# taz.de -- Vater-Sohn-Roadmovie „Nebraska“: Wunderbare Bilder vom Niedergang
> Ohne Zähne zwar, aber mit einem Ziel: Der alte Zausel Bruce Dern reist
> quer durch das amerikanische Heartland nach „Nebraska“.
IMG Bild: What happened to America?
Irgendwo im verdammten Gleisbett müssen sie liegen, die Zähne.
Sturzbesoffen hat Woody sie hier in der Nacht verloren, jetzt sucht der
Alte sie mit seinem Sohn. Tatsächlich findet David ein Gebiss auf dem
Schotter. Der Vater steckt es in den Mund. „Das sind nicht meine Zähne“,
murmelt er mürrisch.
Der Sohn setzt diesen Blick auf, den er fast immer in „Nebraska“ hat, wenn
er seinen Vater anschaut: eine Mischung aus Genervtheit, Mitleid und
Schrecken über dessen Geisteszustand. Doch dieses Mal täuscht er sich,
Woody hat nur einen Witz auf seine Kosten gemacht: „Natürlich sind das
meine Zähne, von wem sollen sie sonst sein?“, blafft er David an.
Vielleicht ist der Alte doch nicht so debil, wie alle meinen. Vielleicht
glaubt er ja selber nicht wirklich daran, dass er eine Million Dollar bei
einer Werbeaktion gewonnen hat – weshalb ihn sein Sohn gerade über tausend
Kilometer bis nach Nebraska fährt, wissend, dass am Ziel eine Enttäuschung
wartet. Vielleicht hat der Alte ja am Ende seines Lebens verstanden, dass
es nicht wichtig ist, welches Ziel man hat, Hauptsache, man hat eins.
Bruce Dern hält mit seiner Darstellung des alten Zausels Woody diese Fragen
offen. Früher kultivierte der New-Hollywood-Veteran ähnlich wie sein Freund
Jack Nicholson seine Ticks, drehte gerne mal voll auf, stahl Szenen, in
„Nebraska“ spielt er dagegen mit großer Disziplin und Zurückgenommenheit.
Das wurde letztes Jahr mit dem Schauspielerpreis bei den Filmfestspielen
von Cannes belohnt.
Dort erklärte Dern, Regisseur Alexander Payne („The Descendants“) und
Drehbuchautor Bob Nelson hätten einfach perfekte Arbeit geleistet, sodass
es für ihn nichts zu verbessern gegeben hätte. In der Tat ist der
vielleicht einzige Vorwurf, den man „Nebraska“ machen kann, dass er etwas
zu sauber aufgeht, dass alle Fäden etwas zu ordentlich zusammengeführt und
alle Stimmungen zu sorgsam ausbalanciert werden.
Ansonsten ist Paynes Vater-Sohn-Roadmovie ein kleines Wunder: Ihm gelingt
es, das im Niedergang begriffene amerikanische Heartland in wunderbaren,
oft statischen Cinemascope-Schwarz-Weiß-Bildern zu feiern und zugleich über
die allzu menschlichen Fehler seiner Bewohner mit viel Lebensweisheit zu
lächeln. Das zunehmend exportorientierte Hollywood interessiert sich leider
nur noch selten für die vielfältigen Regionen im eigenen Land, „Nebraska“
ist eine schöne Ausnahme.
16 Jan 2014
## AUTOREN
DIR Sven von Reden
## TAGS
DIR Kino
DIR Roadmovie
DIR Vater-Sohn-Beziehung
DIR Film
DIR Kinofilm
DIR Cannes
DIR Cannes
## ARTIKEL ZUM THEMA
DIR „The Holdovers“ von Alexander Payne: Trampelpfad durchs Leben
Wie eine Zwangsgemeinschaft im Internat zu sich findet: Alexander Paynes
Film „The Holdovers“ ist eine Hommage an das US-Kino der 70er Jahre.
DIR Kinofilm „Prince Avalanche“: Zwei Männer und ein Mittelstreifen
Wo die Die Latte niedrig liegt: „Prince Avalanche“ von David Gordon Green
ist ein Roadmovie, in dem die Helden lieber zu Fuß gehen.
DIR Filmfestival in Cannes: Das Spiel mit der Sinnlichkeit
Die Goldenen Palmen sind verliehen. Zwei Dinge haben das Filmfestival
geprägt: die Neigung zur Tragikomödie und der Umstand, dass Geld eine große
Rolle spielt.
DIR Goldene Palme in Cannes: Zum ersten Mal Homosexualität
Zwei lesbische junge Frauen: „La vie d'Adèle“ erzählt die Geschichte der
ersten Leidenschaft. Und weil er das so gut macht, hat er dafür die Goldene
Palme bekommen.
DIR Roadmovie mit Umwegen: Konzentriert an der Sache vorbei
Auf der Suche nach der Leiche: Nuri Bilge Ceylans Film "Once Upon a Time in
Anatolia" sieht manchmal aus wie ein Krimi und läuft am Ende einfach
weiter.