URI: 
       # taz.de -- Barrikaden in der Ukraine verstärkt: Die Geduld schwindet
       
       > Präsident Janukowitsch kehrt zurück in die Klinik. Die Opposition weist
       > sein Amnestiegesetz zurück und verstärkt die Barrikaden – bei Minus 17
       > Grad.
       
   IMG Bild: Aus den Holzöfen der Zelte steigt Rauch auf, vermummte Demonstranten halten auf dem Maidan die Stellung.
       
       KIEW taz | Schneebedeckte Straßen und die Barrikaden der „Revolution“
       fordern die ganze Konzentration des Taxifahrers. Angst habe er keine, sagt
       er, aber seine Kinder werde er vorerst nicht in die Schule schicken. Man
       könne ja nicht wissen, was die nächsten Tage bringen.
       
       Auf dem Platz der Unabhängigkeit, dem Maidan, ist die Stimmung am
       Donnerstag kämpferisch. Die angebotene Amnestie der „Partei der Regionen“
       von Präsident Wiktor Janukowitsch, die am Vortag ein entsprechendes Gesetz
       verabschiedet hatte, sei lediglich ein neuer „Erpressungsversuch von
       Geiselnehmern“, sagt ein Aktivist, der aus den Karpaten angereist ist.
       
       Für das Gesetz hatten auch die Kommunisten und einige fraktionslose
       Abgeordnete gestimmt. Es garantiert allen Aktivisten des Maidan und in der
       Provinz Straffreiheit. Voraussetzung ist allerdings, dass die Demonstranten
       binnen 14 Tagen alle besetzten Gebäude und Straßen räumen. Das lehnt die
       Opposition einhellig ab. In einer ersten Reaktion erklärt Andrej Parubij,
       „Kommandant“ des Protestcamps, man werde ab sofort die Barrikaden weiter
       verstärken.
       
       „Wie kann man nur Menschen als Verhandlungsmasse benutzen“, fragt ein
       Demonstrant aus Donezk. „Der frühere Präsident der Ukraine, Leonid
       Krawtschuk, hatte gesagt, die Regierung habe kein Recht, Menschen als
       Geiseln zu nehmen und sie dann zum Verhandeln zu benutzen“, fährt er fort:
       „Warum sollen wir gegenüber den Geiselnehmern in Vorleistungen treten?“
       
       ## Desinformiert und defensiv
       
       Aus den Holzöfen der Zelte steigt Rauch auf. Er umhüllt bei
       Mittagstemperaturen von minus 17 Grad dicht vermummte Jugendliche neben
       Männern mit Bergarbeiter-, Militär- und Motorradhelmen. Eine Frau, die sich
       sicher ist, dass Gott heute auf dem Maidan mit dabei sei, bietet Gebete an.
       Literweise holen Freiwillige Trinkwasser aus umliegenden Restaurants.
       
       „Die Leute sind desinformiert. Auch meine Eltern haben versucht, mich von
       meiner Reise nach Kiew abzuhalten“, sagt der Demonstrant aus Donezk, das in
       Osten der Ukraine liegt. Das Gespräch mit ihm vermittelt zugleich einen
       Eindruck davon, wie gespalten das Land ist. „Ich bin bei mir zu Hause ganz
       klar in der Defensive. Meine Eltern glauben mir nicht, dass wir hier
       Demokratie wollen.“
       
       An einem Zelt weht eine armenische Fahne im Gedenken an den 22-jährigen
       armenischen Studenten Sergej Nigojan, der am 22. Januar durch den Schuss
       eines Snipers auf der Gruschewski-Straße starb, wo sich der radikale Flügel
       der Opposition verschanzt hat.
       
       Die Generalstaatsanwaltschaft gibt derweil bekannt: Bei den
       Auseinandersetzungen seien landesweit vier Menschen getötet und über 500
       verletzt worden. 234 Demonstranten seien festgenommen worden. 140 säßen
       noch in Untersuchungshaft. Sie würden, so heißt es, unter die Amnestie
       fallen. Oppositionelle sprechen von sechs getöteten Demonstranten, 30
       Verschleppten und 2.000 Verletzten.
       
       ## Stillstand und Ratlosigkeit
       
       Bei den Oppositionellen vom Maidan wächst die Ungeduld auch mit den eigenen
       Anführern. Sie wollen vor allem eines: den Rücktritt von Janukowitsch. Der
       zieht sich am Donnerstag mit hohem Fieber und Atembeschwerden in eine
       Klinik zurück. Seine Amtsgeschäfte kann er deshalb nicht ausüben, teilt das
       Präsidialamt mit. Die Regierung trat bereits am Dienstag zurück.
       
       Wie geht es nun weiter? „Hier in der Kälte sitzen und abwarten, wie sich
       die Verhandlungen in den gut geheizten Hotelsälen weiter hinziehen, wollen
       wir jedenfalls nicht“, sagt ein Maidan-Aktivist.
       
       30 Jan 2014
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Bernhard Clasen
       
       ## TAGS
       
   DIR Kyjiw
   DIR Ukraine
   DIR Opposition
   DIR Barrikaden
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA