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       # taz.de -- Kommentar Syrien-Konferenz: Haltet den Araber in Schach
       
       > Es gibt politische Gründe für das außenpolitische Debakel der USA und der
       > EU. Doch auch die kulturellen Muster spielen eine wichtige Rolle.
       
   IMG Bild: US-Außenminister John Kerry auf der Friedenskonferenz Genf II am 22. Januar
       
       Bereits am ersten Tag auf der Friedenskonferenz stellte Barack Obama klar,
       dass die USA ein militärisches Eingreifen ausschließen, und nahm seinen
       politischen Gegnern zu Hause damit den Wind aus den Segeln. Indessen
       betonte Außenminister Kerry, dass Assad aber schon gehen müsse. Diese wirre
       Mischung aus Innen- und Außenpolitik erzeugt bizarre Signale: Man fordert
       einen Machthaber und Kriegsherren zum Abdanken auf und verzichtet dabei auf
       jede Drohkulisse. Was aber sollte Assad und seine Verbündeten dazu bringen,
       Syrien aufzugeben?
       
       Vor einem halben Jahr setzten die Bilder von den Giftgasopfern Obama unter
       Zugzwang. Eine Intervention schien bevorzustehen, und Assad verzichtete
       fortan auf weitere Giftgaseinsätze. Das reichte den USA.
       
       Pünktlich zu Genf II zirkulieren jetzt wieder grauenhafte Bilder von
       Tausenden in syrischen Gefängnissen systematisch zu Tode gefolterten und
       verhungerten Männern, und die Botschaft lautet nun: Du musst an Konferenzen
       teilnehmen. Aber egal, welche Verbrechen du und deine (islamistischen)
       Verbündeten aus Iran und sonst woher an der Zivilbevölkerung begehen, es
       gibt keine roten Linien mehr. Solange du Israel in Ruhe lässt, mach, was du
       willst. Und der syrischen Bevölkerung sagen wir klipp und klar: Wir
       übernehmen keine Verantwortung für euren Schutz. UN-Resolution hin oder
       her.
       
       Ein Grund für das außenpolitische Versagen von USA und EU ist das Fehlen
       von eigenen Interessen: Syrien hat keine Bodenschätze; weder die Amerikaner
       noch die Europäer wollen etwas haben aus diesem Land. Warum sollten sie
       also mit ihren Soldaten drohen oder sich damit abmühen, den Aufbau einer
       Zivilgesellschaft zu unterstützen? So richtig dieses oft erwähnte
       ökonomische Motiv ist, hinter der allgemeinen Gleichgültigkeit steht auch
       ein kulturelles Muster.
       
       Im Westen dominieren bis heute klammheimlich zwei Zuschreibungen, um
       Demokratie als Privileg nur für Demokratien zu verteidigen: „Die Afrikaner“
       tun sich mit der Demokratie so schwer, weil sie zu kindlich, noch zu nah an
       der Natur sind, um diese Kulturleistung zu erbringen. Afrika erscheint so
       als das ewige Sorgenkind. Demgegenüber gilt es, den stets aggressiven,
       häufig auch verschlagenen Araber in Schach zu halten. Dieses Stereotyp hat
       wesentlich dazu beigetragen, dass im Westen bis vor Kurzem nur wenige an
       den Diktatoren Mubarak oder Baschar al-Assad ernsthaft Anstoß nahmen.
       
       ## Koloniales Denken im Westen
       
       Der in Nantes und Dakar lehrende Historiker Ibrahima Thioub analysiert
       diese Denkhaltung so: In den ehemaligen Kolonien hat die
       Entkolonialisierung auch in den Köpfen stattgefunden. In den ehemaligen
       Kolonialmächten steht sie noch aus. Hier greifen weiterhin die Stereotype
       aus dem 18. und 19. Jahrhundert. Im Zuge der Arabellion und ihrer brutalen
       Niederschlagung, zumal in Syrien, ist es etwas schwerer geworden, an ihnen
       festzuhalten. Entsprechend ist zwar kein Umdenken, wohl aber eine
       Verunsicherung spürbar.
       
       Daher werden nun ganz langsam Syrer und Syrerinnen in der westlichen Presse
       auch als Opfer beschrieben und nicht mehr nur als „Araber“ oder „Muslime“,
       ergo als aktuelle oder potenzielle Islamisten. Syrer als Menschen
       wahrzunehmen, mit vielfältigen Hintergründen, Interessen und Hoffnungen,
       fällt noch immer schwer. Das aber ist die Voraussetzung, um Druck auf die
       diversen Regierungen auszuüben, damit die dafür sorgen, dass ganz
       unterschiedliche Menschen ein ganz normales Leben leben können. Ohne
       Hunger, ohne Folter und mit dem Recht auf politische Partizipation.
       
       Geben wir die Idee auf, dass der Schutz der Zivilbevölkerung und also der
       Zivilgesellschaft unabhängig von kulturellen Differenzen das höchste Ziel
       der Politik sein muss, dann wird das auch die alteingesessenen Demokratien
       aushöhlen, nach und nach. Die von den korrupten Eliten ausgelöste Krise in
       Europa setzt da bereits erste Zeichen.
       
       25 Jan 2014
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Ines Kappert
       
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