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       # taz.de -- Die ersten Wochen der Groko: Jedem Anfang wohnt Krach inne
       
       > Die neue Regierung streitet über Vorratsdatenspeicherung, Rente, die
       > 32-Stunden-Woche und einiges mehr. Normaler Alltag oder grandioser
       > Fehlstart?
       
   IMG Bild: Kein Grund, sich zu schämen
       
       BERLIN taz | Durch einige Medien geistert ein Wort, das vieles zu erklären
       scheint: Fehlstart. Die Große Koalition sei kaum im Amt, habe noch kein
       Gesetz verabschiedet und schon fetze sie sich über Vorratsdatenspeicherung,
       32-Stunden-Woche für junge Eltern und die Rente. Und das obwohl Union und
       SPD so akribisch wie noch nie in langen Koalitionsverhandlungen
       Kompromisslinien ausgefochten hatten.
       
       Sind diese Irritationen eine Art spätes Echo der Wahlkampfkonfrontation,
       die nun wie von selbst verhallen werden? Oder sind die Gewitterwölkchen,
       die manche verzeichnen, doch üble Vorzeichen, dass es bald krachen wird und
       auseinanderfällt, was inhaltlich eben doch nicht zusammengehört? Oder ist
       die Fehlstart-Metapher nur mediale Übertreibungsrhetorik?
       
       Im Maschinenraum der Großen Koalition ist die Stimmung jedenfalls besser,
       als es die Schlagzeilen vermuten lassen. Dort arbeiten die
       Parlamentarischen Geschäftsführer der Fraktionen, die als Mechaniker der
       Macht an der Schnittstelle zwischen Regierung und Abgeordneten ihren Dienst
       tun. Wenn sie sich nicht verstehen, dann liegt wirklich etwas im Argen.
       
       Michael Grosse-Brömer, parlamentarischer Geschäftsführer der
       Unionsfraktion, versichert, dass „die Zusammenarbeit mit der SPD nicht
       schlecht ist“. Es laufe halt kein Motor sofort rund, so der CDU-Mann.
       Christine Lambrecht (SPD), Nachfolgerin von Thomas Oppermann auf dem
       Posten, schlägt ähnliche Töne an. „Wir mussten aus dem Wahlkampfmodus auf
       Zusammenarbeit umstellen. Das muss sich erst noch zusammenrütteln“, so die
       SPD-Frau. Lambrecht zählt zum linken Flügel.
       
       Der vermeintliche Zoff in der Großen Koalition macht sich an den Namen von
       drei neuen SPD-MinisterInnen fest: Heiko Maas, Manuela Schwesig, Andrea
       Nahles. Doch die Konflikte sind ganz verschieden – sie changieren zwischen
       Banalem und den Vorzeichen grundsätzlicher Schwierigkeiten. So hat
       Justizminister Maas nur erwähnt, dass er mit dem Gesetz zur
       Vorratsdatenspeicherung bis zum Urteil des Europäischen Gerichtshof in drei
       Monaten warten wird. Die Union war verstimmt, weil die Kanzlerin die
       Vorratsdatenspeicherung ganz oben auf die Agenda gesetzt hatte. Doch
       sachlich hat Maas recht. Am Freitagabend hat das auch die Union eingesehen
       und ist auf die Linie von Maas umgeschwenkt.
       
       ## Anfängerfehler von Schwesig
       
       Eher unter die Rubrik Anfängerfehler fällt, was Familienministerin Schwesig
       tat. Sie skizzierte eine vom Staat finanziell unterstützte 32-Stunden-Woche
       für junge Eltern – zweifellos eine intelligente Idee, Familien zu helfen,
       Jobs und Kinder unter einen Hut zu bringen. Allerdings gibt es für neue
       Ideen, die Geld kosten, gute und weniger gute Zeitpunkte. Dass die
       Ministerin sich als Erstes mit einem Projekt in Szene setzte, das sie bis
       2017 nicht umsetzen kann, zeigte, dass sie noch im Oppositionsmodus ist.
       
       Ob Schwesig Richtiges nicht nur fordern, sondern auch durchsetzen kann,
       wird der Streit über die Extremismusklausel zeigen. Diese besagt, dass
       Anti-Nazi-Initiativen nur unterstützt werden, wenn sie sich zum Grundgesetz
       bekennen. Hardliner in der Union wollen diese wirklichkeitsfremde Regel
       beibehalten, Schwesig will sie abschaffen. Es ist ein Zwist mit
       Symbolkraft, Zeichen, wie liberal diese Regierung sein kann.
       
       Langwieriges Ringen deutet sich bei der Rente an. Die Union hat mit der
       Mütterrente einen Posten geschaffen. Knapp 7 Milliarden Euro im Jahr kostet
       die und nutzt durchaus der Geschlechtergerechtigkeit. Allerdings beharrt
       die Union darauf, dass dies nicht per Steuererhöhungen finanziert werden
       darf, sondern nur aus der Rentenkasse.
       
       Das hat bizarre, verzerrende Effekte: Es belastet vor allem Arbeiternehmer
       und Mittelschicht, die in die Rentenkasse einzahlen, schont Beamte und
       Selbstständige. SPD-Arbeitsministerin Nahles hat, zum Missfallen der Union,
       mal vorgerechnet, dass die Mütterrente ab 2018 aus Steuern bezahlt werden
       muss – sonst explodieren die Rentenbeiträge. Das ist auch die Union nicht
       neu, aber von Nahles ein cleverer Zug. Damit erinnert sie die Union an ihre
       Widersprüchlichkeit.
       
       ## Konturen vage erkennbar
       
       Richtig beginnt das Regierungsgeschäft nächste Woche mit der Klausur in
       Schloss Meseberg und Merkels Regierungserklärung. Doch die Konturen der
       Koalition sind bereits vage erkennbar. Die SPD inszeniert sich als nach
       vorne drängende Kraft, die Union hockt misstrauisch im Bremserhäuschen.
       
       Also ein Fehlstart? Eher nicht. Dass die Regierung stets mit einer Stimme
       zu sprechen hat, ist eine altdeutsche Vorstellung von Politik. Die Vokabel
       vom Fehlstart ruft zudem eine falsche Assoziation auf – an das
       schwarz-gelbe Chaos 2009. Damals gab es eine vom eigenen Wahlsieg
       berauschte FDP, die glaubte, endlich die neoliberale Agenda durchzusetzen
       zu können. Allerdings hatte sich der Marktradikalismus nach dem
       Lehman-Bankendesaster 2008 global blamiert. Und die Konsenskanzlerin Merkel
       hatte wenig Lust, der FDP in den Abgrund zu folgen.
       
       2014 sieht die Lage anders aus. Die SPD-Politikerin Lambrecht sieht zwar
       „noch Abstimmungsbedarf“ zwischen den Fraktionen. Doch in den großen Linien
       sind sich SPD und CDU einig (die irrlichternde CSU ignoriert die SPD
       bislang erfolgreich). Die Losung heißt: Weiter so – mit sozialen
       Aufhellern. Der Politikmix dieser Koalition besteht aus fünf wesentlichen
       Teilen: mehr Soziales mit Mindestlohn und Rente. Außenpolitisch soll es
       ohne Militärinterventionen gehen. Das vielleicht größte Projekt ist die
       Energiewende, mit der sich Vizekanzler Sigmar Gabriel für Höheres empfehlen
       will. Gabriel will dies mit einem ganz großen Konsens von den Grünen bis
       zur Kohlelobby versuchen.
       
       Und was bleibt der Union? Merkel und die Macht auf der Schiffsbrücke das
       Sagen zu haben. In der Wirtschaft setzt die Große Koalition ungebremst auf
       Exportrekorde. In der Europäischen Union wird die Kanzlerin ihre aggressive
       Euro-Politik fortsetzen. Genau dort endet der forsche Auftritt der
       Sozialdemokraten. Die SPD und Außenminister Steinmeier werden sich hüten,
       Merkel beim Euro ins Gehege zu kommen.
       
       17 Jan 2014
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Stefan Reinecke
       
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