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       # taz.de -- Die Wahrheit: Mord ist Ihr Hobby?
       
       > Die Krimischule der Wahrheit: Zehn Tipps für ein erfolgreiches
       > „Tatort“-Drehbuch, mit dem Sie bei Fernsehmachern und -zuschauern
       > garantiert punkten.
       
   IMG Bild: Das sonntägliche Auge des Grauens: der „Tatort“-Vorspann
       
       Sie wollten schon immer mal ein Drehbuch für den „Tatort“ schreiben? Sie
       denken allsonntäglich, das könnten Sie auch? Aber sind noch unschlüssig?
       Dann nehmen Sie sich ein paar Minuten Zeit: Die Wahrheit präsentiert Ihnen
       in einem kleinen Krimi-Crashkurs die zehn ultimativen Tipps für ein
       Drehbuch-Debüt, mit dem Sie klassische „Tatort“-Kriterien erfüllen und bei
       Redakteuren, Produzenten und Fernsehzuschauern garantiert punkten. 
       
       1. Das Setting 
       
       Unverzichtbar beim „Tatort“ ist ein unverwechselbares Milieu; das Setting,
       in dem der Fall spielt: Schönheitskliniken, Tier- und Umweltschutzszene,
       Rocker und Rechtsradikale sind dankbare Themen. Verwirren Sie den Zuschauer
       dabei nicht mit Vielschichtigkeit, lassen Sie Ihren ersten Assoziationen
       freien Lauf. Bei der Wahl des Milieus hilft im Zweifelsfall ein Blick ins
       riesige „Tatort“-Archiv; Sie müssen das Rad ja nicht neu erfinden.
       
       2. Der Plot 
       
       Als Täter eignet sich am Besten eine auffällig unauffällige Figur am Rand
       des Geschehens, die einmal am Anfang auftaucht und dann wieder am Schluss
       Ihres Falls. Dazwischen präsentieren Sie drei bis achtundzwanzig weitere
       Verdächtige, die Sie wie bei einem Misthaufenspiel miteinander verbinden.
       Wenn das Knäuel so verworren ist, dass Sie selbst nicht mehr durchsehen,
       haben Sie fertig geplottet.
       
       3. Das Motiv 
       
       Ein psychologisch glaubwürdiges Mordmotiv zu kreieren, ist nicht leicht.
       Aber pfeifen Sie ruhig auf Glaubwürdigkeit. Im Zweifelsfall tut es als
       Täter auch ein Psychopath, eine Mischung aus Hannibal Lecter, Frankenstein
       und Norman Bates - Gestalten, wie sie in keiner Irrenanstalt der Welt
       existieren, weil sich alle im „Tatort“ tummeln.
       
       4. Der Kommissar 
       
       Sie haben keine Lust, sich mit Ihrem Kommissar nach den innerhalb der
       „Tatort“-Familie bereits existierenden Charakteren zu richten? Dann
       entwickeln Sie einfach einen eigenen Ermittler - ein paar deutsche Städte
       ohne TV-Kommissar sind schließlich noch zu vergeben. Achten Sie dabei
       unbedingt auf die Einzigartigkeit Ihres Ermittlers, der sich auf der nach
       oben offenen Psychowrackskala von den anderen absetzen muss. Unabdingbar
       sind eine beruflich erworbene Traumatisierung, Jähzorn, Depression und
       Misanthropie; dazu könnten sich Kleptomanie oder Sexsucht gesellen. Es sei
       denn, Sie haben eine Kommissarin im Sinn: Eine Frau als Ermittler ist
       schließlich crazy genug.
       
       5. Persönliche Betroffenheit 
       
       Spannend wird es, wenn Ihr Kommissar in den Fall auch privat involviert
       ist. Wenn er selbstverständlich rein zufällig Zeuge eines Mordes wird -
       oder noch besser, wenn er einen der Beteiligten kennt: einen alten
       Schulfreund oder eine ehemalige Geliebte zum Beispiel. Denn die
       verrücktesten Geschichten schreibt bekanntlich das Leben - und die
       allerverrücktesten Sie!
       
       6. Das Genre 
       
       Sie mögen gar keine Krimis, sondern Komödien? Scheren Sie sich nicht um
       Genres, solche Schubladen beschränken Sie nur. Lassen Sie Ihrem Slapstick-
       und Pointenfeuerwerk freien Lauf. Die Leiche können Sie auch unauffällig
       zwischen zwei Lachern platzieren; irgendeiner Ihrer Clowns wird den Täter
       schon finden.
       
       7. Logik 
       
       Wie ist der Kommissar beim Showdown in die Wohnung des Täters gekommen? Wie
       hat die zierliche Frau ihr 90-Kilo-Opfer transportiert? Belasten Sie Ihren
       Plot nicht mit Fragen der Logik - dies ist ein Spielfilm, keine Mathematik.
       Und der Zuschauer wirds schon nicht merken.
       
       8. Gesellschaftskritik 
       
       Sie haben ein politisches Anliegen? Halten Sie damit nicht hintern Berg.
       Gesellschaftskritik ist für Ihren "Tatort" ein Muss! Sie sollten Ihre
       Botschaft dabei allerdings so formulieren, dass auch der Fernsehdirektor
       diese zwischen zwei Sitzungen versteht, und so allgemein, dass jeder
       Zuschauer zustimmen kann. Beispielsweise: Umweltschutz ist wichtig. Oder:
       Man schlägt keine Kinder. Oder: Manche Konzerne machen für Geld einfach
       alles.
       
       9. Lustige Nebenhandlung 
       
       Sie haben es trotz Milieustudie, Misthaufen und Gesellschaftskritik bislang
       nicht geschafft, die Handlung Ihres Drehbuchs auf schlappe 90 Minuten zu
       strecken? Dann denken Sie sich einfach einen lustigen Nebenstrang aus, am
       besten mit kleinem Kind oder süßem Hund. Die Zuschauer lieben Hunde und
       Kinder - und depperte Kommissare, die sich um solch niedliche
       Schutzbefohlenen kümmern.
       
       10. Rätselspaß 
       
       Verschaffen Sie Ihrem Publikum ein Erfolgserlebnis, indem es den Täter
       bereits vor den Kommissaren enttarnt. Da man Zuschauer aber nie
       überschätzen darf, sollte dies innerhalb der ersten zehn Minuten gelingen.
       Was für ein Hallo, wenn nach 70 weiteren Minuten endlich auch die
       Kommissare schnallen, wer die Tat begangen hat. Jetzt noch eine
       Verfolgungsjagd, dann den Psychopathen erschießen und den Hund wegbringen -
       und ab an die Currywurstbude!
       
       24 Jan 2014
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Philip Meinhold
       
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