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       # taz.de -- Die Ikonisierung von Aaron Swartz: Vom Wunderkind zum Schutzheiligen
       
       > Zum 1. Todestag des Netzaktivisten Aaron Swartz wird demonstriert und
       > über Überwachung diskutiert. Er wird posthum Star der Anti-NSA-Kampagnen.
       
   IMG Bild: Das Netz vergisst ihn nicht: Aaron Swartz.
       
       Aaron Swartz ist längst zur mythischen Figur geworden. Fotos, die sein
       schmales Gesicht unter dichtem schwarzen Haar zeigen, oft mit Brille und
       Dreitagebart, tauchen dieser Tage häufig im Netz auf. Am 11. Januar hat
       sich sein Todestag zum ersten Mal gejährt. Mit nur 26 Jahren nahm er sich
       in seinem New Yorker Appartement das Leben. Darin sah er wohl den einzigen
       Ausweg, einer jahrzehntelangen Haft und einem Strafgeld von einer Million
       US-Dollar zu entgehen.
       
       Als programmierendes Wunderkind geht Swartz in die Internet-Geschichte ein.
       Schon mit 14 arbeitete er an der Entwicklung der RSS-Spezifikation mit,
       später gründete er ein Start-up, aus dem die Webseite [1][Reddit]
       hervorging. Swartz kämpfte für ein freies und offenes Netz, er war einer
       der Köpfe, die Anfang diesen Jahrzehnts hinter erfolgreichen Kampagnen
       gegen die Verschärfung des US-Urheberrechts standen.
       
       Nachdem er heimlich von den Servern der Elite-Hochschule Massachusetts
       Institute of Technology (MIT) Millionen von Daten von JSTOR, einem
       Digitalarchiv für wissenschaftliche Journale, heruntergeladen hatte, wurde
       gegen ihn ermittelt.
       
       Auf Grundlage des Computer Fraud and Abuse Act (CFFA) wurde schließlich
       Anklage erhoben, einem Strafgesetz aus dem Jahr 1986, das, wie auch viele
       Rechtsexperten meinen, an der Realität heutiger Computernutzung völlig
       vorbeigehe und aufgrund seiner vagen Formulierung harsche Strafen selbst
       für mindere Vergehen möglich mache.
       
       ## Unveränderte Rechtsprechung
       
       Nach Swartz wurde inzwischen ein Gesetzesvorschlag benannt, den
       demokratische Kongressangehörige im Sommer 2013 einbrachten: [2][„Aaron's
       Law“], mit dem die herrschende US-Rechtsprechung abgemildert werden sollte.
       Die Initiative ging im Haushaltstreit zwischen Republikanern und Demokraten
       unter und wurde nicht weiter verfolgt. Weiteren Netzaktivisten wie
       [3][Barrett Brown] drohen Strafen nach Maßgabe des unveränderten CFAA.
       
       Swartz wurde nun für die Woche nach seinem ersten Todestag zum
       Schutzheiligen der von der Electronic Frontier Foundation und anderen
       Verfechtern elektronischer Freiheitsrechte ausgerufenen Copyright Week
       erklärt. Unter dem Motto „Take Copyright Back“ soll die Kampagne darauf
       aufmerksam machen, wo die Defizite des derzeitigen Urheberrechts liegen und
       wie ihnen begegnet werden kann.
       
       Die Electronic Frontier Foundation erklärt auf einer [4][Webseite], welche
       Kriterien für ein faires und innovatives Copyright bedacht werden müssen,
       etwa größtmögliche Transparenz, die Stärkung des Gemeinguts, faires
       Nutzerverhalten und ein freies Internet.
       
       ## „Der Beitrag des MIT ist ein negativer“
       
       Das Datum des 11. Januars wurde aber auch dazu benutzt, den Vorwurf zu
       bekräftigen, die gegen Swartz ermittelnde Staatsanwaltschaft trage
       Mitschuld am Selbstmord des jungen Netzaktivisten, der allerdings schon
       lange an Depressionen gelitten hatte. Eine These, von deren Wahrheitsgehalt
       Swartz' Familie felsenfest überzeugt ist.
       
       Justizminister Eric Holder hatte noch im vergangenen Jahr behauptet, dass
       der Fall Swartz mit staatsanwaltlichem Feingefühl behandelt worden sei.
       Senator John Cornyn aus Texas und sieben andere Parlamentarier
       widersprachen am Freitag Holdens Äußerungen in [5][einem öffentlichen
       Schreiben].
       
       Angesichts seiner schnippischen Kommentare, in denen er zum Beispiel das
       MIT mit einem Vergewaltigungsopfer verglichen hatte, werfen die
       Kongressangehörigen dem Chefermittler Stephen Heymann unprofessionelles
       Verhalten vor, das auf die gesamte Staatsanwaltschaft abgefärbt haben
       könnte.
       
       Aus Gerichtsdokumenten, die auf Grundlage des Freedom of Information Act
       öffentlich gemacht wurden, geht hervor, dass Heymann Swartz' Aktivismus als
       Grund für eine Verschärfung der Anklage angeführt hatte.
       
       ## Hacker-Attacke auf das MIT
       
       Und auch das Verhalten des Massachussets Institute of Technologie im Fall
       Swartz bleibt Zielscheibe von Kritik. An Swartz' Todestag äußerte sich dazu
       kein Geringerer als Noam Chomsky, emeritierter MIT-Linguistik-Professor.
       „Der Beitrag des MIT an dieser Tragödie ist überwiegend ein negativer. Es
       hat keine energischen Anstrengungen unternommen, um Swartz von den
       Anschuldigungen zu entlasten oder diese zumindest abzuschwächen. Was es
       hätte tun sollen“, meinte Chomsky gegenüber der [6][Huffington Post].
       
       So überrascht es nicht, dass der Webauftritt des MIT gerade am 11. Januar
       von Hackern attackiert wurde. Anonymous bekannte sich am Freitag dazu, auf
       eine MIT-Subdomain-Seite gelangt zu sein und dort das eigene Logo platziert
       zu haben. Die Seite wurde daraufhin geschlossen.
       
       Und eine angeblich mit Anonymous verbundene Gruppe namens „The 1775 Sec“
       behauptete gar, Dropbox in Gedenken an Swartz am selben Tag mit einer
       [7][Denial-to-Service-Attacke] lahmgelegt zu haben, was Dropbox jedoch
       umgehend [8][dementierte].
       
       Die zwischenzeitliche Blockade der eigenen Seite sei Resultat eines
       Routine-Upgrades ihrer Server gewesen, so der Technikverantwortliche von
       Dropbox, Aditya Agarwal, auf einem Blog am Wochenende. Die Daten der
       Dropbox-Nutzer seien stets sicher.
       
       ## Lawrence Lessig marschiert
       
       Dass sich auf Aaron Swartz über das Thema des freien Netzes hinaus als
       Inspiration für politischen Aktionismus berufen wird, macht der
       Harvard-Juraprofessor Lawrence Lessig deutlich. Am Samstag startete er
       seinen New Hampshire Rebellion March. Mit ihm bezweckt er nichts weniger,
       als der Korruption, die er in Washington am Werk sieht, ein Ende zu setzen,
       erklärte Lessig im [9][Magazin The Atlantic].
       
       Eine Woche lang versucht er eine insgesamt 200 Kilometer lange Strecke zu
       bewältigen, im Idealfall mit einer wachsenden Schar an MitläuferInnen.
       Startpunkt war Dixville-Notch, die Stadt, in der als erstes die Stimmen für
       die Präsidentschaftswahl 2016 ausgezählt werden.
       
       Es sei Aaron Swartz gewesen, so Lessig, der ihn vor Jahren dazu ermuntert
       habe, sich dem Kampf gegen den Einfluss des großen Kapitals auf die Politik
       zu widmen.
       
       Swartz wird in den US-Medien demnächst wohl noch präsenter sein, wenn ein
       Dokumentarfilm über ihn in die Kinos kommen wird – mit dem treffenden Titel
       „The Internet's Own Boy“. Seine Premiere feiert der Streifen kommende Woche
       auf dem Sundance Film Festival. Zuvor lancierte Regisseur Brian
       Knappenberger aber [10][einen Filmtrailer mit Szenen], in denen Aaron
       Swartz den Stop missbräuchlicher Überwachung durch den Staat fordert.
       
       ## Bedrohung des freien Netzes
       
       Die Vorabveröffentlichung des Trailers dient vor allem dazu, eine von der
       Electronic Frontier Foundation, Reddit, Mozilla und Demand Progress
       lancierte Kampagne gegen Massenüberwachung bekannt zu machen.
       
       Mit ihr soll der langsam wachsende Unmut innerhalb der US-Bevölkerung gegen
       die durch den Whistleblower Edward Snowden bekannt gewordenen NSA-Praktiken
       befeuert werden. Ihren Höhepunkt wird die Kampagne am 11. Februar unter dem
       Motto [11][„The Day We Fight Back“] haben.
       
       Derzeit sitzen Aktivisten an der Kreation von Kampagnenbannern, die für
       diesen Tag auf jede beliebige Webseite eingebettet werden können. Mit ihnen
       sollen dazu aufgefordert werden, Druck auf den US-Kongress auszuüben: damit
       dieser gegen den FISA Improvement Act stimmt. Eingebracht von der
       demokratischen US-Senatorin Dianne Feinstein, soll er den Status der NSA-
       Überwachungsprogramme sicherstellen und sogar ihre Ausweitung ermöglichen.
       
       David Segal, der die digitale Bürgerrechtsorganisation [12][Demand
       Progress] zusammen mit Swartz gegründet hatte, erklärte in einer
       Presseerklärung zur Kampagne, dass das Massenüberwachungsregime der NSA
       derzeit die größte Bedrohung für ein freies Internet und für die freie
       Gesellschaft überhaupt sei.
       
       „Aaron wäre beim Kampf gegen die Ausspähung durch die Regierung mit vorne
       dabei gewesen, um gegen solche Praktiken zu kämpfen, die uns daran hindern,
       uns als freie Menschen zu begegnen“. Für viele Netzaktivisten steht also
       fest: Neben dem Gesicht Edward Snowdens wird das von Aaron Swartz nicht
       verblassen.
       
       15 Jan 2014
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] http://de.reddit.com/
   DIR [2] http://www.wired.com/opinion/2013/06/aarons-law-is-finally-here/
   DIR [3] http://www.huffingtonpost.com/kevin-m-gallagher/why-barrett-brown-matters_b_4447315.html
   DIR [4] http://www.eff.org/copyrightweek
   DIR [5] http://www.bostonmagazine.com/news/blog/2014/01/13/aaron-swartzs-legacy/
   DIR [6] http://www.huffingtonpost.com/2014/01/10/noam-chomsky-aaron-swartz-mit_n_4577163.html
   DIR [7] http://www.ibtimes.co.uk/hackers-claim-responsibility-dropbox-outage-honour-aaron-swartz-1432044
   DIR [8] http://mashable.com/2014/01/13/copyright-week/
   DIR [9] http://www.theatlantic.com/politics/archive/2014/01/why-were-marching-across-new-hampshire-to-honor-aaron-swartz/282962/
   DIR [10] http://www.youtube.com/watch?v=RJ194S7KjRg
   DIR [11] http://thedaywefightback.org/
   DIR [12] http://www.demandprogress.org/campaigns/
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Oliver Pohlisch
       
       ## TAGS
       
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