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       # taz.de -- Syrien vor der Friedenskonferenz: Feilschen um den Frieden
       
       > Eine internationale Konferenz soll Syrien Frieden bringen. Doch das wird
       > so schnell wohl nicht gelingen. Es wird taktiert – um Macht und
       > Ressourcen.
       
   IMG Bild: Verlierer des Krieges: Ein Mädchen sitzt zwischen Trümmern in Damaskus, Januar 2014
       
       ISTANBUL taz | Die Einladungen sind verschickt, die Hotelzimmer gebucht.
       Die mehrfach verschobene Syrien-Konferenz wird also aller Voraussicht nach
       stattfinden. Allerdings: Bislang ist unklar, ob das größte syrische
       Oppositionsbündnis zu dem Treffen kommt. Die Außenminister aus elf Ländern
       der sogenannten Freunde Syriens konnten der Nationalen Koalition (NK), die
       ihren Sitz in Istanbul hat, noch keine definitive Zusage abringen.
       
       Die Oppositionellen wollen über ihre Teilnahme erst am 17. Januar
       entscheiden, fünf Tage vor Beginn der Gespräche im schweizerischen
       Montreux. So viel wollte NK-Präsident Ahmed Dscharba immerhin schon sagen:
       „Wir sind uns alle einig, dass es für Assad und seine Familie keine Zukunft
       in Syrien gibt.“
       
       Dscharba steht vor der Herkulesaufgabe, die Gräben in den eigenen Reihen zu
       überbrücken. Die meisten Rebellen – aber auch Fraktionen innerhalb der NK –
       lehnen Gespräche mit dem Regime von Baschar al-Assad ab. Sie misstrauen dem
       Westen und befürchten, dass sie am Ende auf dem Altar des Friedens einem
       Ausgleich mit dem Regime geopfert werden könnten.
       
       Derweil hat Assad durch seine Kooperationsbereitschaft bei der Abrüstung
       seiner Chemiewaffen und nach einer Reihe von militärischen Siegen wieder
       Rückenwind bekommen. Er denkt gar nicht daran, seine Macht abzugeben: Im
       Juni will er sich erneut zum Präsidenten wählen lassen.
       
       ## Kategorisches Nein
       
       Von seinem kategorischen Nein zu Verhandlungen mit „Terroristen“, wie er
       seine Gegner pauschal nennt, ist er aber mittlerweile abgekommen. Syrien
       wird eine Delegation nach Montreux schicken, sagte Vizeaußenminister Faisal
       Mekdad. Die werde den Anweisungen Assads strikt Folge leisten.
       
       Die „Freunde Syriens“, zu denen ein breites Spektrum prowestlicher Staaten
       gehört, haben dagegen in Paris noch einmal bekräftigt, dass sie die Bildung
       einer Übergangsregierung mit vollen Vollmachten anstreben. Das Treffen in
       Montreux ist dafür nur der Auftakt, die Gespräche sollen in den nächsten
       Monaten in Genf fortgesetzt werden.
       
       Aber ist ein Frieden in Syrien überhaupt in Sicht? Derzeit sieht es nicht
       danach aus. Was 2011 als friedliche Revolution mit Demonstrationen gegen
       Assad begann, hat längst zu einem verheerenden Bürgerkrieg mit über 120.000
       Toten geführt. Über 2 Millionen Syrer flohen in die Nachbarländer.
       Innerhalb des Landes sind mehr als 4 Millionen auf der Flucht. Es herrschen
       Not und Hunger, die medizinische Versorgung ist katastrophal. Das Regime
       bombardiert ohne Rücksicht auf die Zivilbevölkerung weiter.
       
       Unter den Aufständischen gibt es zwar Ermüdungserscheinungen, sind sie aber
       weit davon entfernt, die Waffen zu strecken. Der einzige Silberstreif
       scheint derzeit, dass mehrere Rebellengruppen der Dschihad-Internationale
       um den Islamischen Staat im Irak und Syrien (Isis) den Krieg erklärt haben.
       Für den Westen könnte es freilich noch ein böses Erwachen geben.
       
       ## Ein Kalifat bis nach Jordanien
       
       Der Isis ist die Nachfolgeorganisation der al-Qaida im Irak. Sein Ziel: ein
       Kalifat in den Grenzen vom Irak über Syrien und Libanon bis nach Jordanien
       – mit ihrem Chef, der sich Abu Bakr al-Baghdadi nennt, als Oberhaupt.
       
       Seit der Iraker al-Baghdadi im April 2013 das Schlachtfeld in Syrien
       betrat, hat der Isis zahlreiche Gebieten in Nordsyrien unter seine Gewalt
       gebracht. Tausende Dschihad-Krieger aus aller Welt schlossen sich den
       Extremisten an. Dabei erhielten sie anfangs teilweise sogar Unterstützung
       von der lokalen Bevölkerung, die das kriminelle Treiben von Rebellen der
       Freien Syrischen Armee (FSA) leid war.
       
       Doch die Brutalität, mit der sie ihr Regime durchsetzten, führte Ende
       Dezember schließlich zur „zweiten Revolution“, wie es manche Syrer nennen.
       Ausgelöst wurden die Gefechte durch den Angriff auf Aktivisten in der
       Ortschaft Kafranabel und den Mord an einem prominenten Arzt aus den Reihen
       der Islamischen Front im Dezember. Seitdem haben sich die nationalistische
       Syrische Revolutionäre Front, zu der sich Teile der FSA verbündet haben,
       und die eher gemäßigte Armee der Mudschaheddin dem Kampf gegen die
       Al-Qaida-Extremisten angeschlossen.
       
       ## Taktik um Macht und Ressourcen
       
       Es ist freilich mehr ein Konflikt um die richtige Taktik sowie um Macht und
       Ressourcen in den „befreiten“ Gebieten als um das strategische Ziel. Nur
       einige FSA-Verbände treten unverdrossen für eine repräsentative Demokratie
       ein. Alle anderen wollen in der einen oder anderen Form einen islamischen
       Staat, in dem die Scharia gilt.
       
       Dabei unterscheidet sich die Hetze der Islamistischen Front, hinter der
       Salafisten, also extrem konservative Sunniten stehen, gegen „Ungläubige“
       kaum von der der al-Qaida. Die Saat, die Assad mit seinen brutalen
       Angriffen auf Zivilisten gesät hat, ist in Syrien längst aufgefangen. Für
       Minderheiten wie die Allawiten – die den Schiiten nahestehen und denen auch
       Assad angehört –, wie die Christen oder Drusen ist er der Strohhalm, an dem
       sie sich festklammern.
       
       Seit Jahresbeginn hat die „zweite Revolution“, wie manche Syrer den
       Aufstand gegen den Isis nennen, mehr als 700 Tote gefordert. Vielerorts
       zogen sich die Extremisten zunächst zurück und übergaben ihre Stellungen an
       die Nusra-Front, die andere Al-Qaida-Fraktion in Syrien.
       
       ## Seiten gewechselt
       
       Einige Isis-Kommandanten haben mit ihren Einheiten in den letzten Tagen
       einfach die Seiten gewechselt. Die Nusra-Front hält sich aus politischen
       Querelen erst einmal raus: Ihrer Ansicht nach muss ein Rat von
       Islamgelehrten über die Zukunft Syriens entscheiden – aber erst nach dem
       Sturz Assads.
       
       In einer Audiobotschaft hat sich der Chef der Nusra-Front, Abu Mohammed
       al-Dschulani, als Vermittler angeboten. Sollten die Konflikte nicht
       beigelegt werden, würden alle auf einem „großen Schlachtfeld“ verlieren,
       sagte Dschulani. Daraufhin erklärte – in einer fast vierzigminütigen
       Antwort – ein Isis-Sprecher der syrischen Opposition und den
       nationalistischen Rebellen den Krieg.
       
       Ein Blick über die Grenze in den Irak genügt, um zu wissen, was das
       bedeutet: Bombenanschläge und Morde an jedem, auch an Sunniten, der sich
       den Extremisten in den Weg stellt.
       
       16 Jan 2014
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Inga Rogg
       
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