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       # taz.de -- Die Nerven mit neuem Album: Ventil im Stahlbad
       
       > Die Nerven behalten die Nerven. Denn die Stuttgarter Punkband haut auf
       > ihrem neuen Album „Fun“ so intuitiv wie eh die Songs raus.
       
   IMG Bild: Kälter als Alaska: Die Nerven – Kevin Kuhn, Julian Knoth, Max Rieger.
       
       Politik? „Nö.“ Stimme einer Generation? „Wenn wir Massen bewegen, ist das
       großartig.“ Und sonst so? „Was wir machen, ist ziemlich nerdy.“
       
       Die Nerven legen sich nicht fest, ihre Antworten formulieren sie
       vorsichtig. Schön, wenn man das so sehen kann, aber sagen würden wir es so
       nicht, heißt es dann. Seit ihrem Debütalbum „Fluidum“ (2012) gelten die
       Stuttgarter als politisch und trotzig.
       
       Aber kommt diese Antihaltung wirklich in der Musik zum Ausdruck? Oder ist
       sie nur Wunsch von KritikerInnen, der Konturlosigkeit der
       Merkel-Regierungszeit endlich etwas Unversöhnliches, Junges
       entgegenzusetzen?
       
       Tatsächlich gibt es im deutschsprachigen Pop ein Vakuum, eine Generation
       nach Tocotronic. Eine Sphäre, die Ja, Panik inzwischen verlassen haben, um
       zur Konsens-Band zu werden. Anwärter sind Bands wie Trümmer aus Hamburg,
       Messer aus Münster oder eben Die Nerven. Alle sind sie jung, reflektiert
       und gut erzogen. Man muss ganz genau hinhören, um die unterschiedlichen
       Soundansätze dieser Bands zu verstehen.
       
       ## Spiel mit Zuschreibungen
       
       Einigkeit besteht erst einmal über eines, sagt Max Rieger von den Nerven:
       „Uns verbindet der Grundgedanke von Punk: intuitiv Sachen raushauen.“ Und:
       Die Nerven kennen das Spiel mit den Zuschreibungen; die Problematik eines
       Begriffes wie Authentizität ist ihnen bewusst. Sie begegnen dem aber nicht
       mit Ironie und Inszenierung. Julian Knoth, neben Rieger Gründungsmitglied
       der Nerven, sagt: „Authentizität interessiert uns nicht, es geht darum,
       dass wir wir selbst sind.“
       
       So denken Die Nerven beim Titel ihres zweiten Albums „Fun“ gar nicht an
       eine ironische Lesart. Von der 90er-Jahre-Spaßgesellschaft, die diesen
       Begriff gepachtet hatte, haben sie nie gehört. „Fun“ heißt für sie Spaß am
       Musikmachen. Erst dann kommt die Idee der Irritation, die durch die
       Kombination des Gesangs mit der eher düsteren Stimmung der Musik entsteht.
       Ihre Songs sind für Die Nerven – hallo, Punk! – erst mal eine Möglichkeit,
       mit Zorn umzugehen.
       
       Im Gespräch bestehen sie auf den Übermut, pubertär zu sein: „Musik ist
       Ventil für unsere Wut. Wer damit nicht zurechtkommt, kann Thees Uhlmann
       hören. Der ist nämlich erwachsen“, sagt Rieger.
       
       ## Eine Art Verzweiflungstat
       
       Die Betonung des Selbst in den Texten der Band ist eine Art
       Verzweiflungstat: Die Generation, der die Nerven angehören, ist mit dem
       Gefühl der Machtlosigkeit groß geworden. Das Subjekt ist immer schon in den
       Diskurs der Macht eingeschrieben, der Klimawandel ist immer schon da
       gewesen, die NSA hat die Facebook-Posts von Anfang an gelesen. Und jetzt?
       Singt man Sätze wie: „Hauptsache, man lässt mich in Ruh‘“, oder „Das ist
       immer noch dein Leben / Auch wenn du selbst nichts mehr entscheidest“ oder
       „Versteckst du dich oder drehst du dich weg?“, offenbart sich
       Machtlosigkeit, Ausweglosigkeit, Alternativlosigkeit.
       
       Wie war das mit dem „Fun“? Er bedeutet vielleicht: trotz allem Spaß haben.
       Solange man weitermacht, besteht immer die Möglichkeit, es anders zu
       machen. Dann klingt „In meinem Kopf wachsen Zeilen zu Girlanden / Ich bin
       noch nicht gescheitert / Ich veränder mich“ aus dem Schlussstück
       „Girlanden“ wie eine Drohung.
       
       Dazu passt, dass sich die Band lieber in der Stuttgarter Szene verortet,
       als ehrgeizig auf den Thron der politischen Konsens-Band zu schielen.
       Schließlich würde das System ohnehin zurückschlagen und eine
       Reality-TV-Show aus diesem Wettstreit machen. Also bewahren die Nerven
       lieber ihren Stolz: „Und ja, es geht mir besser, als ich ausseh / Und nein,
       ich hab hier nichts verlorn.“
       
       12 Feb 2014
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Elias Kreuzmair
       
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