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       # taz.de -- Staatsaffäre wegen Sebastian Edathy: Szenen einer Ehe
       
       > Die SPD will Edathy aus der Partei werfen. Die Koalition in Berlin zieht
       > die Schutzmauern hoch – jeder verteidigt so gut er kann.
       
   IMG Bild: Steht hinter ihm: SPD-Chef Gabriel (hinten) verteidigt SPD-Fraktionschef Oppermann
       
       BERLIN taz | Elke Tonne-Jork, Brille, das Haar hennarot und schulterlang,
       ist niemand, der zu vorschnellen Urteilen neigt. Die Vorsitzende des
       SPD-Unterbezirks Nienburg hat sich eine Woche Zeit gelassen, um ein Urteil
       über Sebastian Edathy zu fällen. Sie wurde vergangene Woche täglich von
       Journalisten aus Berlin angerufen, aber sie wiegelte ab. „Wir wollten uns
       nicht in Spekulationen ergehen und die Erklärung der Staatsanwaltschaft
       abwarten“, sagt sie ruhig am Handy.
       
       Am Samstag, einen Tag nach der Pressekonferenz der Hannoveraner Ermittler
       im Fall Edathy, stimmte sich Tonne-Jork per Telefonschalte mit dem
       Unterbezirksvorstand ab. Das Stimmungsbild: einhellig. Die SPD Nienburg
       sagt sich von Sebastian Edathy los. „Das Herstellen, Vertreiben und
       Ankaufen von Nacktbildern mit Minderjährigen ist nicht akzeptabel“,
       schreiben die Genossen an die Presse. „Keiner von uns möchte sich
       vorstellen, seine eigenen Kinder auf derartigen Fotos zu sehen.“ Der
       Vorgang sei nicht nur strafrechtlich, sondern auch politisch zu bewerten.
       
       Die Vermutung ist nicht abwegig, dass Millionen in der Republik genauso
       empfinden wie Frau Tonne-Jork. Sie und ihre Genossen wollen keine Politiker
       unterstützen, die sich bei zweifelhaften Firmen im Ausland Fotos fast
       nackter Kinder bestellen. Dieser Schaden wiegt für die SPD schwerer als die
       juristische Debatte über Geheimnisverrat und Informationsweitergabe, die
       von Spitzenkoalitionären in Berlin geführt wurde.
       
       Sigmar Gabriel verspätet sich eine Viertelstunde. Um 14.15 Uhr stellt er
       sich im Foyer des Willy-Brandt-Hauses vors Mikrofon, die Füße schulterbreit
       auseinander, Hände vor dem Bauch gefaltet. Der Chef kommt persönlich, sonst
       berichtet hier die Generalsekretärin über die Sitzungen von Präsidium und
       Vorstand. Die Sache ist übers Wochenende zu heikel geworden.
       
       ## Gabriel reagiert
       
       Gabriel tut in den nächsten Minuten zwei Dinge. Er reagiert auf die
       Stimmung von Frau Tonne-Jork. Und er baut eine Brandschutzmauer um den
       SPD-Fraktionschef Thomas Oppermann auf, seinen wichtigsten Mann neben den
       Ministern. Sebastian Edathy habe eingeräumt, sich Bilder unbekleideter
       Jugendlicher bestellt zu haben, sagt Gabriel. „Unabhängig von der
       strafrechtlichen Relevanz sind das SPD-Präsidium und der Parteivorstand
       entsetzt und fassungslos über diese Handlungen und dieses Verhalten.“ Sein
       Handeln sei unvereinbar mit der Mitgliedschaft im Bundestag, „und es passt
       nicht zur SPD“.
       
       Da ist es also, das offizielle Urteil der SPD über Edathy. Erstmals
       verhalten sich die Gremien zu der unappetitlichen Causa, und sie tun es
       unmissverständlich. Der Beschluss, so ist später von Teilnehmern zu hören,
       fällt einstimmig. Spätestens jetzt ist aus Edathy die Persona non grata der
       Sozialdemokratie geworden. Seine Mitgliedschaft soll nun zunächst ruhen,
       ein Parteiausschluss aber geprüft werden.
       
       Und der Koalitionskrach? Am Wochenende hatte die CSU auf ihrem Bamberger
       Parteitag die SPD öffentlich mit scharfen Vorwürfen überzogen, Horst
       Seehofer verurteilte deren "Geschwätzigkeit", über die man reden müsse. Die
       schärfste Kritik fokussierte sich dabei auf Oppermann. Der hatte die
       Indiskretion des geschassten Hans-Peter Friedrich per Pressemitteilung
       öffentlich gemacht. Ebenso steht er wegen seines Anrufs bei Jörg Ziercke,
       dem Chef des Bundeskriminalamtes, in der Kritik, bei dem er Näheres über
       die Vorwürfe gegen Edathy erfahren wollte.
       
       ## Verteidigungslinien
       
       Gabriel verteidigt Oppermann im Willy-Brandt-Haus engagiert. Absolut
       korrekt und einwandfrei habe er sich verhalten. So, wie man es von einem
       Politiker nur erwarten könne. Oppermann habe, sagt Gabriel, nach
       Medienanfragen „offen und transparent über den Sachverhalt kommuniziert“
       und dies zuvor mit Friedrich abgestimmt.
       
       Den Anruf bei Ziercke verteidigt Gabriel mit einem bemerkenswerten
       Argument. Jeder Mensch in Deutschland, sagt er, habe schließlich das Recht,
       Beamte der Exekutive zu fragen. Entscheidend sei die Antwort. Und seines
       Wissens habe Ziercke keine Ermittlungsgeheimnisse kundgetan. Diese
       Interpretation ist gewagt. Erstens kann selbstverständlich nicht jeder beim
       BKA-Chef persönlich anrufen. Zweitens: Würde man nicht auch einen
       Firmenchef kritisieren, der bei der örtlichen Polizei Interna über
       Untergebene abfragt?
       
       Gabriel ist fest entschlossen, an dem bestens vernetzten Fraktionschef
       festzuhalten. Die Frage ist nur: Reicht das der CSU? Oder will sie ein
       Opfer der SPD, nach dem Motto: Auge um Auge? Nach der Aufregung des
       Wochenendes ist man auf allen Seiten um Deeskalation bemüht. Gabriel sagte,
       er verstehe jeden in der Union, der wegen des Friedrich-Rücktritts
       „irritiert, enttäuscht und verärgert“ sei.
       
       ## Zahmer Seehofer
       
       Auch Seehofer klang am Montag deutlich zahmer.Zunächst müsse wieder
       Vertrauen hergestellt werden, sagte er in München. Man wolle am Dienstag
       „einfach darüber reden, wie man sich die Zusammenarbeit vorstellt“. Dann
       treffen sich die ParteichefInnen der Koalition zu einem
       Sechs-Augen-Gespräch. Und Kanzlerin Angela Merkel dürfte kein Interesse an
       weiteren Eskalationen haben.
       
       Sie lässt ihren Regierungssprecher beruhigende Worte sprechen. Steffen
       Seibert sitzt in der Bundespressekonferenz vor der blauen Wand und tut
       alles, um seine Chefin aus dem Kreuzfeuer zu halten. Eines ist klar: Die
       Kanzlerin darf nicht in den Verdacht geraten, von den Ermittlungen gegen
       Edathy vor dem Dienstag vergangener Woche gewusst zu haben.
       
       Dieser Stichtag ist wichtig. Je später Merkel von der Affäre erfahren hat,
       desto kleiner ist der Verdacht, sie oder jemand aus ihrem politischen
       Umfeld habe das Wissen um Edathy durchgesteckt. Ja, antwortet Seibert also
       auf entsprechende Fragen, für die Kanzlerin sei es "wichtig, dass alle im
       Raum stehenden Fragen in überzeugender Form geklärt werden". Die Bürger
       würden „mit Recht“ wissen wollen, „ob im Gesamtzusammenhang jemand falsch
       gehandelt hat“.
       
       Nein, Angela Merkel habe keinen Zweifel, dass die Große Koalition
       arbeitsfähig sei. Und dann benutzt Seibert jene Formulierung, die für die
       so Beschriebenen bislang eher Heimsuchung denn Lob bedeutet haben: „Die
       Bundeskanzlerin hat volles Vertrauen in ihren Vizekanzler und den
       Bundeswirtschaftsminister“.
       
       Wie stark der Willen im Bundeskanzleramt ist, die Vorgänge um den
       Ex-Innenminister und die SPD-Spitze aufzuklären, bleibt diffus. Steffen
       Seibert erklärte dazu, der am Freitag zurückgetretene Innenminister
       Hans-Peter Friedrich habe „kein anderes Mitglied der Bundesregierung“ über
       die Angelegenheit informiert. Auf die Frage, ob nicht Merkel-Mann Pofalla
       aus den Sicherheitsbehörden Bescheid gewusst haben könne, antwortete
       Seibert, Pofalla sei kein Mitglied der Bundesregierung mehr, man möge sich
       bei ihm erkundigen. Seibert betonte nachdrücklich, die Kanzlerin,
       Kanzleramtschef Peter Altmaier und „die zuständigen Abteilungen“ hätten
       erst aus den Medien vom Fall Edathy erfahren.
       
       ## Die Kanzlerin soll reden
       
       Merkel habe „keinerlei Erinnerungen daran“, zuvor informiert worden zu
       sein. „Es hat niemand im Bundeskanzleramt gewusst.“ Das ist eine
       interessante Behauptung, die höchstens bis Mitte Dezember 2013 zugetroffen
       haben kann. Schließlich hat mit dem Regierungswechsel Friedrichs
       Innenstaatssekretär Klaus-Dieter Fritsche den Geheimdienst-Posten im
       Kanzleramt übernommen.
       
       Und ebendieser Fritsche ist es gewesen, der den Innenminister über Edathy
       in Kenntnis setzte. Schwer vorstellbar, dass er seinem neuen Dienstherrn
       gegenüber selbst dann nichts gesagt hat, nachdem Sebastian Edathy am 8.
       Februar sein Bundestagsmandat „aus gesundheitlichen Gründen“ niedergelegt
       hat.
       
       Derlei Vorgänge machen gespannt auf den Innenausschuss des Bundestages, der
       am Mittwochmorgen nicht öffentlich tagt. Linke-Fraktionschef Gregor Gysi
       sagt, die Kanzlerin müsse „ihr Schweigen beenden, klar Stellung zum
       Rechtsstaatsverständnis der Bundesregierung und zur Frage der Denunziation
       beziehen und für Aufklärung sorgen“.
       
       Vizekanzler Sigmar Gabriel und Fraktionschef Oppermann müssten sich im
       Innenausschuss den Fragen stellen und „vollständig offenlegen, wie in der
       SPD mit dem vom Minister Friedrich weitergegebenen Dienstgeheimnis
       umgegangen worden ist. Dazu gehört auch der Mut zu erklären, wenn Herr
       Edathy über den Verdacht informiert worden ist.“ Es sei nun an der
       Bundesregierung, diese Affäre rückhaltlos aufzuklären.
       
       17 Feb 2014
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Anja Maier
   DIR Astrid Geisler
   DIR Ulrich Schulte
       
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