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       # taz.de -- Interview mit Berlins SPD-Fraktionschef: „Innenpolitik mit Augenmaß“
       
       > Die SPD wildert im Bereich des glücklosen Berliner Innensenators Henkel
       > (CDU). Fraktionschef Saleh fordert Respekt vor Polizisten.
       
   IMG Bild: "Sie müssen die Grundlage dafür schaffen, dass die Leute nachts U-Bahn fahren können, ohne die Befürchtung zu haben, dass permanent etwas passiert": SPD-Fraktionschef Raed Saleh.
       
       taz: Herr Saleh, Sie haben uns damit überrascht, dass Sie – als einer, der
       immer viel Wert darauf legt, ein Linker zu sein – mehr Respekt vor
       Polizisten fordern. 
       
       Raed Saleh: Ich mache das, weil es sich in einer demokratischen
       Gesellschaft einfach so gehört, dass man Respekt hat gegenüber Personen,
       die täglich für die Sicherheit aller im Einsatz sind, und das unter Einsatz
       der eigenen Gesundheit. Da ist es normal, die Arbeit zu würdigen.
       
       Wenn es so normal ist, warum fordern Sie es dann? 
       
       Ich sehe durch viele Gespräche mit Polizistinnen und Polizisten, aber auch
       durch eigene Beobachtungen, dass das leider nicht so normal ist. Es mangelt
       stattdessen an vielen Stellen an Respekt.
       
       Wo denn? 
       
       Vor allem junge Polizisten sind damit überfordert, wenn sie zum Einsatzort
       fahren und viele Leute sie dort gar nicht akzeptieren. Auch vonseiten der
       Politik wünsche ich mir mehr Respekt gegenüber unserer Polizei. Da gibt es
       zu oft Pauschalaussagen.
       
       „Viele Menschen“ und „auch vonseiten der Politik“ – wen, welche Gruppen und
       Parteien, meinen Sie genau? 
       
       Man erlebt es ja täglich, dass Polizisten bei ihren Einsätzen gestört
       werden, dass über Polizisten in abfälligen Worten gesprochen wird – das
       zieht sich hin bis in bürgerliche Schichten. Was ich bei Politikern erlebe,
       ist, dass sie oft zu schnell von Polizeigewalt sprechen. Konkret muss ich
       sagen, dass die Grünen in Kreuzberg nicht immer den richtigen Ton treffen.
       Ich erinnere mich an Diskussionen um den Görlitzer Park, wo vorschnell über
       Polizisten geurteilt wurde.
       
       Was schlagen Sie konkret vor? 
       
       Die BSR hat mal eine Imagekampagne gestartet, eine sogenannte
       Respektkampagne. In der hat sie den Berlinerinnen und Berlinern ihre
       Beschäftigten nahegebracht. So eine Kampagne wünsche ich mir auch für die
       Polizei. Die Botschaft muss sein: Die Polizei ist nicht dein Gegner,
       sondern dein Freund, sie schützt uns. Und ich sage ganz deutlich: Eine
       Stadt wie Berlin braucht eine starke innere Sicherheit.
       
       Für die innere Sicherheit ist im Senat nicht die SPD, sondern der
       Koalitionspartner zuständig. Trotzdem ist sie zentrales Thema bei der
       Klausurtagung Ihrer Fraktion am Wochenende. Wollen Sie damit ausdrücken,
       dass Innensenator Frank Henkel (CDU) zu wenig tut? 
       
       Verantwortung für die innere Sicherheit haben wir im Senat alle zusammen.
       Seit Ehrhart Körting als Innensenator ist sie ein Kernthema der
       Sozialdemokratie. Wir als SPD-Fraktion stehen klar für eine Innenpolitik
       mit Augenmaß – weder Law and Order pur noch Laisser-faire.
       
       Das klingt jetzt sehr schlagwortartig. 
       
       Nicht jede Situation kann man mit einem harten Durchgreifen beenden. Aber
       es gibt auch Situationen, wo man hart durchgreifen muss. Hier das richtige
       Augenmaß zu haben, das ist das Entscheidende in einer liberalen Stadt wie
       Berlin.
       
       Will die SPD das Innenressort zurückhaben? 
       
       Es geht bei unserer Diskussion über innere Sicherheit nicht um eine
       Distanzierung vom Koalitionspartner – die rot-schwarze Koalition läuft gut.
       Dennoch ist es klar, dass zwei Parteien zu einem Thema durchaus
       unterschiedliche Positionen haben und auch haben sollen. Die CDU hat zum
       Beispiel bei Stadtentwicklung und Bildung, die ja im Senat SPD-Ressorts
       sind, teilweise andere Positionen als wir.
       
       Wenn Sie sagen, die Koalition läuft gut: Wieso gab es dann vor Kurzem das
       Krisengespräch zum Oranienplatz? 
       
       Innerhalb einer Koalition werden Sie immer wieder solche Treffen haben. Wir
       haben uns auf eine gemeinsame Linie verständigt, nämlich auf Deeskalation
       und Gespräche zu setzen, die unsere Integrationssenatorin Dilek Kolat
       führt.
       
       Von der SPD ist aber auch zu hören, die Zustände am Oranienplatz seien
       unhaltbar. Wie viel Zeit geben Sie den Gesprächen? 
       
       Wenn man Gespräche beginnt, muss man sie mit der Hoffnung beginnen, dass
       sie erfolgreich sein werden, und die Ergebnisse abwarten. Da darf man nicht
       gleich eine Eskalationsstrategie im Hinterkopf haben.
       
       Die Gespräche können doch nur scheitern: Die Forderung nach Bleiberecht für
       alle kann das Land Berlin gar nicht erfüllen. 
       
       Noch mal: Wir haben im Koalitionsausschuss vereinbart, dass wir Gesprächen
       Platz geben. Das heißt: kein Freifahrtschein für die Grünen in Kreuzberg
       und auch kein Freifahrtschein für eine Eskalation.
       
       Kommen wir noch mal zu jener Gruppe, von der Sie mehr Respekt gegenüber der
       Polizei erwarten … 
       
       Das sind viele Gruppen.
       
       … und eine davon würde Ihr Koalitionspartner als „migrantische Jugendliche“
       bezeichnen. Sie haben einen Migrationshintergrund und könnten das sagen,
       ohne gleich dem Rassismusverdacht ausgesetzt zu sein. 
       
       Ich will noch mal festhalten, dass die Sache mit dem fehlenden Respekt quer
       durch die Gesellschaft geht.
       
       Nun nennen sie doch mal eine Gruppe. 
       
       Natürlich gibt es auch bei zu vielen Jugendlichen mangelnden Respekt, und
       wenn man in Berlin von Jugendlichen spricht, dann sind darunter auch
       Migranten. Aber in diesen Kategorien möchte ich gar nicht denken. Diese
       Kinder sind keine Migrantenkinder, sondern Berliner Kinder, die in Berliner
       Krankenhäusern geboren sind. Diese Kinder brauchen auch keine
       Willkommenskultur, sondern eine Aufstiegskultur. Ob junger Intensivtäter
       oder Hooligan: Gewalt gegen Polizisten ist nicht hinnehmbar.
       
       Wie kriegt man diesen Respekt hin? Sie haben Erfahrungen mit Ihrem
       Spandauer Projekt „Stark ohne Gewalt“, in dem überdurchschnittlich viele
       Jugendliche mit Migrationshintergrund sind. 
       
       Wichtig ist, den jungen Menschen klarzumachen, dass der Polizist kein
       Gegner ist. Es ist nicht „die Berliner Polizei“, sondern der einzelne
       Polizist Peter Müller, von dem man klarmachen muss: Da ist jemand für dich
       unterwegs, um für deine und unsere Sicherheit zu sorgen.
       
       Rot-Schwarz ist jetzt halb durch die Wahlperiode durch. Sie haben immer
       betont, dass Sie linke Politik machen, aber nun wollen Sie offenbar auch
       bei der CDU fischen. 
       
       Wenn ich sage, dass Sicherheit ein zentrales Thema ist, eine Grundlage
       dafür, dass die Stadt weiter wächst und die Menschen sich wohlfühlen – dann
       ist das eine Politik für die Bürgerinnen und Bürger und damit eine klare
       linke Politik. Sie müssen doch auch die Grundlage dafür schaffen, dass die
       Leute nachts U-Bahn fahren können, ohne die Befürchtung zu haben, dass
       permanent etwas passiert.
       
       Es hat doch keiner Angst, nachts U-Bahn zu fahren. 
       
       Da kennen Sie die Realitäten in der Stadt aber nicht! Fragen Sie die Leute,
       dann werden Sie hören, dass die nach vielen Meldungen von heftigen
       Zwischenfällen Angst haben, auch wenn es oft unbegründet ist.
       
       Also haben wir No-go-Zonen? 
       
       Haben wir nicht. Aber sie müssen trotzdem dazu beitragen, dass die
       Sicherheit – die tatsächliche und die gefühlte – in Berlin zunimmt. Sie
       müssen sicherstellen, dass sich jeder und jede frei bewegen kann. Das ist
       die Grundlage einer modernen Stadt. Deshalb sage ich: Gewalt in unserer
       Stadt und Übergriffe auf Polizisten können und werden wir nicht dulden.
       
       Innensenator Henkel hat sich vergangene Woche für höhere Strafen bei
       solchen Übergriffen ausgesprochen. 
       
       Bevor man neue Regeln und Gesetze schafft, muss man die bestehenden
       konsequent anwenden.
       
       23 Jan 2014
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Stefan Alberti
   DIR Bert Schulz
       
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