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       # taz.de -- Die Wahrheit: Chefchens Rache
       
       > Der Generationenkonflikt schreckt vor nichts zurück. Nicht einmal vor dem
       > wohl behüteten Anekdotenschatz einer Familie.
       
       Mein Sohn und ich konkurrieren um die Gunst der Frau im Haus. Bisweilen
       könnte man den Eindruck haben, unsere diplomatischen Beziehungen seien so
       weit harmonisch. Aber man täusche sich nicht, es ist nur ein
       Waffenstillstand, der jederzeit aufgekündigt wird, wenn die eine oder
       andere Partei sich strategische Vorteile erkämpft.
       
       Sitzen wir im Kreis der Großfamilie zusammen bei Schweinebraten mit Musik,
       gerät Chefchen leicht ins Hintertreffen, weil ich geschickt das
       Tischgespräch auf Erwachsenenthemen lenke. Zu den Stichworten
       Bankenaufsicht, Bundeswehrreform oder Adolf Hitler fällt ihm nicht viel
       ein, also gähnt er irgendwann lautstark und fragt mich, mit wie viel Jahren
       ich „diese blöde Glatze“ bekommen hätte. „Mit 18? Oder später?“
       
       Ich erzähle dann im Anschluss meine All-time-Lieblingskindergeschichte, die
       jedem Totengräber ein Lächeln ins Gesicht zaubert: Ein freundlicher
       Sommermorgen. Chefchen fährt zum ersten Mal mit seinem kleinen Fahrrad zum
       Kindergarten. Vor uns eine alte Dame auf dem Rad. Wir schnüren zügig an ihr
       vorbei, aber dann ist da diese Lücke zwischen Fuß- und Radweg. Chefchen
       gerät hinein, schlägt lang hin und weint ein wenig. Die alte Dame schnurrt
       ein paar tröstende Worte und zieht langsam von hinnen.
       
       Da packt ihn ein ungesunder Ehrgeiz. Er springt aufs Rad und gibt jetzt
       richtig Kette. Nach einer Minute haben wir die Oma erneut überholt. Aber
       dieses Mal ist es die Bordsteinkante, die ihn fällt. Sie muss sich auf die
       Lippe beißen. Ohne ein Wort dieselt sie an uns vorbei und hat bald abermals
       einen hübschen Vorsprung herausgeholt.
       
       Chefchen schluckt den Schmerz hinunter nach alter Indianersitte, knurrt
       seinen Ärger hinaus und macht sich an die Verfolgung. Wir holen bald auf
       und lassen sie rechts liegen. Er triumphiert, schaut sich um, wie weit wir
       bereits in Führung liegen, und fährt gegen eine Straßenlaterne. Das
       scheppert ganz schön. Die Alte kann nicht mehr, steigt ab, schiebt ihr
       altes Herkules über die Straße, Tränchen der guten Laune kullern ihre
       Wangen hinab.
       
       Natürlich kann er seine Niederlage nicht einfach hinnehmen wie ein Mann,
       sondern kontert sogleich mit einer vermufft-langweiligen Geschichte, die
       schon allen aus den Ohren rauskommt. „Papa, weißt du noch, wie Oma und Opa
       den Wintergarten gebaut haben und du beim Fundament geholfen hast?“ Ein
       alter Hut mit speckiger Krempe. Trotzdem lacht die Familie. „Das sah echt
       zum Schießen aus, wie du plötzlich über die Schaufel gestolpert bist und
       mit dem Kopf zuerst im Beton gesteckt hast.“
       
       Seine Mutter kann sich daran auch noch gut erinnern und prustet los. „Ja,
       genau, und wie wild der mit den Beinen gekäfert hat. Wartet mal, das habe
       ich gefilmt. Das Schöne an einem Smartphone ist“, erklärt sie den älteren
       Semestern, „dass man die Momente, an die man sich so gerne erinnert, jetzt
       immer dabei hat.“ Die Familie schart sich neugierig um den unseligen
       Samsung-Knochen. Mein tonloses „Ich hätte sterben können!“ geht im
       Gelächter unter.
       
       18 Feb 2014
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Frank Schäfer
       
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