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       # taz.de -- Bildungsverbot für Einwanderer: Arbeit statt Integration
       
       > Ein in Bremen lebender Syrer möchte gern Deutsch lesen und schreiben
       > lernen, aber das Jobcenter bewilligt ihm keinen Integrationskurs – er
       > soll lieber arbeiten.
       
   IMG Bild: Für das Jobcenter eine unnötige Nebenbeschäftigung: Integrationskurs.
       
       BREMEN taz | „Ich will nicht mehr wie ein dummer Mensch leben müssen“, sagt
       Djamal L.* Er spricht recht gut Deutsch – kein Wunder, schließlich lebt er
       seit über zehn Jahren in Deutschland. In seinem Geburtsland Syrien hat er
       Maler gelernt, aber die hier notwendige Qualifikation für diesen Beruf kann
       er genauso wenig erwerben wie die für einen anderen Job. Der Grund: L. kann
       weder Deutsch lesen noch schreiben. Das will er jetzt lernen, aber das
       Jobcenter spielt nicht mit: L. soll stattdessen im Rahmen der
       „Joboffensive“ eine Vollzeitstelle aufnehmen – für Hilfsarbeiten seien
       seine Deutschkenntnisse ausreichend, lautet die Begründung.
       
       Der 37-Jährige, der seit zwei Jahren eine Aufenthaltserlaubnis hat,
       arbeitet auf 450-Euro-Basis als Küchenhilfe in einem Imbiss und erhält
       ergänzend Hartz IV. Von den ihm zustehenden Leistungen bekommt er aber seit
       Dezember nur noch 40 Prozent; er habe die in der Eingliederungsvereinbarung
       ausgemachten drei Bewerbungen pro Woche nicht erbracht, begründet das
       Jobcenter die Kürzung. „Eine Bewerbung kann ich alleine nicht schreiben“,
       erzählt L., er sei dabei stets auf die Hilfe von Bekannten angewiesen. Er
       habe sich aber oft persönlich beworben und sich die Vorstellungsgespräche
       in den jeweiligen Betrieben per Stempel bestätigen lassen. „Aber obwohl es
       beim Jobcenter hieß, dass ich mich auch mündlich bewerben kann, hat meine
       Sachbearbeiterin mir unterstellt, ich würde nur Stempel sammeln und mich
       nicht ernsthaft um eine Stelle kümmern.“
       
       Das Jobcenter will, dass L. so schnell wie möglich eine Vollzeitstelle
       antritt – und das möchte L. eigentlich auch, „aber für einen dauerhaften
       Job muss ich doch die Sprache lesen und schreiben können“. Deshalb würde er
       gern neben seinem Minijob einen Intensiv-Deutschkurs belegen – um selber
       Stellenanzeigen entziffern, Bewerbungen schreiben oder sich weiterbilden zu
       können, zum Beispiel bei der IHK: Dort könnte er eine „Bewachungserlaubnis“
       erwerben, mit der er im Objekt- oder Werkschutz arbeiten kann. Aber das
       Jobcenter findet das überflüssig: „Die Erlangung von Lese- und
       Schriftkompetenzen würde aus Sicht der Arbeitsvermittlung die
       Integrationschancen nicht wesentlich erhöhen, da der Arbeitsmarkt bereits
       jetzt ausreichende Arbeitsstellen im Helferbereich vorsieht“, teilte es L.s
       Anwalt Jan Sürig Ende Januar schriftlich mit.
       
       Um seine Chancen auf dem Arbeitsmarkt zu erhöhen, hat L. sogar den
       Führerschein gemacht – nach der fünften theoretischen Prüfung hat er ihn
       bestanden. Verstanden habe er davon allerdings nicht viel: „Ich habe die
       Fragen und Antworten auswendig gelernt.“ L. hat beim Jobcenter das Ergebnis
       eines Deutsch-Tests des Paritätischen Bildungswerks vorgelegt, aus dem
       deutlich hervorgeht, dass er Deutsch lediglich passabel sprechen kann.
       „Meine Sachbearbeiterin hat mir wörtlich gesagt: das interessiert mich
       nicht“, sagt L., und auch seinem Anwalt wurde schriftlich mitgeteilt, dass
       L. ja schließlich die Möglichkeit habe, neben einer Vollzeit-Tätigkeit
       einen Integrationskurs zu besuchen – er solle sich dafür an das Bundesamt
       für Migration und Flüchtlinge (BAMF) wenden.
       
       Klar gebe es Deutsch-Kurse, die man nebenberuflich belegen könne, bestätigt
       BAMF-Regionalkoordinator Heiner Peimann, „aber deren Wochenstundenzahl ist
       natürlich sehr gering und entsprechend lang dauern die Kurse“. Vor allem
       bei L., denn er wird neben einer Vollzeitstelle wohl nur unregelmäßig am
       Unterricht teilnehmen können: Helfertätigkeiten setzen zeitliche
       Flexibilität voraus für wechselnde Einsätze in Leiharbeitsfirmen oder Jobs
       im Drei-Schicht-System.
       
       „Ich kenne viele Leute, die nicht lernen wollen, aber vom Jobcenter zur
       Teilnahme an Integrationskursen gezwungen werden“, sagt L.. Bei ihm sei es
       genau umgekehrt, „und das verstehe ich einfach nicht“. Damit steht er nun
       nicht mehr alleine da: Auch Helmut Westkamp, Geschäftsführer des Jobcenters
       Bremen, zeigt sich irritiert: „Die von Ihnen geschilderten Umstände
       scheinen uns sehr unplausibel und wir sehen hier wie Sie dringenden
       Klärungsbedarf“, so die gestrige Antwort des Jobcenters auf eine Nachfrage
       der taz. Denn ungenügende Deutschkenntnisse, heißt es weiter, seien nach
       wie vor ein wesentlicher Hinderungsgrund für die Teilnahme an den
       Qualifizierungs- und Ausbildungsangeboten des Jobcenters. „Herr Westkamp
       bietet sich gerne an, an der Aufklärung des Sachverhaltes mitzuwirken.“
       
       * Name geändert
       
       13 Feb 2014
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Simone Schnase
       
       ## TAGS
       
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   DIR Flüchtlinge
   DIR Guntram Schneider
       
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