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       # taz.de -- Fluxus Sammler aus dem Pott: Die Werke kamen frei Haus
       
       > Mit der Ausstellung „Anybody can have an idea“ ehrt das Dortmunder Museum
       > Ostwall zwei neugierige Sammler und Unterstützer von Fluxus.
       
   IMG Bild: Nicht gerade ein spektulärer Anblick: Detail aus George Brechts „Three Arrangements“ von 1962.
       
       Zwischen vielen deutschen Kunstmuseen scheint inzwischen ein unerklärter
       Wettbewerb ausgebrochen zu sein, wer die teuersten Gemälde, Skulpturen und
       Installationen von einer Reihe immergleicher Kunststars aufbieten kann.
       Während der Kunstmarkt der Börse vor der Bankenkrise immer ähnlicher wird
       und dauernd neue Rekordpreise für die Werke von Koons, Richter und
       neuerdings sogar Norman Rockwell gemeldet werden, füllen viele deutsche
       Museen ihre Wände und Hallen mit möglichst großen Gemälden und möglichst
       raumgreifenden Installationen von Künstlern, die bei reichen Sammlern
       beliebt sind.
       
       Beim Versuch, bei der internationalen Kunstspekulation mitzuhalten, sind
       etwa der Hamburger Bahnhof und die Neue Nationalgalerie in Berlin
       inzwischen zu Showrooms für die hastig zusammengeraffte Sammlung Flick
       degeneriert.
       
       Nicht alle Museen in Deutschland machen bei diesem Wettrüsten mit – sei es
       nun aus Überzeugung oder mangels Masse. Das Museum Ostwall in Dortmund zum
       Beispiel setzt auf die Kunst der Nachkriegsmoderne, die – da ohne
       Spektakelwert – nicht von russischen Oligarchen oder arabischen Ölscheichs
       gekauft wird.
       
       Schon in der hohen Eingangshalle wird man von spröder Konzeptkunst und
       Fluxus-Werken empfangen, die so gar kein „eye candy“ sind: An der linken
       Wand hängt Jochen Gerz’ „Das Geschenk“, hunderte strenge
       Schwarz-Weiß-Porträts von ganz normalen Dortmundern, die 2000 bei einer
       Kunstaktion entstanden. Rechts steht ein weiß gestrichener Stuhl neben
       einer Garderobenstange und unter einer Hutablage – auch diese Installation
       „Three Arrangements“ von George Brecht ist nicht gerade ein spektakulärer
       Anblick.
       
       ## Für den Kopf gemacht
       
       Doch es sind genau solche „nicht-retinalen“ (Duchamp) Werke, die das
       Eigentliche der Kunst der Moderne sind, gemacht für den Kopf, nicht für das
       Auge. Was folgt, sind zwei Etagen kinetische Kunst, Gruppe Zero, Fluxus,
       Performance, Konzeptkunst, Vostell, Beuys.
       
       „Ausgerechnet in Dortmund“, mag man da denken. Die ehemalige Industriestadt
       im Ruhrgebiet ist nicht unbedingt als Ort der Musen bekannt. Doch gerade
       wegen seiner Lage im Pott hat das Dortmunder Museum eine Reihe von
       Sammlungen von lokalen Sammlern erhalten, die sein sehr spezielles Profil
       prägen. Außer der Bremer Weserburg und der Stuttgarter Staatsgalerie – die
       1981 die Sammlung von Hanns Sohm erhielt – dürfte kein anderes Museum in
       Deutschland eine so vielfältige und umfangreiche Kollektion von
       Fluxus-Werken besitzen.
       
       Wie der Zahnarzt Sohms waren es auch im Ruhrgebiet dem Kunstbetrieb relativ
       fremde Leute, die beachtliche Sammlungen von Fluxus-Arbeiten zu einer Zeit
       aufbauten, als die Künstler dieser Bewegung noch kaum ernst genommen
       wurden. Da war zunächst einmal der Remscheider Werkzeugfabrikant Wolfgang
       Feelisch, der aus purer Neugier in die rheinische Kunstszene der 60er Jahre
       rutschte.
       
       ## Kunst für wenig Geld
       
       1966 gründete er den VICE-Versand, bei dem es unlimitierte Editionen von
       Künstlern wie Wolf Vostell, Hans-Peter Alvermann, Ben Vautier oder Thomas
       Bayrle für 8 Mark pro Stück zu bestellen gab. Analog zum billigen
       Taschenbuch sollten so Kunstwerke für wenig Geld demokratisch unters Volk
       gebracht werden. Das bekannteste und erfolgreichste Werk, das VICE
       vertrieb, war ein leeres Holzkistchen von Joseph Beuys, in das der Künstler
       mit Bleistift „Intuition“ geschrieben hatte.
       
       Feelisch kommunizierte und kooperierte über mehrere Jahrzehnte mit seinen
       Künstlern und baute nebenbei eine beachtliche Sammlung von wichtigen
       Fluxus-Arbeiten auf. Als Werbung für seinen Versand hatte er in der
       Remscheider Fußgängerzone eine Vitrine gemietet, in der er Werke der von
       ihm vertretenen Künstler zeigte. Dort entdeckte Hermann Braun, Angestellter
       der Deutschen Edelstahlwerke, 1972 einige Arbeiten von Joseph Beuys, die
       ihn faszinierten.
       
       Wie Feelisch geriet auch der Ingenieur ohne künstlerische Vorbildung, der
       auf Fotos meist mit Jackett und Krawatte zu sehen ist, in den folgenden
       Jahren in die rheinländische Kunstszene und baute eine Sammlung mit Werken
       von Künstlern wie George Brecht, Alison Knowles, Dick Higgins und Robert
       Watts auf. Viele dieser „Werke“ musste Braun gar nicht kaufen; sie kamen
       frei Haus.
       
       ## Mit allen korrespondieren
       
       Denn Fluxus war die Kunst der globalen Kommunikation, und ihre Macher waren
       offensichtlich begeistert, mit allen zu korrespondieren, die sich für ihre
       Kunst interessierten – und sei es auch ein Ingenieur aus Remscheid. So
       finden sich in der Sammlung des inzwischen verstorbenen Sammlers viele
       künstlerisch gestaltete Postkarten, Briefe und Konzepte für Performances
       und Aktionen, aber auch Miszellen wie „Beer Zen“ von Nam Jun Paik: ein vom
       Künstler 1983 zerfitzelter und signierter Bierdeckel.
       
       Feelisch und Braun begleiteten die Karrieren ihrer Künstler jahrzehntelang.
       Sie kauften Kunst nicht, weil sie sich Wertsteigerungen erhofften oder weil
       sie dekorativ war, sondern weil sie an ihre Schöpfer glaubten und ihre
       Ideen interessant fanden – und gelegentlich wohl auch, um diesen aus
       finanziellen Engpässen herauszuhelfen. 2012 erwarb das Museum Ostwall – das
       mit der Sammlung Cremer schon seit 1991 eine repräsentative Auswahl von
       Avantgardekunst zwischen 1950 und 1970 besitzt – die beiden Sammlungen, und
       hat inzwischen zwei feine Kataloge der Neuerwerbungen produziert.
       
       Wer das Museum an seinem Standort im „Dortmunder U“ – dem ehemaligen
       Produktionsort der Unions-Brauerei in der Nähe des Hauptbahnhofs – besucht,
       findet dort Vitrinen voller allerliebster kleiner Arbeiten, die das genaue
       Gegenteil auratischer Meisterwerke sind: Multiples, Editionen,
       Künstlerpostkarten, Poster, Partituren für Aktionen und Performances. Die
       Arbeiten, die hier zu sehen sind, mögen zwar keine riesigen Museumsräume
       füllen und plätten den Besucher auch nicht durch ihre schiere Größe. Aber
       sie werden auch dann noch intellektuell anregend sein, wenn sich niemand
       mehr an die Spekulationskünstler der Gegenwart erinnert.
       
       ## ■ Bis 8. Februar. Museum Ostwall, Dortmund
       
       13 Jan 2014
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Tilman Baumgärtel
       
       ## TAGS
       
   DIR Museum Weserburg
       
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