# taz.de -- Proteste in der Ukraine: Knüppeln bis der Arzt kommt
> Bei erneuten Demonstrationen in der Hauptstadt Kiew mit zehntausenden
> Teilnehmern kommt es zu gewalttätigen Zusammenstößen mit der Polizei.
IMG Bild: Angriff auf einen Polizeibus am Sonntag in Kiew.
BERLIN taz | Nach neuen Massenprotesten gegen die politische Führung in der
Ukraine ist es am Sonntag in der Haupstadt Kiew zu gewaltsamen
Auseinandersetzungen zwischen Reghierungsgegnern und Einsatzkräften der
Polizei gekommen. Unbestätigten Meldungen zufolge sollen dabei mehrere
Menschen verletzt worden sein.
Hunderte mit Holzknüppeln ausgerüstete und vermummte Demonstranten wollten
eine Polizeiabsprerrung durchbrechen und das Parlamentsgebäude stürmen. Der
Oppositionspolitiker und ehemalige Boxweltmeister Vitali Klitschko wurde
mit einem Feuerlöscher angegeriffen, als er versuchte die wütende Menge zu
beruhigen. Klitschko rief die Demonstranten zur Ruhe und zu Verhandlungen
mit der Polizei auf.
Zuvor waren in Kiew wieder Zehntausende gegen die Regierung auf die Straße
gegangen. Viele kamen vermummt auf den zentralen Unabhängigkeitsplatz
(Maidan) oder trugen Karnevalsmasken, um ein Zeichen gegen die verschärften
Demonstrationsregeln zu setzen.
Bei der Kundgebung wurde erstmals unter Buhrufen Unmut gegen Vitali
Klitschko laut. „Wir brauchen einen Anführer, der uns heute und jetzt zum
Sieg führt. Wir brauchen einen Namen“, sagte Dmitri Bulatow, einer der
führenden Organisatoren der seit Wochen andauernden Straßenproteste gegen
die Abkehr der Ukraine von der Europäischen Union.
## Massive Einschränkung von Bürgerrechten
Ein Gericht hatte in der vergangenen Woche Proteste in Kiew bis zum 8. März
verboten. Am Freitag unterzeichnete Staatspräsident Wiktor Janukowitsch
mehrere Gesetze, die in Rekordzeit durch das Parlament gepeitscht worden
waren und massive Einschränkungen der Versammlungs- und Meinungsfreiheit
vorsehen.
So kann das ungenehmigte Aufbauen von Bühnen und Zelten auf öffentlichen
Plätzen mit 15 Tagen Haft geahndet werden. Für die Blockade öffentlicher
Gebäude drohen bis zu fünf Jahre Gefängnis. Demonstranten, die sich
vermummen oder an Autokorsos teilnehmen, können mit Geldbußen belegt
werden. Verleumdung ist wieder ein Straftatbestand. Journalisten, die Fotos
prügelnder Polizisten veröffentlichen, riskieren eine Haftstrafe von bis zu
zwei Jahren.
Die Ukraine-Expertin der Organisation Human Rigths Watch, Julia Gorbunowa,
kritisierte die jüngsten Gesetzesverschärfungen als einen „ernsten Schlag
gegen die grundlegenden Freiheiten“ und forderte die Abgeordneten auf, die
Neuerungen aufzuheben. „Willkommen im neuen Polizeistaat. Wir nennen ihn
Klein-Russland“, schrieb die Journalistin Katja Gortschinskaja in der Kiyv
Post. Auch ihr Kollege Sergej Rachmanin, Kommentator bei der Wochenzeitung
Zerkalo Nedeli, sparte nicht mit Häme. Janukowitschs Unterschrift unter die
Gesetze seien ein Zeichen seiner Feigheit. Müsse man nicht schon erhebliche
Furcht vor den Ukrainern haben, um eine derartige Ketzerei zu billigen?
„Interessant ist, ob diese rhetorische Frage als Verleumdung oder
Extremismus eingestuft wird“, so Rachmanin weiter.
Bestürzt und ratlos zeigte sich auch der grüne EU-Abgeordnete Werner Schulz
angesichts der jüngsten Entwicklungen. Davon sei auch die EU kalt erwischt
worden, sagte Schulz der taz. Die entscheidende Frage sei, ob die
Staatsmacht die neuen Gesetze auch anwende. Falls ja, müsste die EU
Sanktionen in Form von Einreiseverboten für hochrangige Vertreter des
Regime verhängen. „Im Fall von Weißrussland haben wir das praktiziert.“
Schulz gehört einer Delegation des EU-Parlaments an, die Ende Januar zu
Gesprächen nach Kiew reisen will. „Aber“, so Schulz, „es kann sein, dass
wir gar nicht mehr fahren können.“
19 Jan 2014
## AUTOREN
DIR Barbara Oertel
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