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       # taz.de -- Die erste Olympiawoche: Wie war ich?
       
       > Wladimir Putin hat die besten Winterspiele aller Zeiten versprochen. Das
       > Sotschi-Team der taz zieht eine Zwischenbilanz.
       
   IMG Bild: Die Olympia-Veranstaltung sollte ein Überflieger werden.
       
       Göttliche Ironie – Das sind die schönsten Sommerspiele der Geschichte.
       Genauso wie es der liebe Gott seinen beiden Schäfchen [1][Wladimir Putin]
       und Thomas Bach versprochen hatte: Sommer, Sonne, Sonnenbrand, gute Laune.
       Ach, Moment, die beiden Wölfchen im Wollmantel hatten Winterspiele
       bestellt. Gott scheint Humor zu haben. (JÜK) 
       
       Der Kaiser in Sotschi – Es läuft alles glatt in Sotschi. Franz Beckenbauer,
       der das olympische Rodelrennen vor Ort begutachtete, wird es bestätigen:
       Alles bestens. Keine Spur von Menschenrechtsverletzungen und Korruption am
       Eiskanal. Es ist wie damals in Katar, als er keinen einzigen Sklaven sah.
       
       Der Sport hat mit Beginn der Spiele erwartungsgemäß die Regie übernommen
       und fördert die Kunst des selektiven Sehens. Anrührende Erfolgsmärchen und
       Erzählungen vom melodramatischen Favoritensterben füllen die TV-Programme
       zur Gänze. Olympische Spiele funktionieren scheinbar wirklich überall.
       (JOK) 
       
       Im Betonkorsett – Die Msymta war ein herrlicher Fluss. Von den Höhen des
       Kaukasus schlängelte sie sich durch malerische Schluchten hinunter ins Tal.
       Den Fluss gibt es noch immer. Herrlich ist er nicht mehr. Mal wird er in
       ein enges Betonkorsett gedrängt, mal ist sein Ufer zementiert, um einer
       Autobahn und und einer Bahntrasse hinauf zum Skiresort [2][Rosa Chutor] ein
       stabiles Fundament zu bieten. Und oft sieht man die Msymta gar nicht, weil
       die Straßen direkt über dem Flussbett verlaufen. Olympia braucht die Berge
       als Sportgerät, als Naturereignis werden sie nicht wahrgenommen. Selten war
       der Sport so zerstörerisch. (ARUE) 
       
       Die Spitzel-Show – Entgegen vielen Befürchtungen, [3][die Spiele sind
       sicher]. Dafür sorgen mehr als 5.000 Überwachungskameras, zehntausende
       Milizionäre, die immer und überall genau zuhören, und personalisierte
       Internetzugänge. Mit ein bisschen mehr Kreativität wären ganz neue
       olympische Disziplinen denkbar gewesen: „Sotschi 2014 – Was denken
       Journalisten wirklich?“, „Sotschi sucht den Dusch-Gesang-Superstar“ oder
       „Wie loyal bist du?“. Stattdessen Tristesse. Für die
       Fußballweltmeisterschaft 2018 bleibt für Wladimir Putin also noch viel zu
       tun. (ASCH) 
       
       Exklusives Olympia – Unten am Meer sind die Hallen fast immer voll. Nur
       wenige [4][Sitze bleiben frei]. Wenn Russen an den Start gehen, wird selbst
       in der Curling-Halle Rabatz gemacht. Die Fanzonen sind nicht so gut
       besucht. Kleinere sind manchmal total verwaist. Dann wird Kalinka vor vier
       Leuten getanzt. Dafür ist abends die „Medal Plaza“ voll.
       
       Olympia bleibt freilich für viele Russen ein exklusives Erlebnis, das gilt
       insbesondere für das hybride Bergdorf Krasnaja Poljana. Anreise und Karten
       sind teuer. Und in Sotschi ist Olympia oft viel weiter weg als jene 50
       Kilometer Luftlinie zum Olympiazentrum im Iremetinischen Tal.
       Alteingesessenen bleiben die künstlichen Spiele fremd. (MV) 
       
       Deutsche Planwirtschaft – Wenn der Blick auf den Medaillenspiegel eines
       verrät, dann die kalte deutsche Effektivität. Zehn Medaillen reichen dem
       überwiegend bayerischen Olympiateam aus, um sich im Logenplatz des Erfolges
       zu suhlen, den sieben Goldenen sei Dank.
       
       Da können sich andere Nationen mit ihren Dutzenden Bronzemedaillen noch so
       abstrampeln. Allein viermal siegten die deutschen Rodler aus Georg Hackls
       Trainingsgruppe „Sonnenschein“. Über 3 Millionen Euro an [5][jährlichen
       Subventionen] für den Bob- und Schlittenverband machen sich also bezahlt.
       Das DDR-System der Förderung medaillenträchtiger Sportarten lebt in
       Reinform weiter. Der Plan ist erfüllt. (EPE) 
       
       Locker, lässig, lebensmüde – Unter dem [6][sommerlich blauen Himmel] von
       Sotschi segeln Ski-Freestyler und Snowboarder wie menschliche Propeller
       durch die Luft. Auf ihrem Weg ins Tal springen sie von überdimensionierten
       Schanzen und landen mal vorwärts, mal rückwärts im Steilhang, als wenn es
       nichts Leichteres gäbe.
       
       Die [7][überwiegend gerade der Pubertät] entwachsenen Athleten gehen
       Risiken ein, die mit dem Attribut „lebensmüde“ trefflich beschrieben sind.
       Und das schweißt zusammen: Die Atmosphäre unter den Konkurrenten wirkt so
       herzlich wie in keiner anderen Sportart. Welch eine Bereicherung für
       Olympia. (MAT) 
       
       Blöder Fußball – Was für eine schlechte Versorgung aus Sotschi, die uns die
       öffentlich-rechtlichen Sender antun. ARD und ZDF strahlen zwar den ganzen
       Stoff aus Sotschi aus. Aber wo bleibt das Kümmern um Berufstätige, vor
       allem die vielen Frauen? Nach der „Tagesschau“ gab es neulich dennoch
       Bilder aus Sotschi, Eiskönigin Katarina Witt saß dabei, es gab ein wenig
       Paarlauf zu sehen. Dann sagte der Moderator: Jetzt schalten wir um zum
       Fußball.
       
       Witt erwiderte: Aber warum das denn – Fußball gibt es das ganze Jahr, jetzt
       ist Olympia. Was für ein egalitäres, unprovinzielles Bewusstsein: Olympia
       für wichtiger zu halten als irgendeinen Kick. Was nicht vom eigentlichen
       Problem ablenken sollte: ARD und ZDF senden keine
       Primetime-Zusammenfassungen. Publikumsfeindlich! (VRI) 
       
       Magische Momente – Routinierte Olympiafans warten nur darauf: Diese
       magischen Momente, wenn AthletInnen über sich hinauswachsen. [8][Carina
       Vogt] gewann Gold im Skispringen, als erste Frau überhaupt. Die Zweite,
       Daniela Iraschko-Stolz, war jedoch noch eine Spur glücklicher: Was sie bei
       der Siegerinnenehrung zeigte, berührte, weil ihr Erfolg ein besonders
       persönlicher war.
       
       Sie hatte nach langer Verletzungspause den weitesten Sprung stehen können.
       Sie ist in ihrem Land eine Heldin der queeren Szene, offen lesbisch und
       politisch sehr wach. Sie strahlte auf der Medal Plaza unter ihrer
       Pudelmütze: zum Mitweinen schön. Und last, but noch least, wenn es um „Pipi
       aus den Augen“ (Erik Lesser, Silbergewinner Biathlon) geht: Tränen lügen
       doch nicht! (JAF) 
       
       Reuige Rassistin – Eiskunstläuferin Irina Rodnina ist eine Ikone. Dreimal
       Gold hintereinander und zehn Weltmeisterschaften. [9][Bei der
       Eröffnungsfeier] durfte die flammende Patriotin und Dumaabgeordnete denn
       auch das Olympische Feuer entfachen. Ihr Kampfplatz ist mittlerweile nicht
       mehr auf dem Eis, sondern an der US-Front.
       
       Im Herbst hatte sie die Obamas auf eine Banane starrend getwittert und sich
       mit Meinungsfreiheit herausgeredet. Diese Woche nun zeigte sie Reue.
       Rassismus unterstütze sie in keiner Form. Ihr Account sei damals gehackt
       worden, das Bild stamme nicht von ihr. Irina verdiente ihr Vermögen in den
       USA. Tochter Aliona blieb gleich dort. Russlands Elite ist sportlich, der
       Spagat zwischen Ost und West kein Problem. Familie und Vermögen sind beim
       Feind in besserer Hand. (KHD) 
       
       Missglückter Regenbogen [10][Männerhosen mit Blumenmuster]. Oder Karos.
       Oder in Nationalfarben. Auf der Straße würde das norwegische Curlingteam
       belächelt werden, in Sotschi sind sie die coolsten Kerle der Eishalle.
       Schon 2010 in Vancouver kamen wilde Muster zum Einsatz, auf Facebook haben
       die Beinkleider der Norweger über 550.000 Fans.
       
       Die Norweger setzen ein modisches Statement, deshalb sind sie toll.
       Statementlos dagegen sind die missglückten Regenbogenanzüge der Deutschen
       Olympiamannschaft, die sich auf ihrer Facebookseite als „bunte Republik
       Deutschland“ betitelt. Diese Aussage ist – nicht nur auf der Straße – zu
       belächeln. (SB)
       
       15 Feb 2014
       
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