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       # taz.de -- Syrischer Aktivist in München: Die Freiheit ist eine Krone
       
       > Mohammad Kahlawi demonstriert seit drei Jahren für die Achtung der
       > Menschenrechte in seiner alten Heimat. Doch Deutsche wie Exil-Syrer
       > helfen ihm wenig
       
   IMG Bild: Wenig Schlaf, viel Engagement: Mohammad Kahlawi mit Demo-Material
       
       MÜNCHEN taz | Drei Blätter bedrucktes Papier hält er in der Hand, zwischen
       den Zeilen dicht beschrieben mit arabischer Schrift in feinen
       Bleistiftstrichen, ein einziges Chaos aus filigranen Buchstaben. Mohammad
       Kahlawi hat sich Gedanken gemacht über sich, und das heißt: über die
       Revolution.
       
       „Ich konnte gestern Nacht nicht schlafen. Da habe ich alles aufgeschrieben,
       was mir wichtig ist“, sagt er. Wichtig ist ihm zum Beispiel, dass immer
       noch jeden Freitag Menschen in seiner Heimat Syrien friedlich auf die
       Straße gehen. Dass Frauen unter Lebensgefahr protestieren gegen
       Extremisten, die das Bild des Landes in den Medien dominieren. Dass die
       Konfessionen in Syrien früher stets friedlich zusammengelebt haben.
       
       Kahlawi gestikuliert wild, und wenn er über das Unrecht spricht, schlägt er
       auch mal mit der flachen Hand auf den Tisch. Zahlen sprudeln aus ihm
       heraus: Alle 15 Sekunden ein neuer Flüchtling, ein totes Kind jede zweite
       Stunde, 11.420 seit Beginn der Proteste. „Wir sind an einem Punkt
       angekommen, an dem wir nicht mehr die Anzahl der Opfer zählen müssten,
       sondern die der Massaker“, sagt er bitter.
       
       Seit mehr als 15 Jahren lebt der Musiker in Bayern, ursprünglich kam er zum
       Studium nach München. „Habe die Ehre“, sagt er manchmal, und: „Die Stadt
       ist mir eine zweite Heimat geworden.“ Dennoch hat er seine eigentliche nie
       vergessen.
       
       ## Früher Freunde, heute Fahnen
       
       Kahlawi schläft wenig und unregelmäßig, und wenn er schläft, dann schlecht.
       Er telefoniert und organisiert, bringt Leute zusammen, schreibt Appelle,
       stellt selbst gemachte Bilder und Videos online. Ein Computer steht auf dem
       Esstisch seiner Einzimmerwohnung, auf dem Boden verstreut liegen
       Unterlagen. Auf der Couch, auf der immer seine Freunde saßen, damals, vor
       2011, liegen jetzt Fahnen, Schilder, Flyer, ein Megafon.
       
       „Im März werden es drei Jahre“, sagt Kahlawi. Drei Jahre Revolution in
       seinem Heimatland, drei Jahre Müdigkeit und Getriebensein. Drei Jahre
       Bangen, Hoffen, Verzweifeln. Kahlawi hat in dieser Zeit die Initiative
       „HutaafElhurriyyeh“ (Ruf nach Freiheit), ins Leben gerufen. Er hat bei
       Theaterstücken mitgewirkt, vor dem EU-Parlament in Straßburg seine
       Forderungen formuliert. Er ist durch ganz Deutschland gereist, um an
       Kundgebungen teilzunehmen und ein Gegengewicht zu bilden, wenn
       Regierungsanhänger zu Pro-Assad-Demonstrationen chauffiert werden.
       
       Die Gemeinde der Exilsyrer in Deutschland ist klein und gespalten. Einige
       verteidigen den Assad-Clan, andere geben sich neutral, vier Spitzel des
       syrischen Regimes hat Deutschland ausgewiesen. Und es gibt Leute wie
       Mohammad Kahlawi, denen die Sorge um ihre Landsleute den Schlaf raubt. In
       Zahlen ist die Szene nicht zu fassen.
       
       „ ’Toll, was du da machst‘ – wie oft ich das schon gehört habe“, sagt
       Kahlawi. Ein Satz der Anerkennung – aber folgenlos. Er macht ihn traurig,
       denn meist bleibt es dabei. Wenn Kahlawi als Musiker unterwegs ist, in
       einem Club oder einer Bar spielt, kommen Leute auf ihn zu, die er flüchtig
       kennt, und sie sagen diesen Satz. „Aber sie tun nichts, um mich zu
       unterstützen“, sagt er. Die meisten teilten nicht mal seine Posts auf
       Facebook. „Für die wäre es doch nur ein Klick, und vielleicht sieht es dann
       jemand, der versuchen könnte zu helfen.“ Kahlawi versteht es nicht.
       
       ## Emotionen versus Sachlichkeit
       
       Er versteht nicht, warum es so schwer ist, Deutsche für seine Aktionen zu
       mobilisieren. Und warum sie sich mit der Emotionalität der Exilsyrer so
       schwertun. Zu fremd ihr Habitus, zu theatralisch die Texte, zu suggestiv
       die Bilder, die gezeigt werden, um Mitgefühl zu erzeugen?
       
       Kahlawi berichtet von einer Bekannten, die ihm immer wieder sagt, wie gut
       sie sein Engagement findet – selbst könne sie leider nicht zur Demo kommen,
       sagt sie. Sie wisse nicht, wie sie das ihrem Arbeitgeber erklären solle.
       Die Frau, eine bayerische Beamtin, ist keine Ausnahme. Kahlawi hat solche
       Sätze schon oft gehört.
       
       Wenn Kahlawi zur Demonstration aufruft, kommen vor allem Syrer. Und andere
       Migranten, insbesondere aus der arabischen Welt. Die Deutschen kann man an
       einer Hand abzählen, kaum einer verläuft sich zu ihnen oder bleibt auch nur
       stehen. Auch der unglückliche Name „Marsch nach Berlin“, wie eine
       deutschlandweite Aktion von jungen Exilsyrern unbedarft getauft wurde, und
       das ein oder andere „Free Palestine“-Schild auf den Demonstrationen mögen
       da nicht hilfreich sein. „Das gehört hier nicht hin“, hört man Passanten in
       der Münchner Fußgängerzone schimpfen. Natürlich nicht. Das weiß auch
       Kahlawi.
       
       Er steckt in einem Dilemma: Alle Videos, die er gestaltet, jedes Plakat,
       das er entwirft, die Aktionen, die er plant – sie richten sich an zwei
       Zielgruppen, die unterschiedlicher kaum sein könnten. „Während die
       Deutschen erwarten, dass ich möglichst nüchtern und sachorientiert bin, um
       sie von der Wichtigkeit ihrer Hilfe zu überzeugen, kann mich von den Syrern
       niemand verstehen, wenn ich keine Emotionen zeige – und sie haben das
       Mitgefühl auch verdient“, sagt Kahlawi.
       
       ## Mehrsprachiger Protest
       
       Er legt großen Wert darauf, dass bei den Aktionen immer alles auf Deutsch
       erklärt wird. Seine Videos und Lieder sind mehrsprachig. Er lässt eine
       Gruppe deutscher Kinder mit ihren Instrumenten für die syrischen
       Altersgenossen spielen. Er organisiert Stelzenläufer und Pantomime-Spieler,
       schafft einen Weihnachtsbaum mit Kerzen herbei, um die Aktionen auch für
       die Deutschen attraktiv zu machen.
       
       Auch deshalb kann Kahlawi nicht nachvollziehen, warum so viele ihre Augen
       vor dem Elend verschließen. Für ihn sind ihre Gründe nur ein bequemer
       Vorwand, ähnlich wie die „Allahu-Akbar“-Rufe der Revolutionäre, die als
       Beweis für wachsenden Extremismus herhalten sollen und für das Argument der
       Politik, dass man ja gar nicht mehr wisse, wen in Syrien man guten
       Gewissens unterstützen könne.
       
       „An wen sollen sich die Menschen denn wenden, wenn die Welt zuschaut, wie
       ein ganzes Volk abgeschlachtet wird?“, fragt Kahlawi. „Natürlich finden
       viele ihren einzigen Halt in Gott.“ Er selbst ist Muslim, glaubt an Gott
       und die Gerechtigkeit und zieht daraus seine Hoffnung. Nie hat er sie
       aufgegeben.
       
       An die Menschen kann er nicht mehr glauben. Zu wenig Mitgefühl im Exil, zu
       viel Gewalt und Barbarei in der Heimat. Die Extremisten, die sich in Syrien
       als Revolutionäre aufspielen und ihrerseits morden, hasst er nicht weniger
       als das Assad-Regime. Und er glaubt fest daran, dass die Freiheit siegen
       wird, eines Tages. Es geht nicht von heute auf morgen, das betont Kahlawi.
       Dennoch will er ein bisschen nachhelfen.
       
       ## Spenden für syrische Kinder
       
       „Kunst hilft Kindern“, hat er seine letzte Aktion genannt und mehrere
       tausend Euro Spenden für traumatisierte syrische Kinder gesammelt. „Es ist
       nicht einfach, Mitgefühl zu erzeugen“, sagt Kahlawi.
       
       Wie im Sommersemester 2012. Etwa 15 Studierende sind in die Räume des
       Geschwister-Scholl-Instituts der Universität München gekommen. Eine Übung
       zu den „arabischen Reformstaaten“, Fallbeispiel Syrien. Es geht um die
       friedlichen Anfänge der Revolution, die Interessen der unterschiedlichen
       Mächte. Kahlawi ist Gast und hört aufmerksam zu. Nach dem Vortrag werden
       Fragen gestellt.
       
       Die typischen Fragen: Wenn man jetzt eingreift, was bringt das? Sind die
       Rebellen nicht längst von radikalislamischen Gruppen unterwandert? Welche
       Interessen hätte der Westen denn bitte, in Syrien einzugreifen? Ist das
       fragile Machtkonstrukt im Nahen Osten damit nicht in Gefahr? In Kahlawis
       Ohren klingen viele Argumente zynisch.
       
       Dann ist er an der Reihe. Er soll den Studenten Rede und Antwort stehen. Er
       zählt etliche Gegenargumente auf und berichtet schreckliche persönliche
       Geschichten, aber er verliert sich nicht darin. Immer wieder streut er
       einen Witz ein und lacht herzlich. Kahlawi erzählt von seiner eigenen
       Familie; einige Verwandte haben die Flucht geschafft, andere sind noch
       immer eingekesselt. Er erzählt von den vielen Zivilisten, die schuldlos zur
       Zielscheibe geworden sind. Die Abgebrühtheit der jungen Leute scheint wie
       weggeblasen.
       
       ## Freundliche Gleichgültigkeit
       
       Am Schluss verteilt Kahlawi Flyer, erzählt von einer Benefizgala für die
       Flüchtlingskinder. Interessiertes Nicken von allen Seiten. Keiner der
       Studierenden wird in der darauffolgenden Woche bei der Veranstaltung
       erscheinen.
       
       Wer Kahlawi bei seinen Demonstrationen in München beobachtet, sieht einen
       auffällig einsamen Menschen. Eine Handvoll Freunde haben ihn unterstützt,
       aber es werden immer weniger. Da war Oliver, der sich selbst als
       Berufsrevolutionär beschreibt und als Berater der Freiheitskämpfer auf der
       ganzen Welt versteht. Mit der syrischen Realität allerdings ist er nicht
       zurechtgekommen, als er sich vor einem halben Jahr inmitten der Kämpfe
       wiederfand. Heute ist er im Ausland.
       
       Da war Melanie, eine Sängerin, die bei den Veranstaltungen arabische und
       deutsche Lieder gesungen hat. „Sie hat im Moment mit ihrem eigenen Leben zu
       tun“, sagt Kahlawi. Er ist ihr nicht gram.
       
       Wenn Kahlawi über sich selbst spricht, landet er in wenigen Sekunden
       unweigerlich bei der Politik. Eine ernsthafte Beziehung habe er seit Jahren
       nicht mehr geführt, erzählt er. „Ich habe die Revolution geheiratet. Gott
       sei Dank haben wir keine Kinder.“ Er lacht laut, aber wird schnell wieder
       ernst. „Die Freiheit ist eine Krone auf dem Kopf der Freien, die nur von
       Unfreien gesehen wird.“
       
       Kahlawi ist ein pathetischer Mensch. Seine deutschen Freunde belächeln das
       manchmal. Er hat sie immer beneidet, wenn ihre Wahlbenachrichtigung im
       Briefkasten lag. Dass viele einfach nicht hingehen, kann er nicht
       verstehen. Mohammad Kahlawi ist 42 Jahre alt und hat noch nie gewählt.
       
       19 Jan 2014
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Kristina Milz
       
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