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       # taz.de -- Protestbewegung in Brasilien: Wie starb Santiago Andrade?
       
       > Am Rande von Protesten gegen Fahrpreiserhöhungen kam ein Kameramann ums
       > Leben. Aktivisten befürchten jetzt eine neue Kriminalisierung.
       
   IMG Bild: Journalisten in Rio de Janeiro Anfang dieser Woche bei einer Schweigeminute für ihren getöteten Kollegen.
       
       RIO DE JANEIRO taz | Der Tod eines Journalisten während einer Demonstration
       gegen Fahrpreiserhöhungen sorgt im Vorfeld der Fußball-WM für erhebliche
       Spannungen. Polizei und Medien machen gewalttätige Demonstranten für den
       Anschlag verantwortlich, Politiker fordern ein hartes Durchgreifen und
       Antiterror-Gesetze.
       
       Aktivisten und soziale Bewegungen verweisen hingegen auf brutale Übergriffe
       der Sicherheitskräfte als Ursprung der Gewalteskalation und beharren
       darauf, dass der Hergang der Attacke nach wie vor unklar ist. Sie
       befürchten jetzt eine neue Hetzkampagne gegen die Protestbewegung, die in
       Juni letzten Jahres Millionen Menschen gegen die Milliardenkosten der
       Fifa-WM auf die Straße brachte.
       
       Der Kameramann des Fernsehsenders Bandeirantes, Santiago Andrade, war
       vergangene Woche während Auseinandersetzungen zwischen Demonstranten und
       der Polizei im Zentrum von Rio de Janeiro von einem Geschoss am Kopf
       getroffen und schwer verletzt worden. Am Montag dieser Woche stellten die
       Ärzte seinen Hirntod fest.
       
       Anlass der Demonstration war eine Buspreiserhöhung in der Stadt um knapp
       zehn Prozent auf 3,00 Reais, umgerechnet rund 90 Eurocent.
       Fahrpreiserhöhungen waren der Ausgangspunkt der Protestwelle des
       vergangenen Jahres, die vor allem bessere öffentliche Dienstleistungen und
       ein Ende der Korruption forderte.
       
       ## Medien und Politiker sehen Demonstranten als Hauptproblem
       
       Vollständige Videoaufnahmen des Tathergangs gibt es nicht. Ein Demonstrant,
       der sich in der Nähe eines auf dem Boden liegenden Feuerwerkkörpers
       aufhielt, wurde in den Medien als mutmaßlicher Täter ausgemacht. Er stellte
       sich der Polizei und sagte aus, die Feuerwerksrakete einem anderen, ihm
       unbekannten Mann gegeben zu haben. Dieser soll laut Polizei inzwischen
       identifiziert worden sein und wird gesucht.
       
       Seit dem Vorfall sind sich Medien und viele Politiker darin einig, dass
       gewalttätige Demonstranten derzeit das größte Problem in Brasilien sind.
       Die Rede ist von Mord und Terrorismus. Feindbild ist vor allem der
       sogenannte Black Bloc – schwarz-vermummte zumeist Jugendliche, die seit den
       Massendemos im Juni jede Demonstration zum Anlass nehmen, um Sachschaden
       anzurichten und sich Gefechte mit der Polizei zu liefern.
       
       Noch diese Woche soll über einen Gesetzesentwurf abgestimmt werden, der
       erstmals wieder den Straftatbestand des Terrorismus vorsieht. Der Entwurf
       namens PL 499 sieht bis zu 30 Jahren Haft für sehr schwammig definierte
       Vergehen vor, zum Beispiel für „das Auslösen oder das Verbreiten von Terror
       und allgemeiner Panik“.
       
       Die schnelle Abstimmung darüber wurde möglich, nachdem ein Senator der
       regierenden Arbeiterpartei PT aus Anlass des Todes von Andrade seinen
       Antrag, den Entwurf der Menschenrechtskommission vorzulegen, zurückzog.
       
       ## Kam die Granate von der Polizei?
       
       Viele Aktivisten befürchten, dass sich die Kriminalisierung der
       Protestbewegung jetzt weiter verschärfen wird. Schon in den vergangenen
       Monaten waren Viele den Demonstrationen ferngeblieben, da die Hetze gegen
       Vermummte von der Polizei als Freibrief für immer härteres Vorgehen
       interpretiert wurde.
       
       „TVs und Regierung haben das traurige Ereignis bestimmt gefeiert, denn
       jetzt können sie jeden Protest gegen die WM und die Korruption als Taten
       von Vandalen und Mördern stigmatisieren,“ so einer der vielen Kommentare
       auf der Website der Anonymous-Hacker, die zu landesweiten Protesten
       aufgerufen haben.
       
       Hinterfragt wird auch der Tathergang. Mehrere Demonstranten sagen, wenn
       auch nicht öffentlich, dass die Granate aus einer Polizeikette abgefeuert
       worden war. Sogar der Reporter von GloboNews sagte in seinem Live-Bericht,
       dass auch nach der Verletzung von Andrade „die Polizisten weitere Bomben
       abschossen und damit weiteres Chaos verursachten“.
       
       Kritisiert wird zudem, dass der Kameramann Andrade jetzt als erstes
       Todesopfer auf einer Demonstration und die Protestler als Feinde der
       Pressefreiheit bezeichnet werden. Auf vielen Facebook-Seiten werden die
       mindestens acht Opfer vom Juni und Juli letzten Jahres aufgezählt, die
       durch Tränengas-Einsatz oder Rennerei bei Tumulten zu Tode kamen. Immer
       mehr Unmut wird auch über die Regierung geäußert, die für eine
       reibungsfreie WM auf eine Polizei setzt, die statt Deeskalation nur den
       Einsatz von Gewalt kennt.
       
       Es wundert kaum, dass bei dieser Stimmungslage eine andere Nachricht
       bislang überhaupt nicht in Brasilien zu lesen war: Ein [1][Reporter der
       Deutschen Welle (DW)] wurde während der gleichen Demonstration von
       Polizisten angegriffen. Er wurde geschlagen und getreten und seine Kamera
       beschädigt.
       
       Die DW protestierte am Dienstag bei der brasilianischen Botschaft in Berlin
       gegen den Übergriff, doch in Brasilien weiß bislang kaum jemand von diesem
       Angriff auf die Pressefreiheit.
       
       12 Feb 2014
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] http://www.dw.de/neue-gewalt-in-rio-nach-protesten-gegen-h%C3%B6here-fahrpreise/a-17415896
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Andreas Behn
       
       ## TAGS
       
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