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       # taz.de -- Kolumne Besser: Sabra, Schatila, Lieblingsmassaker
       
       > Die Nachrufe auf Ariel Scharon zeigen nicht zuletzt eines: Die Erinnerung
       > an die Gräuel des libanesischen Bürgerkriegs ist ausgesprochen selektiv.
       
   IMG Bild: Ariel Scharon mit seiner Frau Lily im Juli 1982.
       
       Nachdem der militärische Widerstand bezwungen ist, stürmen die Milizionäre
       in das palästinensische Flüchtlingslager Schatila. Sie vergewaltigen, sie
       foltern, sie töten – ungehindert von den ganz in der Nähe postierten
       Einheiten einer regulären Armee.
       
       Die Rede könnte hier vom September 1982 sein, als die
       christlich-libanesische Falange-Miliz vor den Augen der israelischen Armee
       mehrere hundert bis zweitausend Palästinenser in Sabra und Schatila
       niedermetzelt, woran anlässlich des [1][Todes von Ariel Scharon]
       ausführlich erinnert wurde. Die Rede könnte aber ebenso vom Mai 1985 sein,
       mit den gleichen Opfern, jedoch mit der säkular-schiitischen Amal-Miliz als
       Killer und der syrischen Armee als zuschauender Verbündeter.
       
       Der libanesische Bürgerkrieg ist voll mit solchen Gräueltaten. Im Januar
       1976 verüben christliche Milizen ein Massaker im mehrheitlich von Armeniern
       und Kurden bewohnten, aber von der PLO kontrollierten Beiruter Stadtteil
       Karantina, kurz darauf massakriert die PLO die Bewohner des christlichen
       Dorfes Darmur, im August 1976 schlagen christliche Milizen im
       palästinensischen Flüchtlingslager Tel al-Zaatar zurück usw.
       
       ## Jeder gegen jeden
       
       Die Opfer werden mit einigen hundert bis 1.500 beziffert. Dieses
       Abschlachten setzt sich fort, auch innerhalb derselben Bevölkerungsgruppe –
       die Falange gegen die Tiger-Miliz, die Hizbullah gegen die Amal usw.
       
       Von all diesem Gemetzel ist heute nur ein Ereignis in Erinnerung: Sabra und
       Schatila, 1982. Das wird noch im selben Jahr von der Mehrheit der
       UN-Vollversammlung als Genozid verurteilt und steht heute auf einer Stufe
       mit Lidice und Oradour, mit Son My und Srebrenica.
       
       Die anderen Ereignisse hingegen erregten schon damals kaum Aufmerksamkeit
       und sind heute (die Angehörigen der Opfer wohl ausgenommen) fast vergessen.
       Der Grund: In diesen Fällen war Israel nicht beteiligt. Auch die womöglich
       höhere Opferzahl von Sabra und Schatila erklärt den Hass auf Scharon nicht,
       denn dann müsste das jordanische Königshaus wegen des „Schwarzen
       Septembers“ noch verhasster sein.
       
       ## Wann wurde Arafat zur Verntwortung gezogen?
       
       Gleichwohl rechtfertigt ein Kriegsverbrechen nicht ein anderes. Und
       Kritiker Scharons können sich auch auf die israelische
       Untersuchungskommission stützen, die dessen Mitverantwortung feststellte,
       weshalb er als Verteidigungsminister zurücktreten musste.
       
       Man mag dies für unzureichend halten oder es anstößig finden, dass so einer
       danach noch Karriere machen konnte. Doch es gilt der Gleichheitsgrundsatz:
       Elie Hobeika, der zuständige Kommandant der Falangisten, wurde später
       libanesischer Minister, ohne dass jemals eine arabische Kommission seine
       Schuld festgehalten, geschweige denn Jassir Arafats Verantwortung für
       Darmur und anderes verhandelt hätte.
       
       Wer also Scharon am Sarg „Sabra und Schatila“ hinterherruft, sonst aber von
       nichts weiß (was sich recht leicht beheben lässt) oder nichts wissen will
       (was sich nicht so leicht behandeln lässt), macht sich des Verdachts
       schuldig, dass es ihm um etwas anderes geht als um die Erinnerung an
       ermordete Zivilisten.
       
       Besser: glaubwürdig.
       
       13 Jan 2014
       
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