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       # taz.de -- „American Hustle“ auf der Berlinale: Dicklicher Leib in kurzen Hosen
       
       > Christian Bale verkörpert in „American Hustle“ von David O. Russell mit
       > sensationell schmieriger Verve einen Trickbetrüger.
       
   IMG Bild: Tragen ihre Schmerbäuche und abstrusen Frisuren mit Würde: Amy Adams, Bradley Cooper, Jeremy Renner, Christian Bale, Jennifer Lawrence.
       
       Von all den Filmen, die das Rennen um den Oscar dieses Jahr zur großen Oper
       machen, bringt nur „American Hustle“ es fertig, zugleich den stolzen
       schwarzen Schwan und das hässliche Entlein zu verkörpern. Es ist ein Film,
       der die Unansehnlichkeit seiner Epoche (Ende der 70er/Anfang der 80er
       Jahre) und seiner Figuren mit ihren Schmerbäuchen und abstrusen Frisuren
       herausstellt – und sie dann für den Mut und die Würde bewundert, mit der
       sie diese tragen.
       
       Auf den ersten Blick scheint sich „American Hustle“ ganz an die damals
       modischen Glitzer-Oberflächen und tiefen Dekolletées zu verlieren, doch
       dann findet er genau darin eine Wärme, die einem das höhnische Lachen
       wohlig im Halse erstickt. Filme wie „Gravity“ und „Twelve Years a Slave“
       werden bewundert, „American Hustle“ aber wird geliebt.
       
       Zu dieser Zuneigung trägt auch bei, dass David O. Russells neuer Film von
       einem der populärsten Helden der US-Popkultur handelt, vom Trickbetrüger.
       Wobei das amerikanische Wort dafür, „con artist“, schon zeigt, wie viel
       mehr Respekt ihm jenseits des Atlantik gezollt wird.
       
       Christian Bale verkörpert ihn hier mit sensationell schmieriger Verve. Die
       ungeheuer vielsagende Auftaktszene des Films zeigt, wie er unter
       Zuhilfenahme von Watte, Klebstoff und Haarspray seine Glatze unter dem
       wenigen Haar, das er noch hat, zu verstecken versucht. Es ist quasi das
       Wesen der Trickbetrügerei am Miniaturmodell demonstriert. Man erfasst die
       wichtigsten Elemente auf einen Blick: Sorgfalt, Einfallsreichtum und der
       feste Glaube an die gelungene Täuschung. Seine Geliebte wird später über
       ihn sagen, dass sie das Selbstbewusstsein, mit dem er seinen dicklichen
       Leib in kurzen Hosen präsentierte, ungeheuer anziehend fand.
       
       Bales Figur nennt sich Irving Rosenfeld und ist einmal mehr inspiriert vom
       realen Leben: angelehnt an einen gewissen Melvin Weinberg, den das FBI Ende
       der 70er Jahre tatsächlich für die Überführung korrupter Politiker
       einsetzte. Die damalige Aktion, die zur Verurteilung eines Senators und
       fünf Kongressabgeordneter führte, wurde unter dem Namen „Abscam“ bekannt,
       worauf David O. Russell einen schönen Metakommentar in seinen Film
       einarbeitet.
       
       „Das ist doch total rassistisch! Abscam? Soll das Arab-Scam heißen?“, fragt
       da die von Michael Peña gespielte Person, die im FBI-Auftrag den arabischen
       Sheikh gibt, der die Politiker schmiert. Und der Leiter der Operation, der
       von Bradley Cooper verkörperte Richie DiMaso antwortet: „Was kümmert dich
       das, Sheikh? Du bist doch Mexikaner!“
       
       ## Was ist wahr, was erfunden? Egal
       
       Zu den weiteren Vorzügen des Films gehört, dass man ihn auch genießen kann,
       wenn man sich nicht darum kümmert, was wahr und was erfunden ist. Man kann
       sich ganz auf die tollen Darsteller konzentrieren, die eine selten gesehene
       Dichte von wunderbaren Figuren schaffen.
       
       Da ist Bradley Cooper, der einen manischen FBI-Mann mit Minipli gibt,
       dessen aggressive Attacken auf seinen von Louis C. K. herrlich ängstlich
       gespielten Chef an den Grausamkeitshumor zwischen Stan Laurel und Oliver
       Hardy erinnern. Und da ist Jeremy Renner, der mit jungenhaftem Gesicht
       glaubhaft einen reifen Politikerpatriarchen mit Großfamilie und großem
       Herzen gibt. Und da ist Jennifer Lawrence, die als verlassene Ehefrau ein
       verrücktes Temperament zeigt und deren Äußerungen noch unvorhersehbarer
       sind als alle Plotwendungen: „Thank God for me!“
       
       Die Krönung aber ist Amy Adams als zaudernde Femme fatale, die auf
       irritierende Weise Schönheit und Unsicherheit verbindet. Wie diese Figuren
       liebt man den Film am Ende gerade dafür, dass er so unperfekt ist, sein
       Erzählrhythmus holprig, die Chronologie der Ereignisse uneben, der Humor
       etwas seltsam. Einfach unwiderstehlich.
       
       7 Feb 2014
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Barbara Schweizerhof
       
       ## TAGS
       
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