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       # taz.de -- HipHop in Tunesien: Rappen für die Revolution
       
       > Wer von fehlender Freiheit singt, kommt schnell hinter Gitter. Wer kifft,
       > auch. Davon handeln die Songs von Lil’K und Weld el 15, Stars in
       > Tunesien.
       
   IMG Bild: Weld el 15 (l.) und Lil'K: Rappen und Kiffen für die Freiheit Tunesiens.
       
       TUNIS taz | Weld el 15 (25) und Lil’K (23) sind alles andere als zufrieden.
       Wenn es um ihr Tunesien drei Jahre nach dem Sturz des Diktators Zine el
       Abidine Ben Ali geht, schimpfen die beiden Rapper nur. „Was mir die
       Revolution gegeben hat, willst du wissen? Dreimal Knast“, erklärt Weld el
       15, mit bürgerlichem Namen Alaedine Yaacoubi. „Du hast hier keine Freiheit
       als Künstler. Schweigen oder gehen heißt die Alternative“, fügt Lil’K –
       Khalil Baalouch – hinzu.
       
       Die beiden sind Stars am tunesischen Rapperfirmament. Das gilt vor allem
       für Weld el 15 mit seinem [1][Song „Polizisten sind Hunde“]. Der Clip wurde
       knapp vier Millionen Mal im Netz angeklickt. Weld el 15 – was so viel heißt
       wie „Sohn mit 15“, dem Alter, in dem das Rappen begann – verarbeitet darin
       seine Festnahme und die darauf folgenden acht Monate Haft 2012. Konsum von
       Haschisch heißt das Verbrechen, dessen er sich damals schuldig gemacht
       hatte.
       
       „Wir glaubten, dass es in diesem Land eine Revolution gegeben hat, aber in
       Wirklichkeit haben wir nur eine Regierung zu Fall gebracht. Wir stecken bis
       zum Hals in der Scheiße“, rappt Weld el 15 und lebt im Song seine
       Gewaltfantasien gegen die Polizisten aus.
       
       Er träumt davon, sie zu schlagen, sexuell zu erniedrigen, ihre Mütter zum
       Weinen zu bringen. Er wirft den Beamten vor, selbst dafür zu sorgen, dass
       die Drogen in die armen Stadtteile kommen, um eine ganze Generation
       ruhigzustellen und zu zerstören.
       
       „Beamtenbeleidigung, Rufschädigung und Verstoß gegen die guten Sitten“
       sahen die Richter darin und verurteilten ihn im Frühsommer 2013 zu zwei
       Jahren Haft. Die Strafe wurde nach Protesten auf sechs Monate zur Bewährung
       herabgesetzt. Weld el 15 kam nach 20 Tagen frei.
       
       ## Beleidigungen und Erniedrigungen geben sie zurück
       
       Als er das Lied erneut aufführte, wurde er Ende des Sommers erneut zu 21
       Monaten verurteilt. Er tauchte ab, um sich schließlich Anfang Dezember zu
       stellen. Wieder kam er für zwei Wochen hinter Gitter, bis beim
       Berufungsverfahren der Fall eingestellt wurde.
       
       „Die Richter verstehen unsere Kunst nicht. Wir sind keine Politiker, unsere
       Texte leben von Metaphern. So etwas kann doch nicht gerichtlich verfolgt
       werden“, beschwert sich Weld el 15. „Wenn du den Text anhörst, merkst du,
       dass Weld el 15 so mit den Bullen spricht, wie sie mit dir sprechen.
       
       Das ist sein eigentliches Verbrechen. Er beleidigt und erniedrigt die
       Bullen, wie sie uns beleidigen“, mischt sich Lil’k ein. Sein bekanntester
       Song fordert die Legalisierung von Cannabis. „Er hat ihn geschrieben, als
       ich 2012 für acht Monate wegen Kiffen eingesperrt wurde“, sagt Weld el 15
       stolz.
       
       Kiffen ist eines der Themen in der nachrevolutionären tunesischen Jugend.
       Haschisch und Gras kommen aus Marokko ins Land. Doch die Gesetzgebung ist
       hart. Es genügt, dass bei einer Blutuntersuchung Rückstände des Wirkstoffes
       THC festgestellt werden, um wegen Konsum hinter Gitter zu wandern.
       
       Die Analysen fallen Wochen nach dem letzten Joint noch positiv aus. Jeder
       in Tunesien weiß, dass die Polizei gern unliebsame Jugendliche zum Amtsarzt
       schleppt.
       
       ## Ohne Plattenfirmen läuft alles über das Internet
       
       Weld el 15 ist Sohn eines Ingenieurs. Wie Lil’K, dessen Vater Polizist ist,
       kommt er aus der Altstadt von Tunis. Doch in ihrer freien Zeit hängen sie
       in den schicken Cafés in Cité Nasser ab. Es ist ein Stadtteil der gehobenen
       Mittelklasse. „Hier haben wir viele Freunde, und unser Studio ist hier“,
       erklären die beiden. Sie leben – so ihre eigenen Worte – vom „Business“.
       Worin das besteht? Schweigen.
       
       Von der Musik können sie jedenfalls nicht leben. „Es gibt keine
       Plattenfirmen hier im Land, und Fernsehen und Radio spielen uns so gut wie
       nicht“, erklären die beiden. Rappen in Tunesien, das bedeutet, private,
       kleine Konzerte sowie Songs und Videos ins Netz zu stellen. Viel’ Klicks,
       viel’ Ehr. Und daran fehlt es dem, der den Geist der Zeit trifft, nicht.
       
       In den Tagen Ende Dezember 2010, als die Jugendproteste, die schließlich am
       14. Januar 2011 zum Sturz des Diktators führten, begannen, tönte aus allen
       PCs „Präsident meines Landes“ von El General, einem Rapper aus der
       Industriestadt Sfax in Südtunesien.
       
       In einer Art offenem Brief sprach der Pharmazeutikstudent aus, was viele im
       Land auf die Straße trieb. Er sang von Korruption, fehlender Freiheit,
       Repression und Armut und kam dafür kurze Zeit hinter Gitter.
       
       ## Sie träumen vom Erfolg in Frankreich
       
       Vergangenen Sommer war es Weld el 15 mit seinem „Polizisten sind Hunde“,
       derzeit schlägt Kafon alle Rekorde mit seinem Song „Houmani“ über die
       sozialen Nöte in seinem Stadtteil. Der Clip wurde bei Youtube über sechs
       Millionen Mal geklickt. Es ist der Ohrwurm dieser Tage.
       
       Weld el 15 und Lil’K träumen vom Erfolg auf der anderen Seite des
       Mittelmeers, so wie El General, der nach der Revolution von einem Festival
       zum nächsten reiste. „Im Frühjahr gehen wir auf Frankreichtour und, wenn
       alles klappt, gar nach New York“, erklärt Weld el 15.
       
       Für ihn wäre es die erste Auslandsreise. In Frankreich wollen die beiden
       gegen „das Rassistenpack Le Pen und Sarkozy“ anrappen, „ohne dabei Tunesien
       zu vergessen“. Gemeinsam, hoffen sie, eine CD in Frankreich aufnehmen zu
       können. „Louis 15“ soll sie heißen.
       
       22 Jan 2014
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] http://www.youtube.com/watch?v=6owW_Jv5ng4
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Reiner Wandler
       
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