohl die Versorgung der
       > behinderten Kinder dort nicht gegeben ist.
       
   IMG Bild: Protest gegen die Abschiebung von Flüchtlingen.
       
       Behörden von Berlin und dem Bund haben vergangenen Donnerstag eine
       tschetschenische Familie nach Polen abgeschoben. Dort schwebt die
       zweijährige kranke Tochter der Familie in akuter Lebensgefahr. Frido
       Pflüger vom Jesuiten-Flüchtlingsdienst sowie die Anwältin der Familie,
       Julia Kraft, fordern, die Familie umgehend nach Berlin zurückzuholen.
       Inzwischen hat sich auch die Piratenfraktion im Abgeordnetenhaus
       eingemischt. Deren Abgeordneter Fabio Reinhardt sagt: „Frank Henkel muss
       die Zuständigkeit an sich ziehen und die Familie nach Berlin zurückholen.“
       
       Familie A. kam vor 15 Monaten als Asylsuchende nach Berlin. Die Eltern sind
       nach Angaben ihrer Anwältin in Tschetschenien schwer gefoltert worden.
       Folterungen in oft inoffiziellen Polizeistationen sind in der politisch
       instabilen Kaukasusrepublik keine Seltenheit. Zwei der drei Kinder der
       Familie A. im Alter von zwei und drei Jahren kamen mit Behinderungen zur
       Welt. Das dreijährige Mädchen ist spastisch gelähmt und kann nicht laufen.
       Das zweijährige Mädchen hat einen deformierten Kopf, ist fast blind und lag
       in seinem kurzen Leben bereits sechsmal wegen Hirnoperationen und
       epileptischer Anfälle bei akuter Lebensgefahr in einer Spezialklinik der
       Berliner Charité.
       
       Weil Familie A. über Polen nach Deutschland eingereist ist, veranlasste das
       Bundesamt für Migration und Flüchtlinge die Rückschiebung nach Polen. Dort
       soll die Familie ihren Asylantrag stellen. Anwältin Kraft hatte dagegen
       Rechtsmittel eingelegt. „Die erforderliche intensivmedizinische Versorgung
       der Töchter ist in Polen nicht gegeben“, sagt sie der taz. „Zudem kommt es
       nach Berichten Betroffener immer wieder vor, dass in Polen
       Flüchtlingskinder inhaftiert werden.“ Außerdem drohe vielen Flüchtlingen in
       Polen Obdachlosigkeit – „das ist aufgrund der Krankheit der Töchter und der
       psychischen Erkrankungen der Eltern wegen erlittener Folter nicht
       zumutbar“, sagt Kraft.
       
       Sogar die mit der Abschiebung beauftragten Polizisten hatten sich nach
       Informationen aus dem Umfeld der Familie wegen der offensichtlich kranken
       Kinder zunächst geweigert, die Abschiebung durchzuführen, wurden dann aber
       ausdrücklich anders angewiesen.
       
       Jesuitenpater Pflüger hatte einen Tag vor der Abschiebung bei der
       Härtefallkommission einen Antrag auf ein humanitäres Bleiberecht gestellt.
       Der Antrag war aber nicht mehr rechtzeitig bei Innensenator Frank Henkel
       (CDU) angekommen. Pflüger sagt: „In Vorgesprächen war uns zugesagt worden,
       dass die Familie ärztlich begleitet nach Polen abgeschoben wird.“ Laut
       Attesten der Charité bedürften beide Mädchen ständiger medizinischer
       Überwachung. „Außerdem wurde uns zugesagt, dass eine ärztliche Versorgung
       in Polen gegeben sei.“
       
       Die Realität sieht anders aus. Die taz hatte Gelegenheit, mit Herrn A. zu
       telefonieren. Der sagt: „Ein Arzt hat uns nur bis zur deutschen
       Staatsgrenze begleitet. In Slubice haben uns Beamte in einen Zug nach
       Warschau gesetzt. Wir hatten für die fünfstündige Fahrt weder Nahrung noch
       Windeln bekommen.“ Die jüngste Tochter habe auf der Fahrt zwei epileptische
       Anfälle erlitten. „Die Polizisten haben in Berlin die Medikamente an sich
       genommen und vergessen, sie uns wieder auszuhändigen.“
       
       In Warschau angekommen, sei die Familie an ein Flüchtlingsheim mitten im
       Wald verwiesen worden. Dabei mussten die Eltern nach eigenen Angaben mit
       zwei schwerstbehinderten Kindern und einem gesunden Kleinkind zweieinhalb
       Kilometer zu Fuß durch den Wald laufen.
       
       „Drei Tage lang habe ich zusammen mit der jüngeren Tochter in einem
       Warschauer Krankenhaus gelegen“, sagt der Vater. Trotz Lebensgefahr für das
       Kind wurden sie dort am Dienstag entlassen. „Das Kind erhält nicht die
       Medikamente, auf die es in Deutschland eingestellt war, und verweigert die
       in Polen erhältliche Babynahrung“, sagt A.
       
       Ein Sprecher von Innensenator Frank Henkel (CDU) verweist auf die
       Zuständigkeit des Bundes. Der sei im Falle von Rückführungen in sichere
       Drittstaaten zuständig. Die Anrufung der Berliner Härtefallkommission wäre
       darum formal gar nicht zulässig gewesen. Christin Germann vom zuständigen
       Bundesamt für Migration und Flüchtlinge erklärt, das Verwaltungsgericht
       habe die Rechtmäßigkeit der Abschiebung bestätigt. „Der Familie steht in
       Polen die notwendige medizinische Versorgung zur Verfügung.“ Auch eine
       Mitarbeiterin des Bundesamts in Polen will nach der Abschiebung von
       polnischen Behörden nichts Gegenteiliges gehört haben.
       
       Rechtsanwältin Kraft sagt: „Die Verschreibung der sehr speziellen
       Medikamente erfordert eine spezifische ärztliche Qualifikation und eine
       mehrtägige Anamnese.“ Die wurde in Polen nicht einmal begonnen
       
       19 Feb 2014
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Marina Mai
       
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