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       # taz.de -- Reform der Energiewende: Nicht mehr auf der Sonnenseite
       
       > Die neue Regierung will die Förderung erneuerbarer Energien umkrempeln.
       > Dabei rechnet Energieminister Sigmar Gabriel fantasievoll.
       
   IMG Bild: Energieminister Gabriel will umbauen.
       
       BERLIN taz | Thomas Banning, Chef des Ökostromanbieters Naturstrom, klingt
       am Telefon nicht gerade wie ein glücklicher Manager. „Das ist abartig“,
       schimpft er und meint damit Teile der Reformpläne von Energieminister
       Sigmar Gabriel und dessen „EEG 2.0“.
       
       Der Vizekanzler will die Förderung erneuerbarer Energien komplett
       umkrempeln. Nächste Woche soll der 12-seitige, noch relativ grob
       formulierte Entwurf bei der Kabinettsklausur der Bundesregierung in
       Meseberg beschlossen werden.
       
       Die große Linie des Papiers orientiert sich am Koalitionsvertrag von Union
       und SPD. Derzeit kommen knapp 25 Prozent des deutschen Stroms aus Wind-,
       und Wasserkraft, Biogas und Solarenergie. Auf bis zu 45 Prozent soll der
       Anteil bis 2025 steigen, bis 2035 auf 55 bis 60 Prozent.
       
       Um die Reform zu kommunizieren, greift Gabriels Haus zu einem kleinen
       Rechentrick. Das Ministerium zählt zusammen, was zwischen dem Jahr 2000 und
       heute an erneuerbaren Energien gebaut wurde und wie hoch die Förderung in
       dem Zeitraum im Schnitt war: 17 Cent pro Kilowattstunde. Dann verkündet es,
       dass Gabriel den Wert für neue Anlagen auf 12 Cent pro Kilowattstunde
       senken wolle. Klingt nach fünf Cent weniger. Stimmt zwar mathematisch. Die
       Zahlen sind aber nicht zu vergleichen.
       
       Die Frage wäre: Was kostete denn im Jahr 2013 der Strom aus neu errichteten
       Anlagen? Sicherlich weniger als 17 Cent. Vor allem Solarstrom ist heute
       deutlich billiger. Den Durchschnitt des Jahres 2013 kommuniziert das
       Ministerium aber nicht und erweckt den Eindruck einer immens wirksamen
       Reform.
       
       ## Markt statt Staat
       
       Damit neue Anlagen billiger werden, sollen vor allem die diversen
       Sonderprämien in der Windkraft wegfallen, Bioenergie wird gekappt, bei der
       Solarenergie bleibt alles beim Alten, und wenn man etwa Banning fragt,
       findet er das grundsätzlich okay.
       
       Was Banning „absurd“ findet, ist folgendes Szenario: Ein paar Bürger tun
       sich zusammen, um einen Windpark oder eine große Solaranlage zu bauen. Weil
       der Strom an guten Standorten mittlerweile kaum teurer oder teilweise
       billiger ist als aus fossilen Kraftwerken, verzichten sie dabei auf
       Förderung und verkaufen ihren Strom selbst. „Sie stellen sich also
       knallhart dem Markt, ohne Staat, genau das, was die Politik fordert“, sagt
       Banning.
       
       Genau das aber wird nach dem Papier von Gabriel erheblich schwerer. Wer
       derart seinen Strom einkauft, muss künftig die volle EEG-Umlage für
       erneuerbare Energien darauf entrichten. Bisher gab es 2 Cent Rabatt. Es
       wird also deutlich lukrativer, den Strom an der Börse zu verkaufen.
       
       Das soll zwar künftig für alle neuen Solar- oder Windanlagen verpflichtend
       sein, allerdings wahrscheinlich nach einem Modell, dass ihnen immer noch
       Grundeinnahmen sichert, wenn der Preis an der Börse verfällt. Dort muss ab
       2017 jeder seinen Strom verkaufen, wenn er in den Genuss dieser Sicherheit
       kommen will. Ausgenommen sind Betreiber kleiner Solaranlagen auf
       Hausdächern.
       
       ## An der Börse sind alle gleich
       
       An der Börse allerdings ist ökologisch produzierter Strom nicht von Atom-
       und Kohlestrom zu unterscheiden. Banning ist nicht zufrieden: Seine Firma
       will ohne Staat Grünstrom direkt verkaufen – und bekommt Steine in den Weg
       gelegt.
       
       Vor dem Problem werden künftig alle Energiegenossenschaften stehen, die
       ihren Strom selbst verbrauchen wollen. Thorben Becker, beim BUND für
       Energie zuständig, erzählt von einem zweiten Problem, das ihnen dräut.
       
       Momentan gibt es bei der Photovoltaik einen „atmenden Deckel“: Die
       Regierung setzt ein Ausbauziel – das Gabriel übrigens von 3.500 auf 2.500
       Megawatt Solarleistung pro Jahr senkt –, und wenn es überschritten wird,
       dann wird die Förderung zusätzlich gekürzt, bis weniger gebaut wird.
       
       Das soll nun auch bei Windparks kommen. Das Problem dabei ist, dass die
       Projekte eine wesentlich längere Vorbereitungszeit haben als eine
       Solaranlage, meist ein bis zwei Jahre. Das Risiko wird höher – was vor
       allem diejenigen trifft, die weniger Geld zur Verfügung haben, sprich:
       Bürger, die zusammenlegen.
       
       Berthold Meyer ist Bürgermeister der Gemeinde Bollewick in
       Mecklenburg-Vorpommern, die Ökostrom exportiert. Er drückt es so aus:
       „Eigentlich sollte die Energiewende ein Kulturwandel sein, hin zu
       kommunaler Versorgung, zur Beteiligung von Bürgern, weg von den Konzernen.
       Wenn das Papier umgesetzt wird, dann wird es damit sehr viel schwieriger.
       Dann wird eben ein Schalter umgelegt und die gleichen Akteure wie früher
       beherrschen den Markt.“
       
       19 Jan 2014
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Ingo Arzt
       
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