URI: 
       # taz.de -- Proteste in der Ukraine: Volksfest und Front
       
       > Auf dem Maidan in Kiew richten sich die Menschen in Zelten auf eine lange
       > Blockade ein. Der Protest in der Barrikadenstadt ist gut organisiert.
       
   IMG Bild: Atempause in Kiew: An eine gewaltfreie Lösung des Konflikts glauben die Demonstranten an der „Front“ nicht mehr.
       
       KIEW taz | Mann an Mann stehen die behelmten Hundertschaften der
       Sonderpolizei „Berkut“ regungslos vor den Barrikaden der ukrainischen
       Opposition an der Gruschewskistraße im Zentrum von Kiew. Auf der anderen
       Seite der Barrikaden wird emsig gearbeitet. Die gut zwei Meter hohen
       Barrikaden aus Baumstämmen, Sandsäcken, Schnee, Steinen werden weiter
       befestigt. „Hier ist die Front“ ruft ein vermummter junger Mann mit
       Stahlhelm in Richtung Kamera.
       
       Derweil machen immer wieder Gerüchte die Runde, die Regierung werde den
       Notstand verhängen. Das hatte am frühen Montag morgen Justizministerin
       Elena Lukasch angekündigt, nachdem Regierungsgegner in der Nacht zu Montag
       das Justizministerium besetzt hatten. Diese haben sich mittlerweile wieder
       zurückgezogen, wollen das Gebäude aber weiter blockieren. Am Dienstag soll
       das Parlament zu einer Sondersitzung zusammenkommen, um über die politische
       Krise zu beraten.
       
       Immer wieder treffen neue Kleingruppen vermummter Männer in Kampfuniform
       und mit Baseballschlägern bewaffnet an den Barrikaden ein. Frauen dürfen
       nicht „an die Front“. Sie bringen warme Kleidung und Mahlzeiten. Eine von
       ihnen ist Marina aus der Westukraine. „Ich bin hier, weil ich es satt habe,
       unter dem Janukowitsch-Regime zu leben. Ich will, dass meine Kinder eine
       Zukunft haben.“
       
       Für den nächsten Konflikt ist man gerüstet. „Wir wollten die Gewalt nicht“
       erklärt ein vermummter Mann mit Stahlhelm. „Doch jetzt gilt Auge um Auge!
       Zahn um Zahn! Nur hundert Meter von der Front entfernt haben ihre
       Scharfschützen direkt vom Dach des Ukrainischen Hauses auf Demonstranten
       geschossen. Wir wehren uns.“
       
       ## Der Glaube an einer gewaltfreie Lösung fehlt
       
       Ein Haufen Pflastersteine in Reichweite der militanten Kämpfer zeigt, dass
       der Mann es ernst meint. An eine gewaltfreie Lösung des Konflikts glaubt an
       der „Front“ niemand mehr. Ganz anders 500 Meter von der „Front“ entfernt
       auf dem Maidan. Es herrscht eine Stimmung wie auf einem Volksfest. Am
       Eingang zur U-Bahn verkaufen Straßenhändler Fahnen und T-Shirts in den
       ukrainischen Nationalfarben. Dutzende olivgrüne Zelte säumen die Straße.
       Auch Städte aus der Ostukraine sind mit Zelten vertreten. Pausenlos
       schallen aus den Lautsprechern die Redebeiträge von der Bühne. Bis zu den
       Protesten galt der „Kreschtschatik“ als die teuerste Einkaufsmeile der
       Ukraine. Nun prägen Suppenküchen, Schaschlikstände und der Rauch aus den
       Holzöfen das Bild.
       
       Immer wieder kommen Anwohner in die belagerte Barrikadenstadt, bringen den
       Demonstranten warme Kleidung und Lebensmittel. Das Leben in der Zeltstadt
       ist gut organisiert. Man richtet sich auf eine lange Blockade ein.
       Unterdessen greifen die Proteste auch auf den östlichen Teil der Ukraine
       über. Das ukrainische Fernsehen zeigte am Sonntag in einer Live-Übertragung
       Bilder aus Saporischschja, wo mehrere Tausend Menschen versuchten, ein
       Gebäude der öffentlichen Verwaltung zu stürmen.
       
       Die Menge wurde von der Polizei mit Tränengas und Blendgranaten
       zurückgedrängt. Dabei sollen 220 Demonstranten verletzt worden sein. In
       Dnepropetrowsk versuchten 3.000 Demonstranten in das Hauptquartier der
       Regionalregierung zu gelangen. In Odessa und Charkiw spielten sich lokalen
       Medien zufolge ähnliche Szenen ab.
       
       Die Protestierenden aus der West- und Ostukraine eint der gemeinsame Hass
       auf das Janukowitsch-Regime. Nach seiner Wahl zum Präsidenten habe er die
       gesamte wirtschaftliche und politische Macht auf sich und seinen
       „Donezk“-Clan konzentriert“, sagt ein Demonstrant auf dem Maidan. „Er muss
       zurücktreten. Einen anderen Ausweg gibt es nicht.“
       
       27 Jan 2014
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Bernhard Clasen
       
       ## TAGS
       
   DIR Ukraine
   DIR Maidan
   DIR Protest
   DIR Wiktor Janukowitsch
   DIR Schwerpunkt Krieg in der Ukraine
   DIR Kyjiw
   DIR Ukraine
   DIR Ukraine
   DIR Ukraine
   DIR Ukraine
   DIR Ukraine
   DIR Russland
   DIR Ukraine
   DIR Ukraine
   DIR Weißrussland
   DIR Ukraine
   DIR Kyjiw
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
   DIR Verdacht auf Massenmord: Kiew verhaftet zwölf Berkut-Polizisten
       
       Die ukrainische Übergangsregierung hat einen Bericht über das Blutbad auf
       dem Maidan vorgelegt. Darin wird der Ex-Präsident als Verantwortlicher
       genannt.
       
   DIR Anti-Maidan-Proteste in der Ukraine: Frieren für 20 Euro
       
       In Kiew haben Anhänger von Präsident Janukowitsch ihre Zelte aufgeschlagen.
       Für ihren Einsatz auf dem „Anti-Maidan“ werden sie bezahlt.
       
   DIR Staatskrise in der Ukraine: Amnestie unter Vorbehalt
       
       Die Regierung ist zurückgetreten. Nun hat die Staatsführung eine Amnestie
       für gewaltsame Demonstranten angeboten – stellt aber eine Bedingung.
       
   DIR Rücktritt ukrainischer Premier: Ein neuer Handlanger muss her
       
       Nach dem Rücktritt von Mykola Asarow sucht Präsident Janukowitsch einen
       neuen Premier. Die Opposition hat bereits abgelehnt. Aus gutem Grund.
       
   DIR Proteste in der Ukraine: Ministerpräsident Asarow tritt zurück
       
       Die Aktionen der Opposition zeigen Wirkung: Der ukrainische
       Ministerpräsident Asarow legt sein Amt nieder und das Demoverbot wird
       aufgehoben.
       
   DIR Politische Krise in der Ukraine: Besetzer räumen Justizgebäude
       
       Nachdem die Justizminsterin mit dem Notstand drohte, verließen
       Demonstranten die besetzte Behörde. Am Dienstag gibt es eine Sondersitzung
       im Parlament.
       
   DIR Russland und die Europäische Union: Ein freudloses Gipfeltreffen
       
       Wegen der Krise in der Ukraine steht die „strategische Partnerschaft“
       Brüssels mit Russland auf dem Prüfstand. Auch sonst hat sich einiges
       aufgestaut.
       
   DIR Proteste in der Ukraine: Jetzt droht der Notstand
       
       Ukrainische Regierungsgegner besetzen das Justizministerium in Kiew.
       Oppositionsführer Vitali Klitschko will sie zum Gehen überreden.
       
   DIR Folgen der ukrainischen Proteste: Die Gefahr lauert in der Provinz
       
       Wachsender Unmut in den ländlichen Regionen der Ukraine könnte Janukowitsch
       zum Verhängnis werden. Doch der Präsident scheint das noch nicht zu
       begreifen.
       
   DIR Weißrusslands Blick auf die Ukraine: Feuer und Flamme für den Nachbarn
       
       In Weißrussland sympathisieren viele mit den Protesten in der Ukraine. NGOs
       fordern westliche Politiker als Vermittler und kritisieren deren
       Zurückhaltung.
       
   DIR Staatskrise in der Ukraine: Kein Kompromiss, keine Ruhe
       
       Präsident Janukowitsch hatte der Opposition angeboten, mitzuregieren. Die
       lehnte ab. Sie fordert nach wie vor Neuwahlen. In der Nacht gingen die
       Proteste weiter.
       
   DIR Proteste in der Ukraine: Janukowitsch bietet Kompromiss an
       
       Die wochenlangen Proteste der Opposition zeigen Wirkung. Der ukrainische
       Präsident Janukowitsch stellt eine Regierungsbeteiligung in Aussicht. Und
       nicht nur das.