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       # taz.de -- Soulmusiker King Khan: Rock, Rotz und bisweilen Geigen
       
       > Schwere Jahre liegen hinter ihm: Nicht nur deshalb klingt der Soul des
       > indokanadischen Musikers King Khan auf „Idle No More“ so glaubwürdig.
       
   IMG Bild: Für seine Auftritte, auch vor der Kamera des Fotografen, inszeniert es King Khan gerne ein bisschen wild
       
       Er benutzt gern die großen Worte, der Mann mit den krausen, pechschwarzen
       Haaren. Erlösung, Erleuchtung. Holy Sound. Irgendwann wird er auch etwas
       von „Rock ’n’ Roll saved my life“ sagen. Ja ja, werden Sie sich denken.
       Aber warten Sie’s ab. King Khan schiebt sich die Hornbrille zurecht, zieht
       seine dunkelblaue Polyester-Trainingshose hoch und lächelt ein bisschen. Er
       fläzt sich auf dem Kanapee in seiner Berliner Wohnung. Es kann losgehen.
       
       Wenige Stunden später wird er auf Tournee gehen, erst durch den Westen
       Europas, später quer durch die USA und Kanada. Live wird King Khan dann mit
       Umhang oder nacktem Oberkörper posieren, mit Perlenketten oder
       Federkopfschmuck behangen. „Wir wollen ja, dass das Publikum high wird“,
       erklärt er nüchtern. „Da hilft so ein inszenierter Rahmen.“
       
       Während King Khan auf der Bühne wie ein Magier wirkt, kommt Arish Ahmad
       Khan – so sein bürgerlicher Name – zu Hause eher wie der Schluffi rüber.
       Zusammen mit seiner Band King Khan & The Shrines hat er ein neues Album,
       „Idle No More“, herausgebracht. Das zählt mit seinen tiefgründigen
       Soulsongs, R’n’B-Smashern und Garagenrock-Tracks zum Stärksten, was von dem
       indokanadischen Wahlberliner und seinem achtköpfigen Orchester bisher zu
       hören war. Es erscheint bei einem der weltweit größten Indie-Labels, bei
       Merge Records in North Carolina.
       
       Die Jahre seit 2010 waren die wohl schwersten im Leben des King Khan. Der
       36-Jährige hat Freunde durch Drogen, Krebs und Selbstmord verloren, „und
       danach fast meinen Verstand. Mein Album ist ein Dokument dieser harten
       Zeiten. Ich habe ’ne Menge Freunde gehabt, die abgeschmiert sind – manche
       kamen aus diesem Loch nicht wieder raus. Deshalb bin ich froh, dass ich
       diese Zeit überwunden habe.“
       
       Das neue Album ist dennoch – oder deshalb – voller Power. „Darkness“ etwa
       ist ein Sixties-Soulstück, das den US-Soul-GroßmeisterInnen Aretha Franklin
       und James Brown Ehre erweist. Es ist das Schlüsselstück des Albums. „Pray
       for Lil“, der darauf folgende Track, ist der nächste Höhepunkt. Dass in
       Deutschland so glaubwürdige Soulmusik produziert wird, erstaunt auch
       deshalb, weil die Hörer hierzulande noch kaum von den Qualitäten des King
       Khan Notiz genommen haben.
       
       ## Eine Band und noch eine und noch eine
       
       Der in Montreal aufgewachsene Musiker war Ende der Neunziger der Liebe
       wegen in Kassel gestrandet, wo er sein Projekt King Khan & The Shrines
       gründete. Nun lebt er seit knapp neun Jahren in Berlin, war aber bis 2009
       die meiste Zeit in der ganzen Welt unterwegs auf Tour. Seit gut zehn Jahren
       betreibt er auch die Garagenrockband King Khan & The BBQ. Als wäre das noch
       nicht abendfüllend genug, gründete er zwischenzeitlich noch die Gospelband
       Almighty Defenders. Man muss sich King Khan und seine verschiedenen Bands
       wie eine Soulrevue vorstellen.
       
       Das ewige Touren, sagt Khan, habe schließlich dazu geführt, dass er
       irgendwann in ein tiefes Loch fiel. Heute sagt er: „Es ist der Sinn einer
       solchen Krise, sich neu zu strukturieren, und das habe ich getan.“ Im Song
       über diese Phase, „Darkness“, heißt es: „There is darkness in what’s been
       done and what’s been said / From the filthiest mouth with the clearest of
       head / There is darkness behind every sin and regret / From your first
       taste of pleasure to your last cigarette.“
       
       Aufgenommen haben die Shrines „Idle No More“, ihr mittlerweile achtes
       Album, in den Berliner Lovelite- und Low-Swing-Studios. Dabei vergingen
       drei volle Jahre. Die zwölf Stücke haben allesamt die Fünfziger und
       Sechziger als Referenzpunkte und sind dennoch sehr unterschiedlich. Denn
       neben dem Rock ’n’ Roll und Soul dieser Zeit verströmen die Stücke zum Teil
       Musicalatmosphäre. Trompeten und Saxofon machen dabei einen tollen Job,
       genau wie die bluesige Orgel. Auch Geigen sind bisweilen zu hören. Die
       Songs schreibt meist der King himself, unterstützt vom Trompeter Simon
       Apple Monkey und Gitarrist Mr. Speedfinger.
       
       ## Indigene Protestbewegung
       
       „Idle No More“ ist auch ein politisches Album geworden. Benannt ist es nach
       der gleichnamigen Protestbewegung der indigenen Bevölkerung in Kanada, die
       dagegen ankämpft, dass die dortige Regierung unter dem konservativen
       Premierminister Stephen Harper beim Bau von Trassen, Kraftwerken und
       Pipelines Natur wie Reservate ignoriert.
       
       „Bürgerrechtsbewegungen waren mir immer wichtig“, sagt Khan, „für mich
       hängen Pop und Revolte immer zusammen.“ Zuletzt hat King Khan auch noch an
       einem anderen Projekt gearbeitet. Zu einem Film über die
       Black-Power-Jugendbewegung namens „The Invaders“, einer militante
       Bürgerrechtsgruppe, die 1968 in Memphis aktiv war, steuerte er den
       Soundtrack bei. Der Dokumentarfilm wird noch in diesem Jahr erscheinen;
       darin versucht man zu ergründen, wie die oft gewaltsam agierenden Invaders
       mit Martin Luther King kollaborierten, der bekanntermaßen friedlichen
       Widerstand propagierte.
       
       ## Mit Jesus auf dem fliegenden Teppich
       
       Mit „Bite my Tongue“ findet sich auch auf „Idle No More“ ein Song, der den
       Invaders gewidmet ist. Mit der 68er-Gruppierung verbindet den Berliner
       Soulmusiker, dass Humor, Rebellion und das Erkämpfen von Bürgerrechten Hand
       in Hand gehen.
       
       Im Video zum Song sieht man King Khan als Superman durch die Lüfte fliegen,
       einen Hotdog in der Hand. Später schwebt er, gemeinsam mit Jesus auf einem
       fliegenden Teppich sitzend, davon. Jesus pisst aus den Augen in seine
       Richtung, King Khan rächt sich mit Remoulade. Da sag noch einer, Rotz und
       Rock könne keine Leben retten.
       
       17 Jan 2014
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Jens Uthoff
       
       ## TAGS
       
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