URI: 
       # taz.de -- Spanien will historische Schuld begleichen: Die Geschichte wird korrigiert
       
       > Die konservative Regierung in Spanien will den Nachfahren der 1492
       > vertriebenen Juden per Gesetz erlauben, die Staatsbürgerschaft zu
       > beantragen.
       
   IMG Bild: Spaniens Justizminister Alberto Ruiz-Gallardón: Es gibt eine historische Schuld.
       
       MADRID taz | Heim nach Sepharad, heim nach Spanien. Dieser nostalgische
       Traum soll für die Nachfahren der 1492 von der iberischen Halbinsel
       vertriebenen Juden bald Wirklichkeit werden. Die Regierung stellte
       vergangene Woche einen Gesetzentwurf vor, in dem das Recht auf einen
       spanischen Pass für die schätzungsweise 3,5 Millionen Sephardim weltweit
       geregelt wird.
       
       Ihre bisherige Staatsangehörigkeit dürfen sie behalten. Sobald das Gesetz
       vom Parlament verabschiedet wird und in Kraft tritt, müssen sie dazu binnen
       zweier Jahre ihre Abstammung belegen. Vor den spanischen Konsulaten in
       Jerusalem und Tel Aviv bildeten sich bereits lange Schlangen.
       
       „Es gibt eine historische Schuld gegenüber denen, die immer Spanier sein
       wollten. Viele von ihnen bewahren den Schlüssel des Hauses auf, aus dem sie
       einst vertrieben wurden. Heute steht ihnen die Tür offen, damit sie wieder
       das sein können, was sie immer hätten bleiben müssen, spanische Bürger mit
       allen Rechten“, erklärt Justizminister Alberto Ruiz-Gallardón die geplante
       Regelung.
       
       Die katholischen Könige Fernando von Aragón und Isabella von Kastilien
       zwangen 1492 Hundertausende Juden, ihre Heimat binnen vier Monaten zu
       verlassen. Die Betroffenen, die Schätzungen reichen von 50.000 bis 350.000
       Personen, verteilten sich über das gesamte osmanische Reich, von der Türkei
       bis an die Grenzen des heutigen Marokkos.
       
       Hinter sich ließen sie das, was den Sephardim wie den Muslimen bis heute
       als goldenes Zeitalter gilt. Unter der Herrschaft muslimischer Kalifen
       lebten in Spanien die drei großen Religionen friedlich zusammen, bis die
       katholischen Könige antraten, die gesamte iberische Halbinsel
       „zurückzuerobern“.
       
       Eines der Kriterien, mit denen Spaniens Konsulate demnächst feststellen
       sollen, wer Sepharde ist, ist der Gebrauch des Ladino. 90.000 bis 250.000
       Menschen sprechen dieses mittelalterliche Spanisch bis heute.
       
       Im zweiten Schritt sollen religiöse Würdenträger der sephardischen
       Gemeinden Zeugnisse ausstellen, in denen sie die Herkunft bestätigen. Ein
       weiteres wichtiges Merkmal sollen die Nachnamen und die Listen in
       spanischen Archiven aus der Zeit der Vertreibung sein.
       
       Bereits in den 1920er Jahren wurde ein erstes Gesetz erlassen, dass es
       Sephardim ermöglichte, sich einbürgern zu lassen. Einige spanische
       Konsulate nutzten dies, um Juden vor dem Holocaust zu retten, obwohl damals
       in Spanien der Hitler-Verbündete Franco an der Macht war.
       
       ## Erstes Abkommen 1992
       
       1992 schloss Spanien erstmals ein Abkommen mit den kleinen jüdischen
       Gemeinden, das eine Einbürgerung von Sephardim erlaubte, wenn diese auf
       ihre bisherige Staatsbürgerschaft verzichteten.
       
       In Spaniens jüdischen Gemeinden stellen sich viele die Frage, warum das
       Gesetz ausgerechnet jetzt, mitten in der Krise verabschiedet wird.
       „Justizminister Gallardón möchte seinen Ruf in Europa aufbessern“, meint
       ein Mitglied der Gemeinde in Barcelona. Aus Gallardóns Ministerium kommen
       die Gesetze, die die Demonstrationsfreiheit schwer einschränken und die
       Abtreibung verbieten sollen. Er brauche dringend positive Schlagzeilen.
       
       Als der Minister vor zwei Jahren erstmals von der Möglichkeit einer
       Einbürgerung der Sephardim redete, spekulierten einige Journalisten, die
       Regierung wolle die Vermögen der Juden nach Spanien bringen. „Das ist
       Unsinn, die Sephardim sind meist ganz normale Leute ohne große
       Besitztümer“, sagt die Sprecherin der jüdischen Gemeinden in Spanien, María
       Royo.
       
       ## „Historischer Fehler“
       
       Sie glaubt, dass es tatsächlich nur darum geht, „einen historischen Fehler
       wieder gut zu machen“. Für viele Sephardim sei ein spanischer Pass etwas
       nostalgisches. Royo glaubt nicht an die massenhafte Einwanderung nach
       Spanien.
       
       Ein Kolumnist der israelischen Zeitung Haaretz sieht das anders. „Die
       spanische Staatsbürgerschaft wird Israelis den Zugang zum Gesundheitssystem
       der EU, Arbeitserlaubnis und kostenlose Hochschulbildung bescheren. Die
       Spanier wissen nicht, was da auf sie zukommt“, heißt es.
       
       Außerdem gibt Haaretz zu bedenken, dass nicht nur Juden, sondern „hundert
       Jahre später eine etwa gleich große Zahl an Muslimen“ vertrieben wurden.
       
       17 Feb 2014
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Reiner Wandler
       
       ## TAGS
       
   DIR Spanien
   DIR Pass
   DIR Juden
   DIR Holocaust
   DIR Juan Carlos
   DIR Andalusien
   DIR Madrid
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
   DIR Wechsel auf spanischem Thron: Juan Carlos macht für Felipe Platz
       
       Nach 39 Jahren dankt Spaniens König ab und leitet die Thronfolge ein. Damit
       Felipe übernehmen kann, muss noch ein Gesetz verabschiedet werden.
       
   DIR Katholische Kirche kassiert reichlich: Streit um das lukrative Haus Gottes
       
       Die Moschee-Kathedrale in Córdoba ist ein nationales Monument. Trotzdem hat
       die Katholische Kirche den Bau als ihren Besitz requiriert.
       
   DIR Ökonomische Krise in Spanien: „Wir rücken näher zusammen“
       
       Geräumt, ohne Job und ohne Geld. Drei Frauen kämpfen im Madrider Stadtteil
       Malasaña um ihre Zukunft. Zu Besuch in einem besetzten Haus.
       
   DIR Michael Studemund-Halévy über Judenspanisch: "Eine sagenhafte Welt"
       
       Michael Studemund-Halévy lernt und lehrt Judenspanisch. Entdeckt hat er die
       alte Sprache der spanischen und orientalischen Juden durch Zufall in
       Rumänien.