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       # taz.de -- Gemeinnützige digitale Bibliothek geplant: Ein Bücherregal und keine Fototapete
       
       > Mit LOG.OS soll eine nicht-kommerzielle Literaturplattform entstehen.
       > Ihre Macher wollen das Kulturgut Buch aus den Fängen von Amazon retten.
       
   IMG Bild: Die Konzerne haben die Kontrolle über die Literatur und ihre Leser
       
       Ein Wochenende im Februar in der Akademie der Künste am Berliner
       Hanseatenweg: Lektoren, Verleger, Autoren und Literaturagenten diskutieren
       über eine gemeinnützige digitale Universalbibliothek. Eine, die
       gleichzeitig auch ein fairer Handelsplatz für Druckerzeugnisse und ein
       Treffpunkt für Bücherfreunde sein kann. Zur Kickoff-Konferenz hat ein 2013
       gegründeter Förderverein eingeladen. [1][LOG.OS] nennen die Gastgeber ihr
       Projekt – in Anlehnung an das altgriechische „Wort“ oder „Sinn“. „OS“ steht
       für Betriebssystem. Die 13 Initiatoren des Vereins wollen nichts weniger
       als Amazon in die Schranken weisen.
       
       Auf dem digitalen Buchmarkt gelten andere Regeln als im traditionellen
       Geschäft mit dem Wort, und die Teilnehmer der Wertschöpfungskette erfüllen
       neue Funktionen. Bis vor wenigen Jahren reichte der Händler die Bücher
       lediglich an den Kunden weiter, der sie zu Hause in der Bücherwand
       sammelte. In Zeiten der Expansion des E-Book ist er selbst zur Bibliothek
       geworden. „Denn wer mit seinem Kindle oder seinem iPad ein E-Book ersteht,
       der erwirbt dabei lediglich die [2][Nutzungs- und Zugangsrechte] zu diesen
       Datensätzen“, sagt der LOG.OS-Vorsitzende und Verleger Volker Oppmann.
       
       Amazon & Co. lassen ihre Kunden aber gern im Glauben, man hätte auf diese
       Weise ein Regal voller Bücher erstanden. „Erst beim Auszug stellt man fest,
       dass es nur eine Fototapete ist und man die Bücher gar nicht einpacken
       kann. Und mit alldem hat man sich beim Kauf sogar einverstanden erklärt -
       durch das Bestätigen der AGB, die man ungelesen weggeklickt hat“, so der
       38-Jährige.
       
       Dadurch wächst die Macht der Konzerne, ob nun Amazon, Apple oder Thalia.
       Sie speichern vornehmlich Medien, die ihnen Gewinne bringen. Sie haben die
       Kontrolle über die Literatur und ihre Leser. Mit dem gedruckten Buch aus
       dem Laden kann man daheim machen, was man will, ohne beobachtet zu werden.
       Bei E-Books jedoch lässt sich Lese-, Link-, Zitierverhalten und sogar die
       Augenbewegung durch den E-Reader unbemerkt aufzeichnen.
       
       ## Ein digitales Mammutwerk
       
       „Die Wirtschaftskonzerne übernehmen eine gesellschaftliche Rolle, mit der
       sie nicht verantwortungsvoll umgehen können.“ In Oppmanns Stimme schwingt
       persönliche Entrüstung mit. 2008 hatte er für die Firma [3][Textunes eine
       E-Book-Applikation] für I-Phones entwickelt. Im Sommer 2011 ging das
       Unternehmen für einen nicht veröffentlichten Preis ins Thalia-Imperium
       über, Oppmann ging mit. Doch im März vergangenen Jahres nahm er dort seinen
       Hut. Sein Motiv: „Ich will nicht in einer Gesellschaft leben, die ihren
       kulturellen Erinnerungsschatz in profitorientierte Hände gibt!“ Jetzt steht
       er LOG.OS vor, zusammen mit Autor und Textunes-Co-Macher Marcel Diel und
       Katja Splichal vom Ulmer Verlag.
       
       Das Neue an der Plattform LOG.OS soll ihr Umfang und ihr Zugang sein.
       Verleger und Autoren können sie als Onlinemarkt für elektronische wie
       gedruckte Bücher nutzen, vielleicht irgendwann sogar als Redaktionssystem.
       Leser und Kritiker können sie als Forum nutzen, in dem man sich Titel
       empfiehlt und über Literatur diskutiert, in dem man Freunde mit gleichem
       Geschmack findet. Schulen und Hochschulen sollen auf LOG.OS umfassend
       forschen können. Und ähnlich wie bei Wikipedia werden alle helfen können,
       den Wissensschatz zu vergrößern und zu präzisieren. Die Einzelteile zu
       diesem digitalen Mammutwerk gibt es schon. Nur werden sie bislang von
       Anbietern betrieben, die entweder aus Engstirnigkeit, aus Gier oder aus
       Sachzwängen heraus das Große und Ganze nicht wahrnehmen.
       
       Engstirnigkeit zeigt sich zum Beispiel im Festhalten des Deutschen
       Buchhandels am altmodischen Katalogsystem. Der Laden an der Ecke ebenso wie
       die namhaften deutschen Onlineversandhändler (buch.de und bücher.de)
       stützen sich bei ihrer Recherche auf das Verzeichnis lieferbarer Bücher
       (VLB). Und das beschränkt sich auf Publikationen direkt aus der
       Verlagsproduktion.
       
       Mit so einer engen Definition von „lieferbar“ ist dem Kunde, der sich ein
       bestimmtes Buch wünscht, nur wenig gedient. Und bringt den Buchhandel ins
       Hintertreffen gegnüber Amazon, denn der Onlineversand ist schlauer: Ein
       Buch wird bei ihm verfügbar, wenn es aus irgendeiner Quelle – privat,
       antiquarisch, verlegerisch – zu bestellen ist. Nicht umsonst hat Amazon das
       Zentralverzeichnis Antiquarischer Bücher (ZVAB) und Abebooks 2008 gekauft.
       Und sitzt derzeit unangefochten auf dem Bücher-Onlineshop-Thron.
       
       Jede deutsche Firma, die auf die Idee kam, Verfügbarkeit moderner und
       sinnvoller zu definieren, die also ihren Katalog über den Tellerrand
       programmierte, wurde bisher von Amazon gekauft. Das soll und wird mit
       LOG.OS nicht passieren, wie der Vorsitzende erklärt.
       
       ## Präsentation in Leipzig
       
       Eine Stiftung wird über die unveränderliche und bedingungslose
       Gemeinnützigkeit von LOG.OS wachen. Sie kontrolliert und besitzt eine
       wirtschaftlich wendige gemeinnützige Gesellschaft mit beschränkter Haftung
       (gGmbH). Stiftung und gGmbH werden flankiert von einem Förderverein, der
       auch als Spendenorgan dient.
       
       Weder Stiftung noch Verein können jemals veräußert werden - was eben auch
       die gGmbH mit einschließt. „Bei solchen Verkäufen fließen schnell
       unvorstellbare Summen. Wir können aufgrund unserer Struktur nicht mehr
       schwach werden, egal bei welcher Zahl“, sagt Katja Splichal.
       
       Die Plattform wird auf der Leipziger Buchmesse im März erstmals der
       Öffentlichkeit präsentiert. Zur Frankfurter Buchmesse im Oktober soll es
       bereits einen Klickdummy ohne volle Funktionalität geben, der aber erahnen
       lässt, wie vielseitig das Ganze wird.
       
       In einem knappen Jahr soll dann die erste offene Version des Projektes
       beginnen. Das Startkapital soll durch Fundraising, den Förderverein und
       durch Mäzene gesammelt werden. Sind die nötigen fünf Millionen Euro
       Startkapital erreicht, nimmt die Bibliothek ihre Reisegeschwindigkeit auf,
       sagt der LOG.OS-Vorsitzende Oppmann.
       
       Von den hundert Kulturschaffenden in der Akademie der Künste wollten die
       LOG.OS-Macher vor allem ein Feedback. Dieses fiel durchweg positiv aus. Vor
       allem Verlagsvertreter hofften auf Gegenwind für Amazon, denn ein
       Verhandeln auf Augenhöhe sei mit dem Konzern schon lange nicht mehr
       möglich, hieß es. Die Hälfte der Gäste verbleibt nach dem Wochenende im
       Hanseatenweg sogar in ständigen Arbeitsgruppen, um die verschiedenen
       Nutzungsbereiche weiterzuentwickeln.
       
       Der Startschuss ist nun gefallen für diese Mischung aus Bibliothek, Basar
       und Sozialem Netzwerk, bei dem die Teilnehmer keine Kunden sondern Nutzer
       sind. Wie es in den Statuten heißt, wird „sämtlichen Nutzergruppen neben
       Transparenz, Datensouveränität und Privatsphäre eine demokratische
       Beteiligung an den Prozessen der Generierung, Sammlung und Nutzung von
       Wissen zugesichert und damit eine offene Wissens- und
       Informationsgesellschaft unter gleichzeitiger Wahrung der ökonomischen
       Interessen aller Beteiligter gewahrt.“ Solche Werte lassen sich in den AGB
       der großen Buchhändler nicht finden.
       
       6 Feb 2014
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] http://log-os.info/wordpress/
   DIR [2] http://www.amazon.de/gp/help/customer/display.html/ref=hp_left_sib?ie=UTF8&nodeId=201014950
   DIR [3] http://www.textunes.de/WebObjects/textunesCMS.woa/cms/1010314/Start.html
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Matthias Lanin
       
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