# taz.de -- Dezember-Krawalle: Risse in der Polizeigeschichte
> Zeugen und Beteiligte der angeblichen Attacken an der Davidwache werden
> vor der Polizei aussagen. Ihre Version unterscheidet sich stark von der
> zunächst verbreiteten, die Ungereimtheiten werden mehr.
IMG Bild: Vor, hinter, neben oder in der Nähe: Was genau am 28. Dezember an der Davidwache passierte, ist noch immer ungeklärt.
HAMBURG taz | Die Vorfälle vom 28. Dezember vor der Davidwache in
Hamburg-St. Pauli bleiben weiter widersprüchlich. Als sicher gilt
inzwischen, dass es keinen gezielten Überfall von 40 vermummten
Linksautonomen gegeben hat, die mit einem Steinhagel aus der Wache
herausstürmende Beamte schwer verletzt haben, wie es die Polizei fast eine
Woche lang behauptet hatte.
Der „Angriff“ war einer der wesentlichen Gründe, Altona, St. Pauli und das
Schanzenviertel Anfang Januar für zehn Tage zum Gefahrengebiet zu erklären.
Auch Hamburgs Bürgermeister Olaf Scholz (SPD) und sein Innensenator Michael
Neumann (SPD) nutzten vor der Hamburger Bürgerschaft in einer Aktuellen
Stunde die Gelegenheit nicht, zu einer weiteren Aufklärung beizutragen.
Der linke Szeneanwalt Andreas Beuth, der schon seit geraumer Zeit zwei
Augenzeugen aus Bremen in der Hinterhand hatte, wird das Paar in der
kommenden Woche als Zeugenbeistand begleiten, wenn sie beim
Landeskriminalamt eine Aussage zu den Vorfällen machen, sagte er der taz.
Weiterhin hat Beuth Mandanten, die er wegen seiner anwaltlichen
Schweigepflicht inkognito halten will, weil sie nach der Polizeiversion als
potenzielle „Tatbeteiligte“ klassifiziert werden. Gegen die Beschuldigten
wird wegen gefährlicher Körperverletzung und versuchten Totschlags
ermittelt.
Beuth war es auch, der acht Tage nach den Ereignissen, gestützt auf die
Angaben von sechs Mandaten, die Polizeiversion ins Wanken brachte, wonach
die Autonomen um 23.03 Uhr „unvermittelt und gezielt“ Polizisten mit
„Flaschen und Steinen“ attackiert hätten. Dabei soll einem Polizisten der
Kiefer gebrochen worden sein, als ihm „der Täter aus nächster Nähe einen
Stein ins Gesicht schlug“.
Die Polizei korrigierte daraufhin ihre Version zwei Mal. Als sicher gilt
bisher nur, dass ein 45-jähriger Streifenpolizist der Davidwache in dem
Zeitraum 200 Meter entfernt an der Ecke Hein-Hoyer/Seilerstraße eine
derartige Verletzung erlitten hat.
Die unabhängigen Augenzeugen aus Bremen haben gegenüber dem Internetportal
[1][Publikative.org]. jedoch geschildert, dass eine Gruppe von rund 25 St.
Pauli-Fans von sechs Polizisten der Davidwache verfolgt worden sei, nachdem
sie die Davidwache passiert hätten. Ein Polizist habe einen
„Nachzüglicher“, den er für den „Rädelsführer“ gehalten habe, auf der
Verkehrsinsel Reeperbahn zu Boden gebracht. Nach einem kurzem Wortgefecht
mit seinen zurückgekommenen Freunden aber sei der Mann wieder freigelassen
worden. Steine seien zu keinem Zeitpunkt der beobachteten Vorfälle
geflogen.
Das deckt sich auch mit einem internen Bericht des Landeskriminalamtes
(LKA), in dem die Gruppe als unpolitisch eingestuft worden ist und
lediglich „USP“-Fanparolen der FC St. Pauli Ultras gerufen hätten. Nach
Informationen der Grünen in der Bürgerschaft hatte deswegen der
Staatsschutz (LKA 7) den Fall kleingekocht, und ihn als nicht gravierend
der Staatsanwaltschaft auch nur zögerlich gemeldet, bis sich der Hamburger
Generalstaatsanwalt Lutz von Selle aufgrund der Polizeipresse-Meldung und
nach einer Anfrage der Bundesanwaltschaft in Karlsruhe einschaltete.
Von Selle wollte nun die Ermittlungen an sich reißen und der hiesigen
Staatsanwaltschaft die Kompetenzen entziehen. Er wurde jedoch von
Innensenator Michael Neumann, Justizsenatorin Jana Schiedek und
Polizeipräsident Wolfgang Kopitzsch (alle SPD) in die Kompetenz-Schranken
gewiesen.
Den Bürgerschafts-Grünen liegen auch Erkenntnisse darüber vor, dass das LKA
7 – das für politisch motivierte Delikte zuständig ist – von dem Fall
abgezogen werden sollte, und die Ermittlungen einer Sonderkommission
übergeben werden sollten. Eine Anfrage der Grünen dazu ist noch nicht
beantwortet.
Zweifel gibt es nun auch an der Version der Polizei, dass die
Streifenwagen-Besatzung, zu der der 45-jährige Verletzte zählte, in der
Seilerstraße von Flüchtenden gezielt angegriffen wurde. Das Hamburger
Abendblatt berichtet nun, dass der Beamte laut Polizeizeugen vor seiner
Verletzung eine Person zu Boden gebracht habe, während seine Kollegin von
der Menge völlig in Ruhe gelassen worden sei.
Schon auf der Sondersitzung des Innenausschusses konnte Innensenator
Michael Neumann nicht ausschließen, dass der Beamte zufälliges Opfer eines
besoffenen Kiezbummlers geworden sei. Am Donnerstag hielt Neumann vor der
Hamburger Bürgerschaft zwar eine ausufernde Rede über die Gewalt „linker
Randalierer“ und die Nöte der ihm unterstellten Polizei, schwieg die
Ungereimtheiten zur Davidwache aber tot. Auch Bürgermeister Olaf Scholz
ging auf unterschiedliche Darstellungen mit keiner Silbe ein.
23 Jan 2014
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## AUTOREN
DIR Kai von Appen
DIR Marco Carini
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