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       # taz.de -- Kommentar Syrienkonferenz: Schutzverantwortung, bitte!
       
       > Frieden wird es in Syrien nur ohne Präsident Assad und mit den gemäßigten
       > Kräften geben. Andernfalls droht weiteres Chaos.
       
   IMG Bild: Syrischer Soldat in Aleppo: Assad hat sein Land so zerstören lassen, dass sich Dschihadisten im Chaos einrichten konnten
       
       Es wird geredet in Genf, herausgekommen sind bislang Erleichterungen für
       die Menschen in Homs und der Austausch von Gefangenenlisten. Bescheidene
       Ergebnisse, die vor allem eines bewirken sollen: dass weiterverhandelt
       wird. Frieden werden diese Gespräche allerdings nicht bringen, denn die
       Positionen und Ziele der beiden Seiten sind nach wie vor unvereinbar.
       
       Die syrische Regierungsdelegation ist in Genf, um über den „Kampf gegen den
       Terrorismus“ zu sprechen, die Opposition will dagegen eine
       Übergangsregierung ohne Baschar al-Assad aushandeln.
       
       Assad sieht jedoch keinerlei Grund dafür, Macht abzugeben. Iran, Russland
       und die Hisbollah stehen militärisch wie wirtschaftlich an seiner Seite,
       international hat er sich durch das Chemiewaffenabkommen als
       Verhandlungspartner rehabilitiert. Angesichts des Vormarsches von al-Qaida
       erscheint er manch westlichem Politiker auch schon wieder als das „kleinere
       Übel“.
       
       Wer vor einem schnellen Abgang Assads warnt, weil Dschihadisten das
       Machtvakuum füllen könnten, verkennt die Realität im Land. Es ist nicht der
       Sturz des Regimes, der al-Qaida womöglich an die Macht bringt. Es sind die
       anhaltenden Kämpfe, das Nichtstun des Westens und die Ignoranz der
       restlichen Welt, die al-Qaida schon jetzt an die Macht führen.
       
       Assad selbst hat extremistische Gruppen groß gemacht. Er hat sein Land so
       zerstören lassen, dass sich Dschihadisten im Chaos einrichten konnten. Und
       er profitiert von ihrer Präsenz, da sie seine Propaganda vom Kampf gegen
       den Terror bestätigen und Zwietracht unter seinen Gegnern gesät werden
       kann. Assad als Verbündeten im Kampf gegen al-Qaida zu betrachten ist
       deshalb absurd. Seine „Terroristen“ sind nicht die Mitglieder des
       Al-Qaida-Ablegers Islamischer Staat im Irak und in der Levante (Isil),
       sondern Zivilisten in den Vororten von Damaskus, in Aleppo und Homs.
       
       ## Kampf an zwei Fronten
       
       In der Realität bekämpft nicht das Regime Isil, sondern die Rebellen, die
       in den „befreiten“ Gebieten mit den Terroristen konfrontiert sind und ihnen
       jetzt den Krieg erklärt haben. Statt gemeinsam auf den Sturz des Regimes
       hinzuarbeiten, kämpfen diese jetzt an zwei Fronten: gegen Assad und gegen
       al-Qaida.
       
       Syriens Rebellen sind so gesehen ein unübersichtlicher Haufen verschiedener
       Brigaden, von denen sich manche rhetorisch kaum von Al-Qaida-Gruppen
       unterscheiden. Vor allem die Mitglieder der Islamischen Front, also Syriens
       lokal verwurzelte Islamistengruppen, wirken ähnlich radikal wie Isil. Aber
       es gibt einen entscheidenden Unterschied.
       
       Isil will ein Kalifat in der gesamten Region und eine Weltherrschaft des
       Islam etablieren, die Islamische Front will Syrien von Assad befreien und
       danach einen wie auch immer gearteten islamischen Staat errichten. Isil,
       das ist transnationaler Terrorismus; die Rebellen der Islamischen Front
       dagegen kämpfen für Selbstbestimmung. Dass sie wie salafistische Hardliner
       klingen, hat mit ihren Finanziers zu tun – Saudi-Arabien, Katar, der Türkei
       und anderen Golfstaaten. Je islamischer eine Gruppe auftritt, desto mehr
       Geld und Waffen bekommt sie.
       
       Von den verbliebenen 18 Millionen Syrern wollen die meisten weder Assad
       noch al-Qaida, das haben sie Anfang Januar demonstriert. Gleichzeitig mit
       der Offensive der Rebellen gegen Isil fanden im Norden Proteste gegen Isil
       unter dem Motto „Assad und Isil sind eins“ statt.
       
       ## Politischer Selbstfindungsprozess
       
       In der syrischen Gesellschaft haben sich politisches Bewusstsein und Mut
       zur Selbstermächtigung entwickelt, etwas, das vor drei Jahren noch
       undenkbar war. Die Syrer werden sich nicht mehr vorschreiben lassen, wie
       sie zu leben haben – weder von Isil noch von anderen religiösen oder
       säkularen Tyrannen. Ziel muss deshalb sein, den Syrern nicht nur ein Leben
       in Freiheit und Würde, sondern auch einen politischen Selbstfindungsprozess
       zu ermöglichen, der weder von einer skrupellosen Machtclique verhindert
       noch von bewaffneten Dschihadisten torpediert wird. Auf diesem Weg, der
       steinig und voller Hindernisse sein wird, ist Assads Abgang der erste
       Schritt.
       
       Voraussetzung für eine Verhandlungslösung ist, dass die Parteien am Genfer
       Konferenztisch Einfluss auf die Kriegführenden im Land haben. So lange aber
       Assad direkt oder indirekt mitverhandelt, werden die Radikaleren unter den
       Rebellen eine Teilnahme verweigern. Deshalb bleibt nur, die Nationale
       Koalition und den mit ihr verbündeten Obersten Militärrat zu stärken. Erst
       wenn die FSA-Führung in Syrien militärisch die Oberhand hat, kann sie
       Brigaden der Islamischen Front im Falle einer politischen Einigung zu einem
       Waffenstillstand bewegen.
       
       Assad wiederum wird nur unter Androhung von Gewalt einlenken. Erst wenn er
       die Unterstützung Irans und Russlands verliert und sich einer geeinten, gut
       ausgestatteten Freien Syrischen Armee gegenübersieht, wird er zu
       politischen Kompromissen bereit sein. Folglich sollten Aktivisten und
       Rebellen, die mit der Nationalen Koalition zusammenarbeiten und dadurch
       Partner einer Verhandlungslösung sind, mit allem ausgestattet werden, was
       es für einen Sieg über das Regime und al-Qaida braucht.
       
       ## Ein dem Volk aufgezwungender Krieg
       
       Dabei geht es nicht um Bodentruppen oder großangelegte Nato-Manöver. Es
       geht nicht darum, wie in Libyen einen Regimewechsel herbeizubomben. Es geht
       auch nicht darum, wie im Irak aus imperialistischen Interessen einen Krieg
       zu beginnen. Nein, in Syrien geht es darum, einen Krieg beenden zu helfen,
       der den Syrern von ihrem Regime aufgezwungen wurde und der ein ganzes Volk
       zu vernichten droht. Schutzverantwortung nennt sich das. Und wo, wenn nicht
       in Syrien, sollte dieses neue völkerrechtliche Prinzip mehr Berechtigung
       haben?
       
       EU und USA sind aber bislang nicht bereit, sich ohne UN-Mandat militärisch
       zu engagieren. So richtig diese Zurückhaltung im Allgemeinen ist, im Falle
       Syriens ist sie kurzsichtig. Die gemäßigteren Kräfte werden ohne
       Unterstützung untergehen, der Aufstand wird sich dank islamistischen
       Finanziers weiter radikalisieren, und al-Qaida richtet sich weiter im
       zerfallenden Land ein.
       
       28 Jan 2014
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Kristin Helberg
       
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