URI: 
       # taz.de -- Ressortübergreifende Herausforderung: Über Armut reden
       
       > Sich gegen Armut partei- und ressortübergreifend zu engagieren,
       > bekundeten am Mittwoch in der Bürgerschaft alle. Nur das Bildungsressort
       > glänzte durch Abwesenheit.
       
   IMG Bild: Gilt als arm: Osterholz-Tenever. Hier spekulierten Hedgefonds mit Häusern, kritisiert Klaus Möhle (SPD).
       
       BREMEN taz | Wenn in Bremen über Armut gesprochen wird, ist die grobe Linie
       klar: Der Stadtstaat ist besonders betroffen, fast ein Viertel der
       Bevölkerung ist von Armut gefährdet, jedes dritte Kind ist arm. Schuld sind
       die sozialen Verhältnisse, bekämpfen kann man das mit Bildung – über die
       Fraktionsgrenzen hinweg bekundeten das alle Parteien, als am Mittwoch in
       der Bürgerschaft über den Kampf gegen die Armut debattiert wurde.
       
       Den hatte zuvor Bürgermeister Jens Böhrsen (SPD) beim Neujahrs-Empfang im
       Rathaus zur Chefsache erklärt und ein „Bündnis gegen Armut“ als Plan
       verkündet. Mit der Einberufung einer aktuellen Stunde war es nun an der
       CDU, sich den Ball zurückzuholen. Erstaunlich wenig jedoch wurde anhand
       ideologischer Grenzen attackiert, erstaunlich viel der Wille zur
       Zusammenarbeit bekundet. Sachorientierte Politik – zumindest vordergründig.
       
       Politisches Ping-Pong-Spiel 
       
       Denn im Hintergrund war es doch auch ein politisches Pingpong-Spiel:
       Zwischen Sozialdemokraten und Grünen, zwischen Bürgermeister und
       Opposition, zwischen Senat und Bürgerschaft. Mit seinem Vorstoß hatte
       Böhrnsen das Thema der grünen Sozialsenatorin Anja Stahmann entrissen –
       immerhin eine der zentralen Aufgaben des Ressorts.
       
       Im Rahmen der Debatte schossen die Grünen zurück. „Sehr kritisch auf den
       Prüfstand stellen“ müssten sich die Sozialdemokraten, erklärte Susanne
       Wendland, sozialpolitische Sprecherin der Grünen-Fraktion. Immerhin regiere
       die SPD in Bremen „seit Menschengedenken“, viel Zeit also, um etwas zu
       ändern – ein Seitenhieb, der mit Applaus von der CDU honoriert wurde. Deren
       Fraktionsvorsitzender Thomas Röwekamp regte gegen Ende der Debatte einen
       Parlaments-Ausschuss an. „Nicht ausschließen“ wollte das der
       Grüne-Fraktionsvorsitzende Matthias Güldner und zog damit das Thema aus dem
       sozialdemokratisch-geführten Rathaus zurück ins Parlament.
       
       Keine "Grundsatzdebatten" 
       
       Inhaltlich so richtig konkret wurde es am Mittwoch noch nicht. Außer, dass
       es Konkretem bedürfe: Er wolle keine „Grundsatzdebatten“, sagte
       Bürgermeister Böhrnsen. Und: „Wir werden uns nicht mit Armut und sozialer
       Ausgrenzung abfinden.“ Anzugehen seien die verfestigte
       Langzeitarbeitslosigkeit, er denke an ein „beschäftigungsorientierte
       Aktionsprogramm“, mit Fokus auf ungelernte Arbeitslose.
       
       Themen, die auch Thomas Röwekamp erwähnte, der zudem mit einem klaren
       Bekenntnis zum gesetzlichen Mindestlohn und der Forderung nach einem
       besseren Zugang zum Arbeitsmarkt für MigrantInnen und Flüchtlinge
       überraschte. Ein „Armutszeugnis“ allerdings sei es, dass sich in Bremen die
       Kosten der Jugendhilfe in den letzten Jahren verdoppelt hätten: Immerhin
       beträfe die Jugendliche, die jahrelang durchs staatliche Schulsystem
       gelaufen seien.
       
       Auch die Grüne Susanne Wendland brachte Bildung ins Spiel, denn Armut sei
       „vererbbar“. Dagegen brauche es eine durchgängige Sprachförderung, müsse
       der Ausbau der Kita-Betreuung fortgesetzt werden, beim Übergang von Schule
       und Beruf sei die Wirtschaft gefragt.
       
       SPD-Sozialpolitiker Klaus Möhle wiederum sah Bremen im Griff einer globalen
       Entwicklung, die nur schwer aufzuhalten sei. Er nannte Hedgefonds, die des
       banalen Profites wegen Wohnungen aufkauften und sprach von „Teilhabe trotz
       Armut“. Fast hätte er vergessen, das Wort „Umverteilung“ überhaupt zu
       erwähnen.
       
       Nicht so der Linke Peter Erlanson: „Armutsbekämpfung ist
       Reichtumsbekämpfung“, sagt er und sorgte für Unruhe, als er den anderen
       Parteien vorwarf, mit Hartz IV „Armut per Gesetz“ überhaupt erst eingeführt
       zu haben. Die Linke hätte schon lange einen Aktionsplan gegen Armut
       gefordert, Anträge und Ideen, wie die Ausweitung des Sozialtickets aber
       seien stets abgelehnt worden.
       
       Bildungsressort glänzt mit Abwesenheit 
       
       Für die Linken-Fraktionsvorsitzende Kristina Vogt führt die komplett freie
       Elternwahl zu Segregation an den Schulen. Inklusion und Oberschulen würden
       zur Aufgaben der armen Stadtteile. Über die Ressortgrenzen Soziales und
       Bildung die Kita- und Schulbetreuung als Ganzes zu sehen, erwähnten nicht
       nur die Linken. Erlanson aber sprach von Schwierigkeiten, die in der
       Sozialdeputation in der Zusammenarbeit mit dem Bildungsressort bestünden.
       
       Wie also wurden die Reden vom Bildungsressort aufgenommen? Nun: Gar nicht.
       Sozialsenatorin Stahmann, Finanzsenatorin Karoline Linnert und
       Bürgermeister Böhrnsen saßen auf der Bank, Wirtschaftsstaatsrat Heiner
       Heseler kam zumindest später hinzu. Bildungssenatorin Quante-Brandt aber
       war nicht da und auch ihr Staatsrat Gerd-Rüdiger Kück ließ sich nicht
       blicken. Kein guter Einstieg für eine ressortübergreifende Zusammenarbeit.
       
       22 Jan 2014
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Jean-Philipp Baeck
       
       ## TAGS
       
   DIR Schwerpunkt Armut
   DIR Armutsbekämpfung
   DIR Bremen
   DIR Bürgerschaft
   DIR Schwerpunkt Armut
   DIR Oxfam
   DIR Armutsbericht
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
   DIR Ausschuss gegen Armut: Einer nur wird Bettlerkönig
       
       Zur Armutsbekämpfung hat die Bürgerschaft einen neuen Ausschuss. Alle
       Fraktionen hoffen auf Sachlichkeit. Der Zank um den Vorsitz aber deutet auf
       Wahlkampf.
       
   DIR Ungleicher Lohn für gleiche Arbeit: Staatliches Lohndumping
       
       Wer die kommunalen Kliniken putzt, bekommt heute teilweise nicht mal den
       Mindestlohn. Das soll sich zwar ändern, doch die Benachteiligung wird
       weitergehen.
       
   DIR Reichtumsverteilung weltweit: Die oberen 85
       
       Die 85 reichsten Menschen der Welt besitzen so viel Vermögen wie die arme
       Hälfte der Weltbevölkerung. Eine Oxfam-Studie kritisiert den großen
       Einfluss der Reichen.
       
   DIR Bericht zur Armutsentwicklung: Mehr Arbeit lohnt sich nicht
       
       Die Armut in Deutschland nimmt weiter zu, obwohl mehr Menschen einen Job
       haben. Dabei gibt es große regionale Unterschiede, so der Paritätische
       Wohlfahrtsverband.
       
   DIR Konzepte für die Sozialpolitik: Bremen verfestigt Armut
       
       Jedes dritte Bremer Kind ist armutsgefährdet, weil es in einer mittellosen
       Familie lebt. Eine Konferenz will deren Chancen verbessern.